Aus den Feuilletons

Der Orkus der schönen Künste

Der Soziologie-Professor Theodor Adorno am 28.05.1968 während eines Vortrags im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main.
Bei Adorno habe alles Schöne als Teufelszeug gegolten, analysiert die 'Welt' den Philosophen und ernennt ihn zum Meisterdenker © dpa/ picture-alliance / Manfred Rehm
Von Arno Orzessek · 07.02.2018
Das Jubiläumsjahr der 68er hat begonnen und in der "WELT" wird Adorno zum "Meisterdenker der 68er" ernannt. Seinen ganzen eigenen Jahrestag zelebriert der "Spiegel", während die "FAZ" sich dem Menschengeschlecht zuwendet.
Es war der 8. Februar 1993, als im SPIEGEL "Anschwellender Bocksgesang" erschien, jene kulturkritische Reflexion von Botho Strauß, in der speziell die linksliberalen Deutschen üble Noten erhielten.
Weil das nun 25 Jahre zurückliegt und der "Anschwellende Bocksgesang" zu einem elitären Synonym für ‚Kassandraruf‘ geworden ist, hier ein kurzer Ausschnitt. Strauß schreibt von einem "Jemand":
"Mitunter […] will es ihm scheinen, als hörte er jetzt ein letztes knisterndes Sich-Fügen, als sähe er gerade noch die Letzten, denen die Flucht in ein Heim gelang, vernähme ein leises Einschnappen, wie ein Schloß, ins Gleichgewicht. Danach: nur noch das Reißen von Strängen, gegebenen Händen, Nerven, Kontrakten, Netzen und Träumen."

Wenn beim Bocksgesang der Kamm schwillt

Wenn Sie jetzt sagen, liebe Hörer, ‚viel Sound, wenig Klarheit‘, dann vertreten Sie eine ähnliche Position wie Iris Radisch in der Wochenzeitung DIE ZEIT.
"25 Jahre später entdeckt man in dem berühmten Essay einen Schlüsseltext für die nach intellektuellen Stahlgewittern dürstenden angeblich neuen Rechten. Aber auch einen rührend vergeblichen Fall von Mansplaining [von herablassendem Männergeschwafel]. Seine untergangslüsternen Prophezeiungen sind in Deutschland nicht wahr geworden. Sein politischer Existenzialismus blieb ein Erdbeben im Feuilleton, Sonderabteilung wehmütige Männerblütenträume aus dem Frakturzeitalter."
So weit Iris Radisch, der über Strauß‘ "Bocksgesang" immer noch der Kamm schwillt.
Ausdrücklich "eine Zurückweisung" schreibt Tilman Krause in der Tageszeitung DIE WELT.
Der Zurückgewiesene ist hier allerdings Theodor W. Adorno, aus Krauses Sicht der "Meisterdenker der 68er".
"‚Richtiges‘ (also natürlich ‚kritisches‘) Bewusstsein gab es für Adorno nur in der Negation. Alles andere, also das Schöne, Erhabene, Versöhnliche, Aufbauende, Ermunternde, Unterhaltende, Amüsierende, galt als Teufelszeug. ‚Hoffnung liegt am ehesten bei den Trostlosen‘, lautete eine seiner einst viel akklamierten Askesemaximen […]. Ganz Kontinente der Musik (Richard Strauss), der Literatur (Rilke), der schönen Künste überhaupt (die Epoche des Barock) konnten so in den Orkus geworfen werden. Und das spielte der deutschen Bildungsfeindlichkeit, die die 68er so willig von den Nazis übernommen hatten, machtvoll in die Hände."

Die Hoffnung der Trostlosen

Tilman Krause über Theodor W. Adorno in der WELT.
Besuchen wir nun den "Friedhof der Kuscheltiere".
Unter diesem Titel bespricht Til Briegleb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zwei Ausstellungen in der Kestner-Gesellschaft in Hannover.
Eine ist der feministischen Künstlergruppe "Guerrilla Girls" gewidmet, die stets hinter Gorilla-Masken verborgen operiert.
"Vor dem Hintergrund des […] lange unterdrückten Wissens um sexuelle Gewalt und Ausbeutung in der Filmindustrie bekommen […] gerade die Kampagnen der Guerrilla Girls gegen Hollywood eine neue Brisanz. Seit Anfang der Nullerjahre stellen sie auf gemieteten Werbetafeln fest, dass selbst der amerikanische Senat progressiver sei als das Kino-Mekka. Zwölf Prozent Senatorinnen gegenüber vier Prozent Regisseurinnen lautete die traurige Bilanz. […] Das lässt erahnen, warum schier exklusive Selbstgerechtigkeit in einem Potenzbusiness wie dem Blockbuster-Kino in stillschweigend geduldete Vergewaltigung ausarten kann."
Aufgeklärt zurück aus Hannover: der SZ-Autor Briegleb.
Wie sich der Wille zur Geschlechtergerechtigkeit in Chauvinismus verwandeln kann, erklärt Ursula Scheer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG

'peoplekind' statt 'mankind'

Und zwar ausgerechnet am Beispiel des progressiven kanadischen Premiers Justin Trudeau.
Eine Frau hatte das Wort ‚mankind‘, etwa: Menschengeschlecht, benutzt, woraufhin Trudeau korrigierte: "‚Wir sagen lieber ‚peoplekind‘ statt ‚mankind‘, weil es inklusiver ist.‘ "
Welchen Irrtum er damit beging, erklärte Ursula Scheer so:
"Das englische ‚man‘ kam […] als sprachliches Neutrum zur Welt, das alle Menschen meint, und wanderte so in ‚mankind‘. Die Sache mit den Männern kam später. Und so war Trudeaus Wortschöpfung [‚peoplekind‘] ein gefundenes Fressen für alle Gegner politisch korrekter Wortwahl."
Okay, das war’s.
Nur soviel noch: Wovon im Vertrag der Großen Koalition mit keinem Wort die Rede ist, dazu rät eine SZ-Überschrift – nämlich zu einer "Politik der Liebe".
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