Aus den Feuilletons

Berlinale-Absage mit Einschränkung

04:22 Minuten
Das Bild zeigt den Platz vor dem Berlinale Palast am Potsdamer Platz. Zu sehen ist das Berlinale-Plakat.
Aus einer Berlinale werden zwei: Im März wird sie digital als Branchenereignis stattfinden – und im Juni dann mit Publikum. © dpa / picture alliance
Von Tobias Wenzel · 17.12.2020
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Die Berlinale soll stattfinden, aber zweigeteilt im März und im Juni, schreibt die "Welt". Die coronabedingte Verlegung des Festivals habe aber einen Nachteil: Das Medienecho bei Schmuddelwetter im Februar – dem sonst üblichen Termin – sei größer.
"Ich brauche die absolute Einsamkeit zum Schreiben", sagt die österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker in einem gerade wegen ihrer lapidaren Antworten lesenswerten Gespräch mit dem TAGESSPIEGEL. Was für eine Art von Einsamkeit das sei. Mayröckers Antwort: "Eine schöne Einsamkeit."

Ohrfeigen unter Ästheten

Vor ein paar Tagen wäre für Peter Cachola Schmal, dem Leiter des Deutschen Architekturmuseums, jede Art von Einsamkeit schöner gewesen als die Begegnung, die er wider Willen in eben diesem Frankfurter Museum hatte, als dort ohne Publikum vor Ort, aber online übertragen eine Diskussion zu den Städtischen Bühnen geführt wurde. Es ging um Abriss und Neubau, aber auch den Wunsch einiger, das Frankfurter Schauspielhaus in seinem Zustand von 1902 zu rekonstruieren.
"Dann hat er mir eine geknallt", diese Überschrift hat Gerhard Matzig für seinen Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gewählt. Der Immobilienverwalter Matthias Müntze, ein Rekonstruktionsbefürworter, habe sich als Journalist ausgegeben und so Zugang zum Deutschen Architekturmuseum verschafft und schließlich den Direktor Schmal, der, so Matzig, wiederum "nicht als Bannerträger einer restaurativen Architektur" bekannt sei, geohrfeigt.

Aktion und Affekt

"Die Ohrfeige von Frankfurt" zeige "nicht den kultivierten Austausch unterschiedlicher Ansichten zur Ästhetik der Gegenwart", bemerkt Matzig. Er hat sich den Tathergang in einem Video im Internet angesehen und mit Ohrfeiger und Geohrfeigtem telefoniert. Müntze, der wegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung angezeigt wurde, wehre sich und habe, so Matzig, seinerseits gegen das Museum Anzeige erstattet.
Die Begründung des Rekonstruktionsfans: "Der Ohrfeigen-Clip, Teil einer 45-minütigen Aufzeichnung, zeige nicht die ganze Wahrheit. Zuvor habe Schmal, so Müntze, ihn an den Haaren gezogen und zu Boden gezerrt. Die Ohrfeige sei also nicht die Aktion, sondern die Reaktion gewesen – 'im Affekt'. Schmal sagt, Müntze habe zuvor den Hausmeister des Museums in die Hand gebissen und versucht, einen Techniker mit einem Scheinwerfer zu schlagen. Außerdem habe Müntze dem Direktor die Maske vom Gesicht gezogen und den Hausmeister 'angepustet'."
Es stehe Aussage gegen Aussage, so weiter in der SZ Gerhard Matzig, der es sich allerdings nicht nehmen lässt, dem Rekonstruktionsaktivisten Müntze, der sich selbst als "kultiviert" beschreibt, genüsslich die Leviten zu lesen:
"In jener fernen Vergangenheit, in die sich manch Moderne-Verächter am liebsten beamen ließe, hätte man sich nicht geohrfeigt. Man hätte gesagt: Bitte fühlen Sie sich geohrfeigt. Das sollte man rekonstruieren."

Berlinale im März und Juni

Vielleicht hat jemand auch Tom Cruise am Set zu seinem neuen "Mission Impossible"-Film ins Gesicht gepustet. Jedenfalls habe Cruise Mitarbeiter angeherrscht, weil sie die Corona-Vorsichtsmaßnahmen missachtet hätten, schreibt Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG nur deshalb, um – Stichworte Film und Corona – zur Absage der für Februar 2021 geplanten Berlinale überzuleiten.
Die Absage sei allerdings keine vollständige. Die Filmfestspiele werde es nur eben nicht in gewohnter Form geben, sondern wohl als "Branchenereignis im März, bei dem Filme digital zu sehen sein sollen", und als Veranstaltung für das breite Publikum im Juni. "Es fragt sich natürlich, welche Filme sich für den Wettbewerb zur Verfügung stellen werden", gibt Hanns-Georg Rodek in der WELT zu bedenken, "denn der Vorteil, weswegen man im Februar-Schmuddelwetter nach Berlin geht – das große Medienecho – entfällt diesmal."
Man kann ja auch mal weniger Filme sehen und mehr lesen. Zum Beispiel Friederike Mayröckers neuen Prosaband. Wie sie ihren 96. Geburtstag verbringen werde, fragt der TAGESSPIEGEL die Autorin. Und die antwortet: "Ich will mich verstecken."
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