Aus den Feuilletons

Beim "Vollpfosten" kennt Facebook keine Gnade

Das Logo des sozialen Netzwerks Facebook und das Zeichen für "Gefällt mir nicht" (Daumen runter) werden auf einem Bildschirm angezeigt.
Ein neuer Fall von Doppelmoral bei Facebook bewegt das Feuilleton. © dpa / Monika Skolimowska
Von Tobias Wenzel · 31.07.2018
"Vollpfosten" geht gar nicht: Trotz anderer Empfehlung einer Amtsrichterin, bleibt Facebook dabei, den Begriff als Beleidigung zu bestrafen, lesen wir in der "Taz". Gemeldete Gewaltaufrufe blieben dagegen ohne Folge, wundert sich der Autor.
"Vollpfosten bleibt Vollpfosten und basta." Wer wollte an der Wahrheit dieses Satzes zweifeln? Jedenfalls, wenn man ihn formalisiert: "A bleibt A und basta." Und trotzdem hat Facebook etwas an "Vollpfosten bleibt Vollpfosten und basta" auszusetzen. Der Satz war der Kommentar einer Facebook-Nutzerin, deren Account daraufhin einen Monat lang gesperrt wurde und die nun dagegen klagt, wie Christian Rath in der TAZ berichtet.
Ausgangspunkt sei ein Artikel derselben Zeitung über Rechtsextremisten der Identitären Bewegung und deren Versuche gewesen, mit dem Schiff C-Star "NGOs im Mittelmeer bei der Flüchtlingsrettung zu stören".

Zweifelhafte Gemeinschaftsstandards

Die Folge: eine rege Diskussion des Artikels bei Facebook: "Ein User verteidigte die Crew der C-Star, diese sei doch nur 'einige hundert Meter hinter einem Schiff hergefahren, das Schlepper unterstützt'." Und als Reaktion darauf habe die Facebook-Nutzerin, die gegen den Hass im Internet anschreiben will, eben diesen Satz veröffentlicht: "Vollpfosten bleibt Vollpfosten und basta."
Die Amtsrichterin sei nun zu dem Schluss gekommen, dass "Vollpfosten" keine Beleidigung darstelle, und habe eine gütliche Einigung empfohlen, die Facebook aber abgelehnt habe, berichtet Rath weiter in der TAZ.
Gemeldete Gewaltaufrufe von Rechten blieben aber ohne Folge, wundert sich Rath mit der Klägerin: "Unter einem Bild mit vier abgetrennten Köpfen schrieb ein User: 'An Frau Merkel, es ist dein Kopf, der da noch fehlt.' Facebook antwortete, dass dieser Hasskommentar 'gegen keinen unserer Gemeinschaftsstandards verstößt'."

Paltrows Newsletter in der Kritik

Wie die Schauspielerin Gwyneth Paltrow eine Internetgemeinschaft nutzt, um auf fragwürdige Weise Millionen zu verdienen, kritisiert Jürgen Schmieder in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. An dem Fall könne man schön aufzeigen, "was gerade falsch läuft mit der Wahrheit". Es geht um Paltrows Newsletter GOOP, mittlerweile ein ganzes Unternehmen.
"Die Fans lesen mit religiösem Eifer, dass eine Frau ihr allgemeines Wohlbefinden und ihre sexuelle Energie dadurch verbessern könne, wenn sie mit einem sogenannten 'Jade Egg' ihren Unterleib trainieren würde. Oder dass man sich Kaffee auch anal einführen könne", schreibt Schmieder und urteilt, man müsse vielleicht eher von einer Religion als von einem Unternehmen sprechen.

Zur Unterhaltung den Unterleib trainieren

Eine Beschwerde bei der kalifornischen Staatsanwaltschaft wegen Aufstellens fragwürdiger Behauptungen habe GOOP mit den Worten kommentiert, es handle sich ja nur um Unterhaltung.
"Das Unternehmen führte ein Rating-System für die Artikel ein, von 'wissenschaftlich getestet' über 'spekulativ' bis hin zu 'nur zum Vergnügen'", schreibt Schmieder. "Das ist, als würde ein Nachrichtenportal bei Regen schreiben, dass es trocken sei – und sich mit dem Hinweis absichern, dass der Text der Unterhaltung diene und keine überprüfbaren Fakten enthalte."

Urlaubsreisen in die Kanalisation

Besonders unterhaltend und zugleich geistreich ist das Interview, das Marc Reichwein von der WELT mit Marco D’Eramo geführt hat. Der hat ein Buch über unser touristisches Zeitalter geschrieben und bezeichnet den Tourismus als "Schwerindustrie des 21. Jahrhunderts".
Überraschend ist sein Blick zurück in die Geschichte des Tourismus: Früher habe man Orte nicht nur mit den Augen, sondern auch mit der Nase erkundet: "Eine große Attraktivität für Paris-Touristen war die Kanalisation. In seinem Buch 'Les odeurs de Paris' von 1867 berichtet Louis Veuillot: 'Leute, die alles gesehen haben, sagen, dass diese Kanalisation vielleicht den schönsten Anblick der Welt bietet: Das Licht fängt sich darin, der Schlamm sorgt für milde Temperaturen, man fährt mit Booten herum, geht auf Rattenjagd, arrangiert Begegnungen – und hat dort auch schon manche Verlobung gefeiert.'" Dazu erklärt der "Tourismusphilosoph": "Die Menschen hatten sich damals noch nicht so sehr entfremdet von Gerüchen, auch denen ihrer eigenen Spezies."
Hier gilt also: Tourist bleibt nicht Tourist und basta.
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