Aus den Feuilletons

Deutschland - eine schillernde Nation

Eine Deutschlandfahne, "Deutschland" ist rückwärts zu lesen.
Nachahmenswert für die einen, Quell der Wut für die anderen. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Arno Orzessek  · 07.03.2015
Ein Land scheidet die Geister: Franzosen, Italiener und Schweizer finden Deutschland inzwischen richtig gut, hat die "FAZ" herausgefunden. Ganz gegenteilige Tendenzen beschreibt die "SZ" in Griechenland und Spanien.
Wer in den letzten Jahren Zeitung gelesen hat, der weiß: In ganz Europa findet man Deutschland mittlerweile dufte. Sogar in England und in Italien.
Selbige Zeitungsleser wissen aber auch: In ganz Europa findet man Deutschland – mehr denn je seit 1945 – total mies. Von Griechenland bis Spanien – und darüber hinaus.
Kurz: Deutschland ist imagemäßig eine Hydra, ein Vexierbild, eine schillernde Nation…
Wie auch die Feuilletons in der vergangenen Woche bewiesen haben.
"Die Nazi-Keule wird weggepackt", titelte die FRANKURFTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit Blick auf Franzosen, Italiener und Schweizer.
"Der Welt würde mehr Deutschland gut tun", belegte FAZ-Autor Jürg Altwegg die Germanophilie der Schweizer mit einem Zitat aus dem Zürcher Tages-Anzeiger.
Was die Italiener angeht, zog Altwegg den Politologen Angelo Bolaffi heran und paraphrasierte dessen Werk "Deutsches Herz".
"Die Deutschen sehnten sich seit Jahrhunderten nach dem Süden, jetzt blühe auch eine italienische (und griechische) Sehnsucht nach Deutschland, wo das bessere Leben ist, und nicht nur, weil es Arbeit gibt. […] Bolaffi wünscht sich ausdrücklich eine 'deutsche Hegemonie' in Europa",
erklärte Altwegg in der FAZ
Während die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG unter dem Titel "Ein Traum vom neuen Süden" über gegenteilige Tendenzen berichtete:
"Griechenland, Spanien – und dann? Die Wut über den drohenden 'Tod durch Sparen' ergreift am Mittelmeer ein Land nach dem anderen."
Laut Sebastian Schoepp ist der spanische Neologismus 'austericidio' – was so viel heißt wie 'Austerizid' oder eben altdeutsch: 'Tod durch Sparen' – höchst populär geworden.
Der Süden hält die Lebensqualität hoch
Vor diesem Hintergrund, so Schoepp, gehe man im Süden aufs Ganze.
"In populären sozialen Netzwerken Spaniens […] wird nun die Forderung lauter, es sei Aufgabe des Südens, die Systemfrage in der EU zu stellen. Der Blog ctxt.es, gegründet von krisenbedingt entlassenen spanischen Starjournalisten, spricht von einer 'Rebellion an der südlichen Peripherie'. In einem Editorial heißt es: 'Die Misshandlung' von Ländern wie Griechenland, Zypern, Portugal oder Spanien habe einen 'Bruch […] in Europa mit sich gebracht'. Vor allem die Dialogfähigkeit des Nordens wird bezweifelt."
SZ-Autor Schoepp erwähnte den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der für ein "lateinisches Reich" eintritt und verlautbarte:
"'Es [ergibt] keinen Sinn, von einem Griechen oder einem Italiener verlangen zu wollen, dass er wie ein Deutscher lebt, doch selbst wenn das möglich wäre, würde es zum Verschwinden eines Kulturguts führen, das vor allem in der Lebensform liegt.'"
Auf der gleichen Linie liegt der französische Philosoph Edgar Morin, den die SZ ebenfalls heranzog:
"Die Stärke der südlichen Kulturen liege darin, so Morin, den Wert des Lebens nicht nur quantitativ zu bemessen, wie es der angloamerikanische Kapitalismus tut, sondern es von seiner Qualität her zu definieren. Als südliche Werte nennt er Empathie, Familiensinn, Zwischenmenschlichkeit, Ästhetik, Gastfreundschaft, Lebensbejahung vor Effizienz – alles Leistungen, die leider […] schwer zu kapitalisieren seien, wie Morin selbst einräumt. Deshalb sei der Süden im Konkurrenzkampf […] unterlegen. Morin glaubt aber fest, der Süden könnte dem Norden viel mehr geben, als man dort denke. Denn in Wahrheit sei nicht das Modell des Südens bankrott, sondern das des Nordens",
fasste Sebastian Schoepp Thesen Morins zusammen…
Und wir würden gern wissen:
Ist der Süden pleite, weil die Menschen dort immerzu ihrer Empathie und Lebensbejahung gefrönt haben? Oder fanden sie den Konsumkapitalismus mehrheitlich doch so sexy, dass das Verhältnis von Konsum und Kapital bisweilen mörderisch aus dem Ruder gelaufen ist?
Depressiver Frust in den Metropolen
Apropos mörderisch….
"Tötet Wolfgang Schäuble" – so hieß das Banner, unter dem der italienische Philosoph Franco Berardi in der Berliner Volksbühne über die Finanzdiktatur Europas parlierte.
Die TAGESZEITUNG setzte den Mord-Aufruf ins Bild, erklärte ihn zu einer Kunstaktion à la Christoph Schlingensiefs "Tötet Helmut Kohl" und berichtete vom Volksbühnen-Diskurs:
"Berlin sei, sagte Berardi lachend, zurzeit die einzige Stadt Europas, in der einem die Menschen auf der Straße lächelnd entgegenkämen. In allen anderen Metropolen überwiege der depressive Frust in den Gesichtern."
Der Zank der Nationen geht am Kern der Krise vorbei – das würde der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl behaupten.
Unter dem Titel "Wer hat denn nun die Macht?" besprach Alexander Camman in der Wochenzeitung DIE ZEIT Vogls Buch "Der Souveränitätseffekt":
"Vogls Engführung von Finanzmacht, Politik und Souveränität läuft […] auf nichts anderes als die Delegitimierung der Neuzeit hinaus. Denn wenn Vogl recht hätte, dann hätten die modernen westlichen Gesellschaften zwischen 1600 und 1700 einen […] Irrweg eingeschlagen, der heute in der totalitären Macht der Finanzökonomie liegt. Dann bitte schön kein Wort mehr vom Staat, Institutionen und […] Demokratie."
Wenn die Finanzökonomie eine totalitäre Macht ist – wofür einiges spricht –, was ist dann der Islamische Staat?
Als sich die Woche neigte, war in den Feuilletons das Entsetzen groß: Truppen des IS haben in Mossul und Nimrud 3000 Jahre alte Kulturgüter vernichtet.
"Es ist alles verloren", resignierte die FAZ
Während die SZ unter dem Titel "Endzeit am Tigris" erklärte, worauf die Bilderstürmer hinauswollen.
"Der Islamische Staat will das kulturelle Gedächtnis der Menschen im Nahen und Mittleren Osten vollständig auslöschen und Geschichte auf die knapp 100 Jahre islamischer Frühzeit reduzieren, auf die Lebenszeit Mohammeds und die Eroberung der damaligen Welt. Die kulturelle Festplatte der Region soll erst gelöscht und dann neu bespielt werden."
Der planetarische Schlamassel, liebe Hörer, war also wieder einmal ganz enorm und bohrte – mit einer Überschrift der BERLINER ZEITUNG – "Löcher in Hirn und Leben".
Indessen verheißen die Meteorologen, was auch wir Ihnen wünschen: Einen schönen Sonntag!
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