Aus den Feuilletons

Das Literarische Quartett ist passé

04:15 Minuten
"Das Literarische Quartett": Thea Dorn, Ulrich Matthes, Andrea Petkovic, Lisa Eckhart
Eine Tennisspielerin, eine Satirikerin, ein Schauspieler und Thea Dorn beim "Literarischen Quartett". Was Marcel Reich-Ranicki wohl dazu sagen würde? © picture alliance / dpa / ZDF / Jule Roehr
Von Arno Orzessek · 06.12.2020
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Hat das "Literarische Quartett" noch eine Daseinsberechtigung? Damit beschäftigt sich die "SZ" und antwortet: "In dieser ZDF-Sendung halten zwar vier Leute Bücher in die Kamera, doch über Literatur ist da schon seit Jahren nicht mehr geredet worden."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG veröffentlicht eine Kritik der jüngsten Pandemie-Maßnahmen alias "Lockdown light" aus der Feder von Oliver Lepsius, Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie. Das aktuelle Vorgehen der Exekutive beschreibt Lepsius so:
"Es wird nicht mehr primär danach gefragt, welchen Beitrag der Einzelne zur Risikoreduzierung erbringen kann, sondern pauschal ohne Ansehen individueller Präventionsleistungen ein ganzer Bereich stillgelegt, der schon terminologisch als Freizeit und Unterhaltung relativiert wird. Wenn Kontakte nach Schulschluss und Feierabend unterbleiben, so ist die Grundlogik, dann reduziert dies das tägliche Infektionsrisiko pauschal."

Die Aufklärung steht auf dem Spiel

Diese Strategie sei Ausdruck einer Hilflosigkeit. "Wahrscheinlichkeiten spielen keine Rolle mehr. Kritische Nachfragen werden mit dem Hinweis pariert, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass man sich beim Theaterbesuch infiziere. Solche Negativbeweise aber gibt es nicht. Wer so argumentiert, setzt prozessuale Errungenschaften der Aufklärung aufs Spiel. Die Hexe konnte im Hexenprozess ihre Unschuld auch nicht beweisen. Ist sie also zu Recht verbrannt worden?"
Okay, sehr polemische Frage! Gleichwohl empfehlen wir den FAZ-Artikel von Oliver Lepsius uneingeschränkt.

Dekadente Naturvorstellungen von Corona-Leugnern

Selbiges gilt für das Interview der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit dem Philosophen Boris Groys:
"Es ist kein Zufall, dass viele Corona-Leugner einer romantischen Naturvorstellung anhängen: Der Mensch und die mächtigen Konzerne sind böse, die Natur ist gut, sie kann nicht so grausam sein wie das Coronavirus. Dieses idyllische Bild der Natur kann man nicht anders erklären als mit Dekadenz. Wer das glaubt, übersieht, dass es Krankheiten gibt und dass er sterben wird.
Das ist die Vorstellung von Wohlstandskindern: Die Welt und die Natur sind dafür da, dass es mir gut geht. Und wenn nicht, sind daran die Mächte der Finsternis schuld. Weil die Medien von der Pandemie berichten, müssen sie in dieser Logik zu den Mächten der Finsternis gehören."

Das Geheimnis von Eminems Erfolg

Und noch ein starkes Interview: Die TAGESZEITUNG führt es mit der Schriftstellerin und Autorin Antonia Baum, die ein Buch über den weißen US-Rapper Eminem geschrieben hat. Baum leugnet nicht, dass Eminem – einer der erfolgreichsten Einzelinterpreten überhaupt – schwulenfeindliche und misogyne Texte geschrieben hat. Aber sie sieht auch die anderen Aspekte:
"Im amerikanischen Bewusstsein war Rap mit Getto assoziiert, das war für Schwarze reserviert und solange das so war, gab es auch kein Problem. Dann trafen Zuschreibungen, die mit Rap assoziiert wurden, plötzlich auf einen Weißen zu: alleinerziehende Mutter, Drogenabhängigkeit, Gewalt, Armut. Eminem hat sich damit auch noch ins Zentrum gestellt und gesagt, schaut mich an, ich bin so und ich sage das auch noch. Das war ein Angriff auf das weiße Selbstbild. Er hat mit seiner Erzählung auch die Keimzelle des christlichen, evangelikalen, weißen Amerikas, nämlich die Familie, auseinandergenommen. Deswegen haben sich alle aufgeregt."

Das "Literarische Quartett" ist überflüssig

Ach ja, auch den Artikel "Strampeln mit Büchern" in der SZ sollten Sie keinesfalls verpassen! Marie Schmidt knöpft sich das "Literarische Quartett" vor:
"Komisch eigentlich, dass es immer noch 'Das literarische Quartett' heißt, und nicht zum Beispiel 'Deutsche Charakterkritik'. In dieser ZDF-Sendung halten zwar vier Leute Bücher in die Kamera, doch über Literatur ist da schon seit Jahren nicht mehr geredet worden. Es geht meistens darum, wie eine Autorin oder ein Autor etwas gemeint hat und wie er einem deswegen als Mensch so vorkommt, oder was seine Figuren machen, und ob das ein nachvollziehbares Handeln ist. Es geht noch nicht mal um Handlung in einem dramaturgischen Sinn, und schon gar nicht um Literatur als Kunst."
Kurz: Die Montagsfeuilletons provozieren, erklären vieles, sie machen gute Laune und Letzteres gilt vor allem für folgende Überschrift im Berliner TAGESSPIEGEL: "Bups, Bipsbups, Schnibbelschnups".
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