Aus den Feuilletons

Comiclegende Art Spiegelman wird 70

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Eine Zeichnung aus den "Maus"-Büchern von Art Spiegelman. Der bedeutende Comiczeichner wir 70. © picture alliance/dpa
Von Hans von Trotha · 14.02.2018
Die "FAZ" hält es für möglich, dass ein Cyberkrieg gravierender als der Klimawandel sein könnte. Die "Zeit" und "SZ" gratulieren dem Comiczeichner Art Spiegelman zum 70. Geburtstag.
Schnell noch ein paar grundsätzliche Themen, bevor ganz Berlinale ist. – Obwohl: für "schnell" sind die Themen zu grundsätzlich – geht es doch um nicht weniger als um einen ganz andern Blick auf sehr prägende Dinge.

Aus den Krisen der 70er-Jahre lernen

Auf die Gefahr eines Cyberkriegs zum Beispiel, die Wolfgang Kleinwächter in der FAZ beschwört. Wir denken zu wenig daran, meint er. So wie wir früher zu viel an den Atomkrieg gedacht haben vielleicht? Und tatsächlich: "In vielen Aspekten ähnelt die Welt von heute der Welt der sechziger Jahre", schreibt Kleinwächter. "Damals folgte eine Krise auf die andere. Gleichzeitig gab es eine Gegenbewegung zum Abbau der Spannungen", insbesondere die "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE). "Im Grunde" , meint Kleinwächter, "geht es heute im Cyberspace um die gleichen Themen: Vermeidung eines Cyberkrieges, Gestaltung der digitalen Wirtschaft und Gewährleistung digitaler Grundrechte. So könnte", findet er, "die KSZE der siebziger Jahre eine 'Quelle der Inspiration' für eine "KSZC" des kommenden Jahrzehnts sein."
Und für alle, die die Dringlichkeit am Ende seines Artikels immer noch nicht verstanden haben, hat er dann noch den ganz großen Vergleich parat: "Schließlich", endet er, "könnte die Alternative – ein instabiler Cyberspace – schlimmer sein als der Klimawandel."

Ein Comic hat die Erinnerung an den Holocaust verändert

Von einem ganz anders gearteten, aber nicht minder grundlegenden Perpsektivwechsel erzählt Deborah Feldman in der ZEIT. "Berlin hat mich befreit", schreibt die jüdische Schriftstellerin und plädiert "für einen neuen Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust". "Sehr wohl ist es möglich", schreibt sie, "dass der wahre Grund, warum Deutschland und seine Kultur eine solche Anziehung auf mich ausüben, in einer gewissen Symmetrie liegt. Ich, die Jüdin, aufgewachsen in einer Gemeinschaft, in welcher der Holocaust jeden Moment des Wachens und Schlafens durchflutete, hatte mich in einer amerikanischen Gesellschaft wiedergefunden, die mit diesem Ereignis, das mein Bewusstsein definierte, sehr wenig verband. Bei einem Deutschland-Besuch aber hatte ich die überraschende Erfahrung gemacht, in einen Spiegel zu blicken: Endlich war da eine Welt, in der jeder andere auch von diesem Ereignis ebenso verfolgt zu sein schien wie ich selbst. "
"Und", fährt sie fort, "seit mir deutlich geworden war, dass ich derart tief vom Holocaust geformt worden war, zermarterte ich mir den Kopf über das Vermächtnis, das ich meinem Sohn hinterlassen mochte. Ich hatte", erzählt sie, "es vermieden, mit meinem Sohn über den Holocaust zu sprechen, und erst als wir in Deutschland ankamen, begannen wir, darüber zu reden, aber jetzt auf eine andere Weise. Ich begann unser Gespräch, indem ich ihm das Buch Maus von Art Spiegelman in die Hand drückte. Darin werden unterschiedliche Gruppen von Menschen durch unterschiedliche Tierarten repräsentiert. Das vollständige Spektrum möglichen menschlichen Verhaltens ist in der Erzählung abgebildet; wo aber jeder Einzelne mit seinem Charakter landet, ist ganz und gar beliebig. Also schloss", so Feldman, "mein Sohn dieses Buch nicht in dem Glauben, bestimmte Menschen seien dubios; er schloss es mit dem Verständnis, dass wir all diese Charaktere zugleich sind."

Eine Legende hat Geburtstag

Mehrere Blätter würdigen eben diesen Art Spiegelman zu dessen siebzigsten Geburtstag. Martina Knoben bezeichnet ihn in der Süddeutschen als "den Mann mit der Mausmaske" und das Werk als "epochal in der Comicliteratur". Andreas Platthaus nennt Spiegelman in der FAZ den "bedeutendste(n) lebende(n) Comiczeichner" sowie "eine Legende … weit über Comic-Kreise hinaus. Der Grund", so Platthaus: "Es gibt genre- und kulturübergreifend eine Zeit vor "Maus" und eine danach."
Deborah Feldmans Plädoyer für einen anderen Umgang mit dem Holocaust in der ZEIT wirkt wie eine große implizite Würdigung Art Spiegelmans, während die tagesaktuellen Feuilletons ihn explizit würdigen. Andreas Platthaus zitiert den Geehrten mit dem Satz: "Ich bin so viel geehrt worden, wie ich es gerade noch aushalte." Die Art und Weise, in der er Deborah Feldmans Sohn ausgerechnet in Berlin zu einem anderen Umgang mit dem Holocaust verholfen hat, könnte ihm als Würdigung durchaus gefallen. Und wir sollten darüber nachdenken.
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