Aus den Feuilletons

Der Meister der Postironie

04:20 Minuten
Nahaufnahme von Jan Böhmermann, TV-Entertainer, der applaudiert
Wenn's Ärger gibt, dann war's nicht ernst gemeint: Das sei das "System" des TV-Entertainers Jan Böhmermann, schreibt Thore Barfuss in der "Welt". © picture alliance/dpa/Matthias Balk
Von Tobias Wenzel · 20.09.2020
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"Jan Böhmermann hat die Postironie perfektioniert", meint Thore Barfuss in der "Welt". Je nach Situation suche er sich aus, ob etwas ernst oder nur ironisch gemeint sei. Damit habe er immer eine "Verteidigungslinie für Shitstorms".
"Das erste Mal seit 1986 werden wieder mehr Vinyl-Schallplatten verkauft als CDs. Wie groß ist Ihre Plattensammlung?", fragt die TAZ Friedrich Küppersbusch. Und der antwortet: "Auf den Platten sind die guten Stellen mit dem Schraubenzieher angekreuzt, doch von den Albumhüllen trenne ich mich nur schwer."

Ernst oder Ironie?

Sich von Jan Böhmermann zu trennen, fiele Thore Barfuss sicher leicht. Denn in der WELT schreibt er:
"Jan Böhmermann hat die Postironie perfektioniert. Als unbegabter Komiker mit politischer Mission sucht er sich je nach Situation aus, ob er etwas ernst und politisch oder doch nur ironisch meint. Das ist insofern praktisch, dass er damit immer eine Verteidigungslinie für Shitstorms hat. Ernst gemeint ist es bei ihm immer nur dann, wenn es keinen Ärger gibt."
Am Freitag twitterte Böhmermann mit Blick auf Horst Seehofer, der sich weigert, eine Studie zu Rassismus in der Polizei in Auftrag zu geben: "Fick Dich, Opa!". Böhmermann habe später den Tweet gelöscht und geschrieben: "Ich hab vor Wut drei schlimme Wörter über Horst Seehofer getwittert. Ich bin traurig und verzweifelt."
Danach habe Böhmermann von "Kunstfigur-Comedy" gesprochen. "Besser kann man das System Böhmermann nicht beschreiben", kommentiert Barfuss, "Aufregung, Kunstfigur und ganz viel larmoyante Verzweiflung."

Der Satz, den Bäbel Bohley nie gesagt hat

"Wir haben Gerechtigkeit erwartet und den Rechsstaat bekommen." Dieses Zitat stammt nicht von Jan Böhmermann. Von Bärbel Bohley ist es – auch nicht. Darüber klärt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN auf. Passend. Denn in einer Beilage derselben Zeitung habe der Journalist Andreas Zielcke der Bürgerrechtlerin 1991 den mittlerweile berühmten Satz in den Mund gelegt.
Am 9. Juli 1991, stellt der Historiker klar, habe Bohley auf Einladung des damaligen Bundesjustizministers Klaus Kinkel über "40 Jahre SED-Unrecht – Eine Herausforderung für den Rechtsstaat" diskutiert und Folgendes gesagt: "Recht, so erscheint es uns jedenfalls manchmal, kommt als Ungerechtigkeit in den neuen Ländern an."
Sie wisse allerdings auch nicht, ob das westliche Recht überhaupt die Herstellung von Gerechtigkeit in den neuen Ländern leisten könne, ob da nicht eher Politiker "Zeichen der Gerechtigkeit" setzen müssten.
"Wie leicht zu erkennen ist, machte es sich Bohley längst nicht so einfach, wie ihr immer unterstellt wird mit dem Verweis auf den Satz, den sie so nie sagte", schreibt nun der Historiker Kowalczuk in der FAZ. "Anders als ihr es in den Mund gelegt wurde, jammerte sie nicht, sondern stellte nur fest, was festzustellen nötig war."

Bill Murray ist im Film er selbst

"Bill Murray ist Bill Murray", stellt Arno Frank in der TAZ zum 70. Geburtstag des US-amerikanischen Schauspielers fest, wobei es sich nicht etwa um eine Tautologie handelt, sondern sehr wohl um einen Satz mit Erkenntnisgewinn. Gemeint ist nämlich: Bill Murray bleibt auch in seinen Filmrollen er selbst.
Die Geschichten aus seinem Privatleben klingen allerdings wiederum nach Filmstorys: Sein Medizinstudium bracht er ab, weil er mit Marihuana erwischt wurde. "Okay, es waren fast fünf Kilo, und er saß dafür im Knast", schreibt Arno Frank und erzählt, dass Murray dafür bekannt sei, irgendwo aufzutauchen, um dort etwas Ungewöhnliches zu tun. So habe er ein Kind mit Geld bestochen, damit es sein Fahrrad in den Pool bugsiere.
2006, schreibt Juliane Liebert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, sei Bill Murray bei einer Party von Fremden aufgetaucht und habe dort Geschirr gespült. Für Liebert ist Murray der Mann, dem es gelinge, "jede Resignation auch komisch sein zu lassen". Sein Gesicht sei längst eine moderne Ikone: "Wenn man in den Himmel käme, und Gott hätte Bill Murrays Gesicht, es würde niemanden wundern."
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