Aus den Feuilletons

Der Hass, der Wissenschaftlerinnen entgegenschlägt

04:18 Minuten
Attila Hildmann.
Attila Hildmann hetzt in seinem Telegram-Channel regelmäßig gegen Pia Lamberty, woraufhin sie Anzeige erstattet hat. © picture alliance/dpa | Carsten Koall
Von Arno Orzessek · 09.05.2021
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Die Sozialpsychologin Pia Lamberty verlässt nur noch mit Maske das Haus, um nicht erkannt zu werden. Seit ihrem Buch über Verschwörungstheorien wird sie bedroht. Ganz vorne mit dabei: Attila Hildmann. Die "SZ" hat Lamberty getroffen.
Offenbar klotzen und nicht kleckern wollten die Verantwortlichen des Prado in Madrid, als sie einer aktuellen Ausstellung den Titel gaben: "Mythologische Leidenschaften: Tizian, Veronese, Allori, Rubens, Ribera, Poussin, Van Dyck, Velázquez."
Glaubt man der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, verspricht das Geklimper mit den ganz großen Malernamen nicht zu viel. Unter dem – ebenfalls wuchtigen – Titel "Liebe, Begehren, Gewalt" legt sich dann auch Paul Ingendaay rhetorisch mächtig ins Zeug:
"Die Ironie bleibt auch dem flüchtigsten Betrachter nicht verborgen: Menschen mit Gesichtsmasken stehen vor großformatigen Gemälden des 16. Jahrhunderts, auf denen nackte Figuren völlig distanzlos miteinander ringen, einander lustvoll bedrängen und überwältigen. Paarszenen, Massenszenen, Gelage. Und davor ein Besucher mit aktuellem PCR-Test. Überall an der Wand leuchtet sinnlich bis opulent gemalte Haut, straffen sich Muskeln und Sehnen, rollen Augen gerade dann himmelwärts, wenn es auf Hüfthöhe besonders irdisch zugeht. Die Blicke wirken manchmal, als wären sie der Frömmigkeit letzter Zufluchtsort, aber was die Körper wollen, ist ziemlich eindeutig."
Wir finden: Das kann so stehen bleiben! Sollten Sie jedoch vermuten, da schwärme ein FAZ-Macho dezent angegeilt über Bilder von Machos, die Machosex zeigen, lesen Sie einfach Paul Ingendaays ganzen Artikel. Sie werden eines Besseren belehrt.

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty wird zur Zielscheibe

Unbelehrbar sind die Menschen, die Pia Lamberty bedrohen. Die Sozialpsychologin hat 2020 gemeinsam mit Katharina Nocun das Buch "Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" veröffentlicht, und seither gilt ihr der Hass der Verschwörungstheoretikerszene. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG berichtet Philipp Bovermann von seiner Unterredung mit Lamberty:
"Ihren männlichen Kollegen werde unterstellt, sie seien das pure Böse. Sie hingegen, als Frau, bekomme gesagt, sie sei einfach nur ahnungslos. Vielleicht selbst ein Opfer. Auf jeden Fall hässlich. 'Rote Haare wie die rote Gesinnung', schrieb Attila Hildmann an seine Tausenden Abonnenten auf Telegram. Er fügte auch ihre Mail-Adresse an. 'Könnt ihr ja mal schreiben', um zu fragen, 'wieviel Geld sie von George Soros bekommt', schlug er vor. In Großbuchstaben. Sie zeigte ihn an, über eine der Beratungsstellen für Opfer von Hassrede. Was daraufhin passierte oder vielmehr nicht passierte, erfuhr sie aus den Medien. Inzwischen soll Hildmann in die Türkei geflohen sein, nachdem er beinahe ein Jahr lang zum 'WIDERSTAND!!' und zur Gewalt aufgerufen hatte."
Laut Bovermann verlässt Pia Lamberty ihr Haus nur noch mit Maske, um nicht erkannt zu werden – und mit ihrem Hund. Näheres in der SZ.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist in Gefahr

Dass in Deutschland die Freiheit auf den Hund kommt – verzeihen Sie uns diese unbeholfene Überleitung –, das behaupten in der Tageszeitung DIE WELT der Professor für Wissenschaftsphilosophie Michael Esfeld und der Philosoph und Ökonom Philip Kovce. Unter anderem beklagen sie sich – was Wunder in diesen Zeiten? – über die Einschränkungen im Zuge der Corona-Maßnahmen und wählen wuchtige Worte:
"Die Corona-Pandemie hat das totalitäre Bereitschaftspotenzial vieler Sonntagsdemokraten in ein postdemokratisches Aktionspotenzial transformiert. Die freiheitliche demokratische Grundordnung steht auf der Kippe."Im Übrigen tun Esfeld und Kovce etwas, was längst nicht jeder Kritiker der Corona-Politik tut: Sie skizzieren, wie man's aus ihrer Sicht besser machen könnte:
"Der Staat hätte sich darauf zu beschränken, den Schutz von Risikogruppen zu ermöglichen und den Schutz von Grundrechten zu gewährleisten. Dafür könnte er nicht nur Masken, Impfstoffe und Schnelltests bereitstellen helfen; er könnte auch jedem Bürger, wenn und solange eine 'epidemische Lage von nationaler Tragweite' festgestellt wird, die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten einräumen, freiwillig einen individuellen Lockdown anzutreten."
Wäre das eine Lösung? Oder doch grober Unfug, der ins Verderben führte? Entscheiden Sie selbst! Was die Auseinandersetzung mit solchen Dingen angeht, verweisen wir im Übrigen auf einen Ratschlag, der dem Berliner TAGESSPIEGEL als Überschrift dient: "Immer schön wach bleiben".
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