Aus den Feuilletons

Der Blick auf die große Leinwand ist wieder frei

04:12 Minuten
Einzelne Sitzplätze in einem Kinosaal sind mit Zetteln mit aufgedrucktem angedeuteten Virus-Symbol abgesperrt, damit Kino-Besucher einen Abstand von 1,5 Meter zueinander einhalten können.
Ein Besuch im Kino ist wieder möglich, wenn auch mit Abstand zum Sitznachbarn. © dpa/Julian Stratenschulte
Von Hans von Trotha · 17.08.2020
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Kinobesuche sind mit Abstand wieder möglich. Die "Süddeutsche" schwärmt von einem ungarischen Animationsfilm-Klassiker. Und in der "FAZ" schreibt der Kameramann Axel Block über immer mehr Technik in Filmen und die Auswirkung auf das kulturelle Erbe.
"Nun öffnen nach dem Shutdown die ersten Kinos und gestatten uns wieder den Blick auf die große Leinwand", schreibt der Kameramann Axel Block in der FAZ.
In der SÜDDEUTSCHEN ist das für Susan Vahabzadeh Anlass, auf das "Programm Neustart Kultur" von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu schauen, insbesondere auf das, was sie die "Peanuts-Klausel" nennt: "Es wurde eine Untergrenze für 'Herausbringungskosten' eingeführt. Das ist das Geld, das ein Verleih ausgibt, um für den Film zu werben."

Filmstarts von Grütters gefördert

"Seit der Krise", schreibt Vahabzadeh, "werden auch große deutsche Filmstarts von Grütters gefördert", fragt aber: "Entzieht sie zugleich den kleinsten Verleihern das Geld?" Vahabzadeh meint: "Vielleicht war die Berufsbezeichnung 'Filmverleiher' von Anfang an nicht gut gewählt; es schwingt in ihr irgendwie die Vorstellung von Fahrradverleih, bloß fürs Kino mit. Ohne Verleiher gibt es aber kein Kino, nur Filme, die darauf warten, gezeigt zu werden."
Und davon gibt es viele. Ab und zu widerfährt einem davon dann doch das Glück, auf der großen Leinwand zu erscheinen.
Ebenfalls in der SÜDDEUTSCHEN schwärmt Sofia Glasl von einem solchen Fall: "Ein Märchen wie ein Rausch", verspricht sie uns, sogar "neue Trance-Erfahrungen", denn: "Der ungarische Animationsfilm-Klassiker 'Sohn der weißen Stute' kommt restauriert ins Kino."
"Das ewige Duell Gut gegen Böse spielt sich" hier laut Glasl "in einem Sinnestaumel ab. Selten", meint sie, "hat das Kino einen solch psychedelischen Farben-, Formen- und Soundrausch hervorgebracht wie der ungarische Animationskünstler Marcell Jankovics in seinem1981 vollendeten Film", der dem Filmemacher den Titel "Ungarischer Walt Disney" eingebracht hat.
Glasl schwärmt von der "Unmittelbarkeit, mit der diese psychedelische Flut rationale Wahrnehmungsprozesse lahmlegt und mit psychotroper Wirkung direkt ins Nervensystem zu rauschen scheint. Daher", meint sie, "ist es ein großes Glück, dass dieser in Deutschland nur unter Liebhabern bekannte Film nun digital restauriert wurde und erstmals im Kino zu erleben ist."

Nicht jedes Bild ist ein gutes Bild

Dass nicht jede derartige Restaurierung gut ausgeht, ist Thema des eingangs schon zitierten Kameramanns Axel Block in der FAZ, und zwar unter dem Titel: "Nicht jedes scharfe Bild ist ein gutes Bild". "Die Vervollkommnung der Technik hinterlässt Spuren an unserem kulturellen Erbe", warnt er und erklärt, "warum die Digitalisierung klassischer Filme zum ästhetischen Problem werden kann".
"Fast unbemerkt", meint Block, "sind in den letzten Jahren die ästhetischen Charakteristika des klassischen Films verschwunden: Das projizierte analoge Bild wich dem digitalen vom Beamer. Anmutung und Faszination des analogen Bildes", meint der Kameramann, "vergehen in dem Maß, wie sich die Unwägbarkeit der Fotografie auflöst." Er zitiert Alexander Horwath, den Direktor des Österreichischen Filmmuseums in Wien mit dem Satz, "dass die derzeit geprobte Form der Filmüberlieferung in Deutschland ein noch viel prominenteres Opfer in Kauf nimmt – den Film selbst."
Block wirft einen Blick zurück auf das Aufkommen der Videokunst und auf damit verbundene "Veränderungen in der Bewertung der Bildschärfe": "Für den Kinofilm hat die Schärfe im vorigen Jahrhundert als Qualitätsmerkmal nie eine entscheidende Rolle gespielt", stellt er fest. Heute tut sie es. Dazu zitiert Block Nicolaus Freund, der in der SÜDDEUTSCHEN von einem "Soap-Opera-Effekt" sprach, "der jeden Kinofilm wie eine billig gedrehte Vorabendserie erscheinen lässt".

Lob der Unschärfe

Block spricht von einer "Übertechnifizierung", und die "hinterlässt auch Spuren an unserem Filmerbe. Neuere Restaurierungen alter Filme werden gerne in 'höchster' Qualität gescannt. Nach der damaligen Gerätetechnik, den Standards der Kopierwerke und der Projektoren landete aber nur ein Bruchteil der klassischen Filmaufnahmen auf der Leinwand. So sehen wir heute gestochen scharfe Details in alten Filmen, die früher durch die mangelnde Bildqualität gnädig vertuscht wurden und die damals vermutlich die Kollegen dazu provoziert hätten, ihre Objektive in Vaseline zu tauchen, um der digitalen Überschärfe zu entgehen."
Das ganz scharfe Hinsehen bringt hier etwas hervor, womit wir vielleicht nicht gerechnet haben: eine Sehhilfe der besonderen Art, ein technisch fundiertes, enthusiastisches Lob der Unschärfe.
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