Aus den Feuilletons

Berufswunsch Frau

Zwei Schaufensterfiguren schauen sich an.
Die "SZ" zitiert Siri Hustvedt: "Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen (...) schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk (...) einen Schwanz und ein Paar Eier ausmachen kann." © picture alliance / dpa / Victoria Bonn-Meuser
Von Hans von Trotha · 04.10.2016
Papst Franziskus hat die Gender-Theorien in französischen Schulbüchern als Teil eines "Weltkriegs zur Zerstörung der Ehe" bezeichnet, so die "SZ". Warum? Ein Franzose, so der Papst, habe ihm vom Berufswunsch seines Sohnes erzählt: Der Zehnjährige wollte eine Frau werden.
Eines der großen philosophischen Probleme zieht sich durch die Feuilletons, als sei's ein feuilletonistischer Lehrtag in Fragen Identität. Wer sind wir? Nun, es gibt Fälle, da wollen wir das gar nicht wissen. Bei Elena Ferrante zum Beispiel. In der SÜDDEUTSCHEN plädiert Maike Albath vehement dafür, dass "die italienische Schriftstellerin ein Recht auf Anonymität hat".
"Nino Sarratore ist ein Lügner", setzt Albath an, "ein Blender, geltungssüchtig, politisch wankelmütig, berechnend. Nino Sarratore ist eine erfundene Figur, einer der Helden in Elena Ferrantes großer Neapel-Tetralogie 'Meine geniale Freundin'. Er ist die schlimmste Ausprägung der patriarchalen Gesellschaft, das schlimmste Beispiel für einen italienischen Mann. Seine herausragende Eigenschaft: die der Selbstermächtigung. Mit dieser Haltung", so Albath, "hat der Journalist Claudio Gatti sich daran gemacht, das Pseudonym 'Elena Ferrante' zu lüften. Der Tonfall von Gattis Text ist der einer Enthüllungsrecherche, die einem Vergehen auf die Spur kommt – so als habe niemand ein Recht, die eigene Autorschaft zu verbergen, schon gar nicht eine Frau."

Schuld ist der Papst

Denn zur Identität gehört nicht nur ein Name, sondern auch ein Geschlecht. Das sich nicht nur das eine, sondern auch das andere bisweilen ändern kann, bewegt gerade Frankreich. "Wie man eine Frau wird", titelt die FAZ und die SÜDDEUTSCHE: "Unser Sohn bleibt Männchen!" Schuld ist der Papst. Der hat erzählt, ein Franzose habe ihm erzählt, sein zehnjähriger Sohn habe auf die Frage, was er später werden wolle, geantwortet: eine Frau.
"Auf dem Rückflug aus Georgien und Aserbaidschan", erläutert Jürg Altwegg in der FAZ den Hintergrund, "hatte sich Franziskus auf die Gender-Theorien in den französischen Schulbüchern berufen und sie als Teil eines 'Weltkriegs zur Zerstörung der Ehe' bezeichnet."
Und Altwegg zitiert die französische Bildungsministerin:
"Dem Papst unterstellt sie, sich von den Manipulationen der französischen Fundamentalisten instrumentalisieren zu lassen: Er sei ein ziemlich willfähriges 'Opfer ihrer Desinformation'."
Joseph Hanimann fasst es in der SÜDDEUTSCHEN so:
"Eine Bemerkung des Papsts hat für neue Aufregung gesorgt. Aufsehen hatte das Thema zum ersten Mal vor fünf Jahren erregt, als Konservative sich empörten, französische Schulbücher für die Mittelstufe lehrten im Fach 'Lebens- und Erdkunde', dass männliches und weibliches Geschlecht zwar eine biologische Realität sei, uns aber deswegen nicht unbedingt zu Männern und Frauen mache."

Witze von Männern schneiden besser ab

Der Frage, wie wichtig es dann so oder so am Ende immer noch ist, ob wir als Mann wahrgenommen werden oder als Frau, geht Alex Rühle in der SÜDDEUTSCHEN aus gegebenem Anlass nach, indem er erläutert, warum Autorinnen häufig unter Pseudonym schreiben.
"Wer im 19. Jahrhundert als Autorin ernst genommen werden wollte, schrieb besser als Mann."
Zur aktuellen Lage zitiert Rühle die Autorin Siri Hustvedt:
"Die eröffnet ihren Roman 'Die gleißende Welt' mit einem deutlichen Satz: 'Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze und Parodien, schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein Paar Eier ausmachen kann.' Geschrieben", erläutert Rühle, "hat den Satz die Heldin des Buches, die fiktive Künstlerin Harriet Burden, die ihre Werke aus eben diesem Grund unter männlichen Pseudonymen veröffentlicht. Die Autorin hinter Elena Ferrante wählte von Anfang ein weibliches Pseudonym. Sie hätte sich aber sicher gut mit Burden verstanden."
Rühle zitiert zudem den preisgekrönten französischen Autor Joseph Andras, von dem man nichts weiß außer eben dies: dass er nicht Joseph Andras heißt. Er meint:
"Alles ist im Buch enthalten, ich sehe nicht, was ich hinzuzufügen hätte."
Und er bringt es auf den Punkt:
"Ein Bäcker bäckt Brot, ein Autor schreibt."
Was, fragt man sich da unwillkürlich, macht eigentlich ein Papst? Zumindest sollte er sich überlegen, welche Anekdoten er Journalisten im Flugzeug erzählt und ob er sich in Debatten instrumentalisieren lassen will, die so komplex sind wie die Frage nach der Identität. Denn da passiert es leicht, dass er noch viel päpstlicher wirkt als der Papst.
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