Aus den Feuilletons

Deutsche stehlen Steven Spielberg die Show

Das Filmteam von "Toni Erdmann" um Schauspieler Peter Simonischek (M.), Regisseurin Maren Ade (3. v. r.) und Schauspielerin Sandra Hüller (2. v. r.).
Das Filmteam von "Toni Erdmann" um Schauspieler Peter Simonischek (M.), Regisseurin Maren Ade (3. v. r.) und Schauspielerin Sandra Hüller (2. v. r.). © picture alliance / dpa / Hubert Boesl
Von Tobias Wenzel · 16.05.2016
Viel Lob gibt es in den Feuilletons für Maren Ades "Toni Erdmann", der inzwischen in Cannes als heißer Favorit gehandelt wird. "Eine gnadenlos präzise Milieustudie", meint die SZ. Die FAZ hebt den Witz, Ernst und Mut des Films hervor.
"Spielberg war da", berichtet Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Aber Cannes sprach während der Pfingsttage nur von einer: Maren Ade." Man habe schon damit gerechnet, dass "Toni Erdmann", der dritte lange Spielfilm der deutschen Regisseurin nach "Der Wald vor lauter Bäumen" und "Alle anderen", ein guter werden würde, schreibt Lueken.
"Aber auf diese fast dreistündige Komödie mit zwei furchtlosen Hauptdarstellern – Sandra Hüller und Peter Simonischek werfen ihre Herzen in diese Rollen –, einem furiosen Drehbuch der Regisseurin und einem Witz, einem Ernst, einem Mut, alle Register zu ziehen, was mit Szenenapplaus und langem Beifall am Schluss bedacht wurde: darauf war wohl niemand vorbereitet. Auf einen deutschen Film, der das Publikum vom ersten schiefen Bild an mitreißt und zum Lachen und zum Denken bringt. Originell bis ins Absurde. Vorbildlos, als würde die Komik im deutschen Kino gerade erst von ihr erfunden."

Viele Feelbad-Momente ergeben ein Feelgood-Movie

In der Komödie, die nun, gefeiert von Kritikern, Publikum und Filmbranche, der große Favorit im Rennen um die Goldene Palme ist, besuche ein rheinischer Klavierlehrer ohne Schüler überraschend seine Tochter, eine Unternehmensberaterin mit Job in Bukarest. "Eine gnadenlos präzise Milieustudie", versucht Tobias Kniebe in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu beschreiben, was er da mit dem Film "Toni Erdmann" gesehen hat.
"Aber welche gnadenlos präzise Milieustudie erntet tobendes Gelächter und Szenenapplaus? Ein bewegendes Vater-Tochter-Drama – aber in welchem bewegenden Vater-Tochter-Drama spielen Handschellen und Furzkissen eine tragende Rolle? […] Ein Feelgood-Movie, das praktisch nur aus Feelbad-Momenten besteht?"
Oder wie es Verena Lueken in der FAZ formuliert: "In 'Toni Erdmann' steckt die Welt, schlecht, wie sie ist."

Bigotte Reden auf der Teheraner Buchmesse

Apropos "schlecht": "Amerika ist natürlich schlecht, aber mit einem Leben im Stile Hollywoods haben betuchte Iraner kein Problem", schreibt Amir Hassan Cheheltan in der FAZ, "vorausgesetzt, das Haar der Mädchen lugt nicht unterm Kopftuch hervor, und Bücher, die den Geist junger Menschen zersetzen – wie hohe Regierungsvertreter es formulieren –, werden nicht gedruckt." Der in Teheran lebende Autor, dessen aktueller Roman an der iranischen Zensurbehörde gescheitert ist, ärgert sich über die bigotten Reden anlässlich der Teheraner Buchmesse. So habe der Direktor der iranischen Nationalbibliothek erklärt: "Das Lesen fördert die kulturelle Widerstandsfähigkeit!"
Cheheltans Kommentar:
"Das Lesen welcher Bücher? Das Lesen von Büchern, die der Regierung zu Propagandazwecken dienen? Das Lesen zensierter Bücher, die so langweilig sind, dass sie die überdrüssigen Leser dazu treiben, sich in ihrer Freizeit triviale türkische Fernseh-Serien anzuschauen?"

Auf ein paar Doppelkorn mit Udo Lindenberg

Dann doch lieber das alte Foto des brav posierenden Udo Lindenberg anschauen, das die TAZ zum 70. Geburtstag des Sängers abdruckt. "Kleinigkeiten in Performance und Sprache machen die Songs unverwechselbar", schreibt Jens Uthoff, "aus der Liebsten wird etwa die 'Komplizin'."
Udo Lindenberg habe "unsere Vorstellung davon, was Jugendsprache ist, geprägt", behauptet Matthias Heine in der WELT. Und auch Torsten Gross geht es im SZ-Interview mit dem Sänger, um "die Erfindung seiner Sprache", "die Schubidus, Eys und zahlreichen anderen Neologismen". Aber zum Glück nicht nur.
"Ich bin kein Sänger, sondern Expressionist", sagt Lindenberg, deutet seine Musik als "Protest gegen das Schweigen" der Generation seiner Eltern und erzählt, wie das war, als er vom Schlagzeuger zum Sänger wurde:
"Da war ich natürlich unsicher, ich wusste ja gar nicht, wie das geht. Also habe ich mich immer gut angeknallt. Bei der ersten Show in Hamburg wurden vorher 15 Doppelkorn getrunken, und aus dem Versuch heraus, nicht auf die Fresse zu fallen, ist dann mein leicht schlingender Tanzstil entstanden."
Mehr zum Thema