Aus den Feuilletons

Avantgarde und ästhetische Experimente in der DDR

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Eine Ausstellung zur DDR-Zeitschrift "Sibylle" im Willy Brandt Haus in Berlin im Juni 2019. Vergrößerte Auszüge von Exemplaren der Zeitschrift, hier mit dem Schwerpunkt Damenmode, werden von Besuchern betrachtet.
Eine Ausstellung zur DDR-Zeitschrift "Sibylle" im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Die FAZ bescheinigt dem Magazin Intellektualität, wachen Witz und Ironie. © Martin Schröder / CHROMORANGE / imago-images
Von Adelheid Wedel · 16.08.2019
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Sehr ausführlich widmet sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" dem kulturellen Gedenken an die DDR. Der politische Unrechtsstaat habe auch andere Seiten gehabt, in denen sich eine eigene künstlerische Avantgarde habe herausbilden können.
"Wenn wir die politischen Wunden heilen wollen, die dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung gerade überall aufbrechen, müssen wir unser kulturelles Gedächtnis erweitern." Wie das gemeint ist, erfahren wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG in einem Sammelbeitrag mehrerer Kollegen, der - wiederum nicht ganz neu - deutlich macht:
"Die DDR war nicht nur ein politischer Unrechtsstaat, sie war auch ein Ort, an dem ästhetische Experimente stattfanden und sich in den verschiedenen Sparten eine eigene künstlerische Avantgarde herausbildete."
Das zu beweisen, wird das Wirken der Klaus-Renft-Combo beschrieben, oder Elke Erb als Stimme der inoffiziellen Lyrik charakterisiert. Sie wird nun ebenso gelobt wie Bert Papenfuß-Gorek. Nach der Wiedervereinigung "kamen sie zunächst nicht groß vor in den maßgeblichen Debatten zur DDR-Lyrik", resümiert Sandra Kegel.

Weitläufige Eleganz und melodramatische Intellektualität

Ein besonderes Lob bekommt die Zeitschrift "Sibylle", über die Verena Lueken mit Sympathie schreibt: "Nichts von piefiger Bekleidungskultur, sondern weitläufige Eleganz, verbunden mit den Insignien melodramatischer Intellektualität oder auch wachem Witz und Ironie in freier Natur." Bereits 1956 gegründet, prägte sie mit ihrer Ästhetik weit mehr als die Modefotografie in der DDR.
Nahezu ins Schwärmen gerät Niklas Maak, wenn er feststellt: "Mit der DDR verbinden viele das Wort Plattenbau, und mit Plattenbau Tristesse - dabei findet man in den Bauten der DDR-Moderne in ihren besten Momenten eine Opulenz, die fast etwas Barockes an sich hat."
Umso bedauerlicher, dass ein zu großer Teil dieser Arbeiten "dem Triumphalismus westlicher Politiker und Stadtgestalter zum Opfer fiel, die das, was für ganze Generationen identitätsstiftend war, zugunsten ihrer persönlichen Idee von einer schönen Stadt abreißen ließ."
Eine Sensation wird von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter der Überschrift "Kanu, Karte, Feder" gemeldet: "Die Berner Ausgabe vereint zum ersten Mal alle Aufsätze, Artikel und Abhandlungen Alexander von Humboldts. Die meisten sind unbekannt oder vergessen", ergänzt Jens Bisky und rezensiert das Werk. Als Käufer muss man für diese Kostbarkeit tief in die Taschen greifen: 10 Bände, das sind 6320 Seiten, kosten in der limitierten Werkausgabe 390 Euro.

"Multikulti" als Kern des Rassismus

"Einen Aufschrei" nennt der TAGESSPIEGEL den Bericht eines Afroamerikaners über das, was er im Alltag in Berlin an Rassismus erlebt. Und in der Tat, er beschreibt, "wovon Weiße sich keine Vorstellung machen." Dabei setzt er sich auch mit einem geläufigen Begriff auseinander und meint: "Multikulti ist der Kern von Rassismus. Multikulti leugnet die Erfahrung des alltäglichen Rassismus. Weiße Deutsche definieren es, und es hält die weiße Vorherrschaft aufrecht."
Er habe den Eindruck, dass "der Alltagsrassismus in den letzten Jahren zugenommen hat", schreibt Brandon Keith Brown, der 1981 in den USA geboren, derzeit in Berlin lebt und als Dirigent, unter anderem in Weimar, Berlin und Nürnberg arbeitet. Am 26. März dieses Jahres wurde die "erste EU-Resolution zum Thema Rassismus gegen Schwarze" verabschiedet.
Jahrelang hätten die schwarzen Aktivisten für diese Anerkennung gekämpft. "Die weißen Mainstream-Medien berichten kaum darüber", wundert sich der Autor. Er wünscht sich von den Deutschen: "Lernen Sie, verschiedene kulturelle Narrative zu akzeptieren und nicht nur zu tolerieren."

Die Notwendigkeit einer supranationalen Migrationspolitik

"Wo liegen die Grenzen der Humanität?" fragt Georg Kohler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG in Bezug auf die Flüchtlingsbewegung. Auch er mahnt bisher Unterbliebenes an: "Das sogenannte Flüchtlingsproblem, das Europa seit etwa vier Jahren verstört, ist ein ideologischer Knoten, der sich mehr und mehr verhärtet, wenn man ihn nicht auflöst."
Eine neue supranationale Zusammenarbeit sei nötig, denn der Emigrationsdruck aus dem Süden werde nicht nachlassen. Für ihn steht fest: "Das Konzept Dublin ist gescheitert. Nun komme es darauf an, eine machbare, vernünftige Flüchtlings- und Immigrationspolitik zu gestalten." Und damit "eine Politik, die so notwendig wie möglich ist."
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