Aus den Feuilletons

"Deutschland findet sich nicht cool"

Deutsche Fans auf halbleeren Rängen bei den Olympischen Winterspielen 2006.
Auch wenn vieles funktioniert - so richtig euphorisch ist die Mehrheit der Deutschen nicht. © picture-alliance/ dpa/dpaweb/Stephan Jansen
Moderation: Klaus Pokatzky · 03.10.2015
Vor 25 Jahren verschwand die DDR, die Feuilletons der Wochenzeitungen beschreiben, was dem folgte: Ein paar ostdeutsche Produkte überlebten, die Attraktivität für Zuwanderer wuchs, nur sich selbst feiern - das wollen die Deutschen lieber nicht.
"Am 4. Oktober ist..." Halt, Stopp! Der Satz aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG wird jetzt nicht fortgesetzt, sondern vielmehr gefragt: was ist am 4. Oktober? Aber nicht schummeln.
"Vor 25 Jahren verschwand die DDR." Das teilte uns die Tageszeitung DIE WELT mit – und meinte damit natürlich den 3. Oktober. Also erst mal zum Feiertag am Samstag und noch nicht zum rätselhaften am Sonntag. "Was aus meinen Träumen der Wendezeit geworden ist", schilderte im Berliner TAGESSPIEGEL Jens Reich, einst ein Urgestein der DDR-Bürgerrechtsbewegung:
"Es erfüllt mich mit Genugtuung, dass wir in der DDR uns die bedeutenden bürgerlichen Freiheiten selbst genommen haben. Der 3. Oktober steht für mich für das Ende einer unnatürlichen, oktroyierten staatlichen Spaltung unserer Nation. Die Jahrestage begehe ich in Ruhe. Träume habe ich keine mehr, aber ich bin froh, in diesem Lande zu leben und den Rest meines Lebens zu bleiben."
Und was ist geblieben von der DDR? "Nach der Wende verschwanden ostdeutsche Produkte vom Markt – jetzt wird ihr bleibender Wert entdeckt", hieß es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, die sich intensiv mit gleich drei Artikeln dem "Design in der DDR" widmete. Dazu gehörte natürlich auch das "Heliradio" vom VEB Gerätebau im sächsischen Limbach-Oberfrohna.
"Im Grassimuseum in Leipzig steht Braun neben Heli und Leuchten aus Halle neben italienischen oder skandinavischen", freute sich im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN der Sammler Günter Höhne, einst Chefredakteur von "Form+Zweck", der einzigen Designzeitschrift der DDR. "Das DDR-Design wurde aufgenommen in die europäische Produktkultur des 20. Jahrhunderts. Darauf bin ich stolz."
Zufluchtsort Uckermark
Wir können auch auf anderes stolz sein.
"Ich habe gute Freunde im Osten, in den neuen Bundesländern, die sehr daran interessiert sind, dass das Thema Flüchtlinge nach vorn gebracht wird und präsent ist."
Das erzählte im Interview mit der WELT die Filmproduzentin Regina Ziegler. Und damit in die Uckermark. "Unsere Kinder, alle drei, haben alle die Chance ergriffen, die sich ihnen 1990 geboten hat, und sind in die weite Welt ausgeflogen", schrieb Jens Reich noch in seinem Einheits-Erinnerungsartikel im TAGESSPIEGEL: "Wir sehen sie alle, auch diejenigen, die über den Globus verstreut sind, regelmäßig zu gemeinsamen Ferien in der Uckermark."
Und wenn sie da mal genau suchen zwischen Stolpe und Boitzenburg, zwischen Templin und Prenzlau – da finden sie ihn: "Den letzten Deutschen". So hieß die Überschrift über seiner Glosse im SPIEGEL und so sieht er sich selber – der Literat, der sich in die uckermärkische Weltabgeschiedenheit geflüchtet hat, der tapfere Kämpfer gegen "linkskritische Intellektualität", gegen "die immer herrschsüchtiger werdenden politisch-moralischen Konformitäten". Mit anderen Worten: Botho Strauß. "Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird", setzte er seine Duftnote zur Flüchtlingsdebatte mit einem Artikel, den man ansonsten nicht wirklich verstehen muss.
Es hat sich im Feuilleton der letzten Woche aber noch einer als Deutscher geoutet – und damit hätten wir dann doch mindestens zwei letzte Deutsche. "Als ich 1989 mit dem Studium fertig war, habe ich meine Familie in den USA besucht. Nach drei Wochen dachte ich mir: ‚Das kann doch nicht sein – Ich vermisse Berlin!'" Das lasen wir in einem Interview der Tageszeitung TAZ. "Da war mir klar, dass Berlin meine Heimat ist", sagte Hamid Nowzari, Bauingenieur und 1980 aus dem Iran der Mullahs ins freie Westberlin geflohen.
"Die entwaffnende Macht des guten Willens"
"Solange es Diktaturen und Armut gibt, wird es auch Flüchtlinge geben, und sie werden in die reichsten und die freiesten Länder strömen. Das ist normal", meint in der neuen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG der einstige Flüchtling aus Russland Nikolai Klimeniouk: "Ein Land muss sich Sorgen machen, wenn es keine Einwanderer anzieht." Das sehen die innerparteilichen und außerparteilichen Gegner von Angela Merkel natürlich ganz anders, die vor einigen Wochen unsere Grenzen weit öffnen ließ. "Die vorübergehende Grenzöffnung lässt sich", war in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN zu lesen, "auch als Akt der Ausübung und Bekräftigung der Souveränität verstehen." So stellte sich Patrick Bahners hinter die Uckermärkerin, die in der Welt angekommen ist.
"Für einen historischen Augenblick war vor ein paar Wochen die entwaffnende Macht des guten Willens zu erfahren. Machte ein Flüchtlingskind der Polizei ein Gedicht zum Geschenk, so müsste der erste Vers lauten: Ich habe Menschen getroffen."
Wie hatte noch der Uckermärker Botho Strauß im SPIEGEL geschrieben? "Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein." Patrick Bahners, der schon etwas in der Welt herumgekommen ist, bleibt souverän: "Souveränität heißt Selbstbestimmung: die Bestimmung, wer man sein und als wer man wahrgenommen werden will."
Und als was wollen wir wahrgenommen werden an diesem 3. Oktober – am Tag vor dem 4.?
"Deutschland feiert sich nicht und findet sich nicht cool", meinte in der WELT die Schriftstellerin Alina Bronsky, ein russisch-jüdisches Flüchtlingskind.
"Dass hier viele Dinge so viel besser funktionieren als anderswo, ist dem aufgeklärten Deutschland eher peinlich. Vieles läuft einfach zu gut. Man muss schon wie ich nicht ganz deutsch sein, um es einfach mal von ganzem Herzen mögen zu dürfen."
Und was war nun am 4. Oktober – FRANKFURTER ALLGEMEINE? "Am 4. Oktober ist Erntedankfest."
Auf Leute, wir haben viel zu feiern.
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