Aus den Feuilletons

Denken statt daddeln

04:13 Minuten
Alter Mann auf einer Parkbank am Kochelsee in Bayern.
Müßiggang ist nicht aller Laster Anfang, sondern oft der Beginn umwälzender geistiger Entwicklungen. © imageBroker/picture alliance
Von Ulrike Timm · 04.11.2019
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Durch die ständige Erreichbarkeit mittels Smartphone fehle den Menschen Zeit zum Grübeln, schreibt die "TAZ". Und vermutet, dass die großen Erfindungen der Weltgeschichte mit Mobiltelefon niemals stattgefunden hätten.
"Noch vor wenigen Jahren wurden Briefe geschrieben, und erst nach einigen Tagen setzte das Warten auf eine Antwort ein. In derselben Zeit, in der man einst einen Brief verfasste, schreiben wir heute 30 oder 40 Nachrichten – und direkt nach dem Absenden beginnt das Warten."

Ohne Stillstand kein Antrieb

Das Warten aber haben wir verlernt, und zugleich nimmt es immer mehr Zeit in unserem Leben ein, meint die TAZ und scheint ein wenig im Novemberblues. Klar, wir sind ständig beschäftigt und permanent erreichbar, aber einen großen Teil der Zeit daddeln wir schlicht rum, weil wir nicht einfach nur so da sein können.
"Doch ohne Stillstand kein Antrieb, ohne Leerlauf keine Muße," meint Timo Reuter in der TAZ.
"Als sich Martin Luther fast ein Jahr lang gelangweilt auf der Wartburg versteckte, übersetzte er die Bibel ins Deutsche. Was wäre wohl gewesen, wenn er ein Smartphone bei sich gehabt hätte? Ob Isaac Newton wirklich den Apfel hätte vom Baum fallen sehen, um daraufhin die Gravitationslehre zu begründen, wenn er auf dem Tablet gespielt hätte, statt wartend und grübelnd im Garten zu sitzen?"
Das Plädoyer, das Ding öfter wirklich mal auszustellen und es sich nicht nur vorzunehmen, steht in der TAZ, und weiter: "Es wäre ja auch absurd, ausgerechnet das, was uns so wertvoll ist und wovon wir so wenig zu haben scheinen, beim Warten totschlagen zu wollen: die Zeit."

Mona Lisa fürs Wohnzimmer von IKEA

Ein bisschen fährt die FAZ das Gegenprogramm zum Warten, oder besser, das macht das Möbelhaus IKEA, das es ins Feuilleton geschafft hat. Da gibt es nämlich Wunscherfüllung sofort, will sagen: Sie brauchen nicht mehr in den Louvre, sie können sich die Mona Lisa auch nach Hause holen und als Lichtobjekt über der Couch installieren. In Originalgröße strahlt sie von hinten beleuchtet.
Virgil Ablohs, laut Kunstmagazin Monopol ein "Künstler/Designer-Phänomen" hat Lisas Leuchten für die Kundschaft entwickelt und limitiert, man rechnet mit Andrang, für jeden gibt es nur eine. Knapper Kommentar der FAZ: "Es gibt sie immer wieder, die Dinge, die einfach keiner braucht."

Schauspieler aus dem Computer

Gilt vielleicht auch für viele Katastrophenfilme, aber sie machen auf der Leinwand halt doch was her. Die WELT hat den Filmproduzenten Roland Emmerich gefragt, wie und was denn für seinen Kriegsfilm über eine Schlacht auf dem Pazifik zwischen Japan und Amerika überhaupt noch wirklich gefilmt wurde. Antwort:
"Gar nichts! – das ist 100 Prozent Computer – selbst der Pilot."
Der Einsatz der Schauspieler ist äußerst effizient, erfuhr die WELT:
"Man muss so planen, dass man die Schauspieler nicht lange hat. Manchmal musst Du sogar eine Szene, in der zwei Schauspieler miteinander reden, drehen, obwohl die sich nie am Set getroffen haben. Das sind so die Tricks, um so einen Film doch machen zu können."

Musiker aus Fleisch und Blut

"Das jüngste Gericht fällt leider aus" – die beste Titelzeile ziert die SÜDDEUTSCHE, und anders als im Emmerich-Film ist in der Oper die Kunst noch selbst gemacht. Da kommen ja alle ganz real, Sänger, Musiker, Dirigent, Beleuchtung, Bühnenarbeiter – kein Fake, alle sind sie wirklich da, jeden Abend, wo’s gilt.
Helmut Mauró hat György Ligetis tragikomisches Musiktheaterstück Le Grand Macabre erlebt, in dem unter anderem der Teufel den Weltuntergang verpennt. Eine in vielerlei Hinsicht tolle Komposition, "manchmal hat man den Eindruck, im Orchestergraben findet mehr Sex statt als auf der Bühne. Ligeti tobt sich auf breitem Feld aus, kreiert ein komplexes Chaos, Blech und Schlagzeug haben reichlich zu tun."
Calixto Bieito hat Le Grand Macabre in Dresden inszeniert, da gab es dieses fulminante und publikumsfreundliche Werk der Neuen Musik bislang noch nie. Wenn’s für Sie erreichbar ist – nix wie hin! Echte Kunst, real gemacht, und saukomisch obendrein.
Die von hinten beleuchtete Mona Lisa können Sie gerne im Möbelhaus belassen.
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