Aus den Feuilletons

Der Streit über die Existenz von Racial Profiling

04:00 Minuten
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
Racial Profiling gebe es nicht, sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer - doch Schwarze Menschen berichten anderes in der "TAZ". © dpa / Reuters Pool / Hannibal Hanschke
Von Gregor Sander · 11.08.2020
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Die gezielte polizeiliche Kontrolle nicht weißer Menschen - Racial Profiling - gibt es nicht, sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer. Doch Erfahrungsberichte Schwarzer Menschen sprechen von einer anderen Realität, wie die "TAZ" zeigt.
"Irgendwer ist immer empört", seufzt Deniz Yücel in der Tageszeitung DIE WELT. "Hier wird munter skandalisiert, dort der Tugendterror beklagt: Von links nach rechts folgen die Debatten unserer Tage alle demselben Muster", beklagt der WELT-Autor und sieht in der Empörung eine Art Selbstbefriedigung:
"Sich meinungsverfolgt zu fühlen kann ein prickelndes Gefühl sein, solange man insgeheim darauf vertrauen kann, dass einem nichts weiter droht außer ein paar Unflätigkeiten auf Twitter, die man wiederum, je nach Gemüt, weinerlich oder genüsslich, aber stets mit Stolz seinen Followern präsentieren kann." Dabei gehe es bei der ganzen Aufregung doch immer noch um den Austausch von Argumenten, so Yücel und darum, einfach mal die Meinung des anderen auszuhalten. Denn:
"Eine offene Gesellschaft zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie keine Grenzen setzt, sondern diese möglichst weit auslegt, diese ständig neu verhandelt, mit Ambiguitäten klarkommt und nur im äußersten Notfall die Staatsanwaltschaft zu Hilfe ruft – und nicht gleich Sanktionen verlangt."

Rassismus an der Krippe widerlegt?

Das klingt gut, aber schon eine Überschrift in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG stellt genau diese These auf die Empörungsprobe:
"Taugt der 'Nickneger' als historischer Indikator für deutschen Rassismus?" Natürlich ist das sogenannte N-Wort in der FAZ in Anführungsstriche gesetzt und natürlich wurden diese Figuren im 19. Jahrhundert so genannt, ob nun mit oder ohne rassistischem Hintergrund. Aber muss man sie deshalb heute noch so nennen? Empören Sie sich, liebe Hörer oder lassen sie es bleiben.
Wir lesen weiter. Im dazugehörigen Artikel untersucht die Kulturhistorikerin Gabriele Wiesemann diese nickenden dunkelhäutigen Figuren aus Holz und Gips, mit denen nach dem Gottesdienst Geld gesammelt wurde:
"Bei der bittenden Person etwa", so Wiesemann, "finden sich keine Anzeichen für eine übertriebene oder diffamierende Verzerrung der Gesichtszüge. Sie hatte ganz im Gegenteil immer ein freundliches Antlitz, stand sie doch in der Kirche auf der Weihnachtskrippe und sollte keine Abneigung hervorrufen, sondern an das Mitleid der Gemeinde appellieren."
Und somit erkennt sie: "Wenig Anzeichen für aktiv gelebten Rassismus, zumindest nichts, was über die historische Tatsache einer stark hierarchisch geprägten Gesellschaft hinausgeht, an deren Spitze sich akademisch ausgebildete weiße Menschen platziert hatten."

Kontroverse über Racial Profiling

Auch diese Sätze dürften bei vielen Menschen zur Empörung ausreichen. So wie auch der folgende Satz in der TAZ: "Die polizeiliche Praxis des Racial Profiling, also der gezielten Kontrolle nicht weißer Menschen, existiert laut Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht."
Die drei protokollierten Erfahrungsberichte sprechen dann selbstverständlich eine andere Sprache, etwa der der 30-jährigen Lena Mariama Meinhold:
"Meine Mutter beispielsweise ist weiß, 68 Jahre alt und kam erst einmal in eine Verkehrskontrolle in ihrem Leben. Mir passiert das als Schwarze Frau viermal im Jahr." Empirisch ist das also eine eindeutige Sache. Doch die Aufregung darüber hält sich selbst im Freundeskreis der Betroffenen in Grenzen: "Weiße Freunde, denen ich davon erzählt habe, meinten dann: 'Ach, ich wurde auch schon einmal von der Polizei rausgezogen'."

Fangesänge von der Festplatte

Natürlich echauffieren sich die Feuilletons vom Mittwoch auch über ganz banale Dinge. Etwa über Fußballmillionäre, die derzeit sang- und klanglos vor leeren Tribünen kicken. Christian Schröder hat für den Berliner TAGESSPIEGEL das Europa-League-Spiel Leverkusen gegen Inter Mailand auf RTL gesehen und traute seinen Ohren nicht:
"Es handelte sich um eine Ohrentäuschung, eine akustische Fata Morgana. Die Fangesänge wurden eingespielt. So erlebte die Leverkusener Werkself beim Ausscheiden aus dem Finalturnier eine doppelte Demütigung. Die Soundkulisse kam ausgerechnet aus der Nachbarstadt, vom Erzrivalen1. FC Köln."
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