Aus den Feuilletons

Blühende irische EU-Landschaften

04:12 Minuten
Blick in die Shop Street von Galway
Der "Tagesspiegel" feiert Galway als eine der zwei Kulturhauptstädte Europas 2020, die bei jungen Leuten sehr beliebt zu sein scheint. © Unsplash / Ruby Doan
Von Ulrike Timm · 02.02.2020
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Das irische Galway ist eine der Kulturhauptstädte Europas 2020 und der "Tagesspiegel" zeigt sich begeistert. Feiernde junge Menschen trotzen dort dem landestypischen Regen, und die EU-Mitgliedschaft hat das Land prosperieren lassen.
Und, wie haben die Briten ihren Austritt nun gefeiert? Nigel Farage und die Seinen im Schatten des eingerüsteten und schweigenden Big Ben, Boris Johnson verschanzt hinter dem Eisengitter von Downing Street mit "englischem Sekt und von kontinentaleuropäischen Einflüssen unkorrumpierter Kost." So hat es Gina Thomas von der FAZ erlebt. Aufschlussreich und unterhaltsam wird ihr Artikel, wo sie in der Rückblende den Eintritt Großbritanniens in die damalige EWG aufblättert.

Fing der Brexit schon beim Beitritt an?

"Im Nachhinein wirkt es wie ein Omen, dass der Union Jack beim Beitritt Britanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 1. Januar 1973 falsch herum vor dem Berlaymont-Gebäude in Brüssel gehisst wurde", lesen wir in der FAZ, und weiter "der Daily Mirror erklärte, jetzt sei Schluss mit etwaig anhaltenden Vorstellungen, dass die Briten ein Spießerhaufen seien, die glaubten, Gott habe den Ärmelkanal geschaffen, um sie vor den Ausländern und deren komischen Arten zu bewahren." Autsch.
Mit dem TAGESSPIEGEL möchten wir schnurstracks nach Galway reisen, in die Kulturhauptstadt 2020, ganz im Westen Irlands. Am nächstgelegenen Flughafen wird man von Güllegeruch eingenebelt und der Bus weiter nach Galway tuckert so selten wie holprig – aber dann! Quirlig geht es zu, der berüchtigte haarfeine, eiskalte irische Regen verdrießt die jungen Partygänger nicht im mindesten und die Bürgersteige werden nach Mitternacht noch lange nicht hochgeklappt.

Irland durch EU wohlhabender

Anders als einst in Heinrich Bölls Irischem Tagebuch beschrieben, prosperiert die Gegend. "Die Wende hat viel mit dem Beitritt zur damaligen EWG 1973 zu tun, als das 1921 unabhängig gewordene Land endgültig aus dem Schatten der einstigen Kolonialmacht Großbritannien trat", so der TAGESSPIEGEL. "Aus dem tiefarmen Land, das jahrhundertelang vor allem Menschen exportierte, ist ein wohlhabender EU-Nettozahler und Anziehungspunkt für Immigranten geworden. Die deutschen Nostalgie-Touristen sind jungen Spaniern und Italienern gewichen, die als Erasmus-Studierende die Stadt bevölkern." Galway, eine Empfehlung des TAGESSPIEGELs, und schön, dass der Artikel ohne großes Ätsch wider die Briten auskommt. Muss ja alles doch irgendwie weiter gehen.
Ätsch dagegen vom großen Geiger Maxim Vengerov – wider die traditionellen CD-Labels. Er hat einen Exklusivvertrag mit dem Streamingdienst Idagio geschlossen. "Das zeigt, wie sich der Markt verändert", lesen wir in der Süddeutschen Zeitung, immerhin 16 Prozent der Klassikhörer setzen auch auf Streamingdienste, vor 15 Jahren waren es gerade mal drei Prozent. Vengerovs Kollegin Julia Fischer hat inzwischen sogar ihren eigenen Streamingdienst aufgemacht, und auch wenn im Klassikbereich die CD nach wie vor die tragende Rolle spielt – die Vielfalt im Netz erweitert das Angebot und ist eine Riesenchance.

Klassik - digital und analog

Wie ein Zwischenruf hallt es da aus der TAZ: "Technikaffine Musikliebhaber gibt es oft! Offenbar werden da ähnliche Hirnregionen angesprochen". Das sagt der Intendant der Hamburger Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, der sich nach wie vor darüber freuen kann, dass die Leute ihm begeistert die Bude einrennen, echt und live und komplett nicht-digital. Vor allem aber – die gesamte Musikszene profitiert, so Lieben-Seutter: "Wenn man Elbphilharmonie und Laeiszhalle gemeinsam betrachtet, gehen in Hamburg drei Mal so viele Leute in Konzerte wie vor der Eröffnung." Nämlich 1,2 Mio. Konzertbesucher insgesamt. Chapeau!
Wer trotzdem lieber vor dem Fernseher hockt – das ZDF bringt "Tage des letzten Schnees", einen vorab viel gelobten Krimi mit Henry Hübchen als Kommissar, still und melancholisch kommt der große Schauspieler da rüber. Im Gespräch mit der Süddeutschen sagt Hübchen: "Ich habe das Drehbuch gelesen und gedacht: die anderen haben ja alle eine Riesenbandbreite an Darstellung, und der Kommissar sitzt da nur – und guckt".
Wenn Sie mögen, gucken Sie ihm beim Gucken einfach zu!
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