Aus den Feuilletons

Corona adé?

04:00 Minuten
Junge Leute an einem sonnigen Tag im Mai 2021 in Berlin Kreuzberg.
Die Normalität kehrt zurück und damit können sich wieder mehr Menschen versammeln - manche bedauerten das, schreibt der Freitag. © imago images / Jürgen Held
Von Tobias Wenzel · 26.05.2021
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Die Inzidenzen sinken und vielerorts können Corona-Beschränkungen gelockert werden. Doch die Rückkehr zur Normalität berge auch Angstpotenzial, schreibt der "Freitag" - für manche Menschen hatte die Zeit der Isolation auch positive Aspekte.
Die Feuilletons vom Donnerstag setzen auf außergewöhnlich starke Bilder, um in die nahe Zukunft zu blicken und sich einer Antwort auf die Frage anzunähern: Wie wird es wohl sein, das Heraustreten aus der Pandemie?
"Angst vor der Normalität" titelt die Wochenzeitung DER FREITAG zu "Nighthawks", dem berühmtesten Bild des US-amerikanischen Malers Edward Hopper. Na ja, im Original gibt es nur vier Menschen in einer dementsprechend leeren Bar bei Nacht.

Angst vor dem Gedränge

Der Freitag hat nun gut zwei Dutzend weitere Menschen hineinmontiert, sodass die Bar voll und belebt wirkt, und außerdem einen Mann im weißen Schutzanzug und mit Maske im Gesicht draußen vor der Bar positioniert. Es ist, als blickte dieser Mann aus der Welt der Pandemie durch die Scheibe nicht nur in eine Bar, sondern zugleich in die Zeit vor der Pandemie und in die mögliche Zeit danach. Das Leben kehre zurück, heißt es weiter unter der Collage. "Aber sind wir auch bereit dafür?"
Anstatt optimistisch und froh in eine pandemiefreie Zukunft zu sehen, legen die Feuilletonisten ihre Stirn in Sorgenfalten und suchen die Bildredakteure nach Schaurigem. "Verzehrt uns die Flamme, die wir den Göttern stahlen?", ist im Feuilleton der WELT unter dem Abdruck eines Ölgemäldes des flämischen Künstlers Jacob Jordaens aus dem 17. Jahrhundert zu lesen: Prometheus ist angekettet an einen Felsen, während ein Adler, der für den Gott Zeus steht, Prometheus zu zerfleischen droht.
Jan Küveler bemüht den Prometheus-Mythos, weil er seiner Meinung nach zu der Vermutung passt, das Coronavirus stamme doch von Menschenhand, nämlich aus einem Labor aus Wuhan.

Menschengemachtes Virus?

Dementsprechend laute das Narrativ, der Mensch habe sich, dem Feuerdieb Prometheus gleich, über das Gesetz der Götter beziehungsweise der Natur "eigenmächtig" hinweggesetzt:
"Im chinesischen Labor habe demnach ein zeitgenössischer Frankenstein gewerkelt", führt Küveler diese deutende Erzählung aus. "Eines Tages sei er über die eigene Hybris gestolpert, und das Monstrum, ein Zwitterwesen aus mikroskopisch kleinen Leichenteilen und Technologie, habe sich davongemacht, um seinen Schöpfer fortan rachsüchtig zu verfolgen. Schon Frankenstein betrieb daraufhin entschiedenes Social Distancing, floh bis in die entvölkertste Arktis und wurde selbst da von seiner Nemesis eingeholt." Na, das sind ja mal Aussichten für uns Menschen!

Kino ohne Popcorn

Aber es geht auch etwas realistischer, allerdings nicht minder trübselig: Jessy Asmus hat für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG eine Illustration geschaffen, in der ein Mann, angestrahlt von einem Scheinwerfer, umgeben von leeren Plätzen, im Kino sitzt. Der Mann trägt einen Mund-Nasen-Schutz und hält – man kann es nicht genau erkennen – eine Tüte Popcorn oder Pommes Frites in der Hand.
Das wirkt tragikomisch, weil er ja mit Maske nicht essen kann, passt aber perfekt zu David Steinitz' Artikel darunter. Denn Kinos dürfen in Deutschland zwar ab Juli wieder aufmachen. Allerdings muss der Mindestabstand zwischen den Besuchern gewahrt sein. Und außerdem müssen sie während der gesamten Vorführung einen Mund-Nasen-Schutz tragen und dürfen währenddessen nichts essen.

Pandemie als Geschenk

Zum Schluss noch einmal zum Anfang, zum dort zitierten FREITAG. Darin geht die Autorin Ruth Herzberg sogar noch einen Schritt weiter oder besser: einen zurück. Denn sie trauert schon jetzt der Pandemie nach. "Verweile, oh du Sehnsucht nach Nähe", ruft sie aus und erklärt, warum sie sich in der Pandemie endlich nicht mehr allein gefühlt hat:
"Für mich als impulsiven Menschen war das Kommunizieren mit anderen während der Pandemie ein Geschenk. Während des Ausnahmezustandes waren alle dort, wo ich sowieso immer bin: am Rande des Nervenzusammenbruchs."
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