Aus den Feuilletons

China als Mafia-Staat

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Der chinesische Künstler Ai Weiwei bei einer Podiumsdiskussion.
Wenn man in China die Stimme erhebe, sei man keine Sekunde glücklich, sagte Ai Weiwei im Interview mit der "SZ". © picture alliance/Armin Weigel/dpa
Von Tobias Wenzel · 29.12.2019
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Ideologie spiele in China keine große Rolle, viel wichtiger seien persönlichen Beziehungen, sagt Ai Weiwei im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Das meint der Künstler jedoch nicht positiv - er nennt das Reich der Mitte einen "Mafia-Staat".
Wie halten Sie, liebe Hörer, es eigentlich mit dem "Überzeugungsabhärtungsprinzip"? Mit dem was...? Zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane an diesem Montag blickt Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG auf das Fontane-Jahr zurück und zitiert einige vom Schriftsteller und Feuilletonisten erfundene lange Komposita: "Gemütlichkeitsrangliste", "Schuhbürstenbackenbart" und eben "Überzeugungsabhärtungprinzip".
Heute seien uns Fontantes Figuren so nah wie Zeitgenossen, behauptet Tilman Spreckelsen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und gibt ein Beispiel: "Frau Jenny Treibel etwa aus Fontanes gleichnamigem Roman, in kleinen Verhältnissen aufgewachsen und in der Ehe mit einem Fabrikanten reich geworden, die ständig von der Kunst spricht, die doch das einzig Wahre sei, und zugleich dem eigenen Vorteil alles unterordnet, die zuverlässig über den gesellschaftlichen Marktwert jedes Künstlers Auskunft geben könnte, ohne sein Werk besonders zu kennen", schreibt Spreckelsen. "Kennen wir sie nicht aus eigener Anschauung als Protagonistin der Kulturindustrie?"

Ein Konstrukt mit 1,3 Milliarden Menschen

Aus eigener Anschauung kennt der Künstler Ai Weiwei chinesische Gefängnisse und die Methoden der Machthaber: "Man ist keine Sekunde glücklich, wenn man in China die Stimme erhebt", sagt er im Gespräch mit der SZ.
Ob es eine Möglichkeit gebe, gegen die Überwachung in China vor Ort zu protestieren: "Bereits bevor die Kommunisten an der Macht waren, haben sie interne Säuberungen durchgeführt. Etwa ein Viertel der Mitglieder haben sie verhaftet oder umgebracht mit der Begründung, sie seien Spione, was lächerlich ist. Oder aber sie schlugen den Leuten Arme oder Beine ab, um sicherzustellen, dass alle loyal waren zur Partei", sagt Ai Weiwei. "Das ist ein Mafia-Staat, die Ideologie spielt keine große Rolle. Die persönlichen Beziehungen sind viel wichtiger. Aber in einer modernen Gesellschaft mit 1,3 Milliarden ist das ein sehr fragiles Konstrukt, das jederzeit auseinanderbrechen kann."
Was machen eigentlich Menschen, die solche Probleme nicht haben, die in keinem Mafia-Staat leben, sondern im demokratischen Deutschland? Was machen die mit ihrer Freiheit in ihrer Freizeit zwischen den Jahren?

Nicht "Eva Braunkohle" sondern "Umweltsau"

Sie schimpfen in den sozialen Medien über eine satirische Umdichtung des Lieds "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad", von Kindern eingesungen und vom WDR als Video auf Facebook veröffentlicht. "Die Oma, die im Refrain dieses deutschen Stuhlkreis-Schlagers normalerweise 'eine ganz patente Frau' ist, wurde in der Umdichtung 'eine alte Umweltsau' – weil sie nicht nur Motorrad fährt, sondern auch mit dem SUV zum Arzt und sie außerdem täglich Kotelett isst", erläutert Peter Weissenburger in der TAZ. "Das ist alles. 'Umweltsau'. Nicht etwa 'Flugreisen-Fotze' oder 'Boomer-Bitch' haben sie gesungen, nein, auch nicht 'Eva Braunkohle' haben sie die Oma genannt."
Sondern eben nur "Umweltsau". Trotzdem löschte der WDR servil das Video nach den wüsten Netz-Protesten von Menschen, die so empfindlich sind, dass, wenn man ihrer Logik folgt, Satire gar nichts darf. Peter Weissenburger jedenfalls möchte da schreien. Dass sich dann auch noch WDR-Intendant Tom Buhrow, per Handy zugeschaltet in eine Radio-Sondersendung zum Thema, für das Lied entschuldigte und betonte, er besuche gerade seinen 92-jährigen Vater im Krankenhaus und der sei keine "Umweltsau", gibt Weissenburger den Rest und lässt ihn nur noch hinzufügen: "Ganz sicher ist der Mann auch keine Klima-Kanaille, kein Auto-Abgas-Assi und auch kein Atom-Arsch."
"Auto-Abgas-Assi", das Wort hätte dem Komposita-Liebhaber Fontane sicher gefallen.
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