Aus den Feuilletons

"Melancholie aus Brexitland"

Der britische Musiker Damon Albarn von der Band "The Good, the Bad & the Queen"
Das Brexit-Votum hatte auch Einfluss auf die Musik von Damon Albarn mit der Band "The Good, the Bad & the Queen". © dpa / picture alliance / JazzArchiv / Michi Reimers
Von Hans von Trotha · 15.11.2018
"The Good, the Bad & the Queen" hat ein fast fertiges Album nach dem Brexit-Referendum "neu aufgerollt", schreibt die "taz". "Wütend" klinge die englische Band nun aber nicht - "eher verstört".
"Melancholie aus Brexitland" meldet die taz "zwischen den Rillen". Gemeint ist das neue Album der Band mit dem zum Brexit passenden Namen "The Good, The Bad & The Queen", die ein fast fertiges Album nach dem Brexit-Referendum "neu aufgerollt" hat, wie Stephanie Grimm schreibt. "Wütend angesichts des Isolationismus auf der Insel klingen The Good, The Bad & The Queen nicht", findet Grimm, "eher verstört." Das scheint auch für Gina Thomas zu gelten, die sich in der FAZ gar die Frage stellt, ob Cäsar noch lebt. Und für Jacob Rees-Mogg. Der werde, so Gina Thomas, "wegen seines betont altmodisch-aristokratischen Gehabes gern als der "Tory-Abgeordnete für das achtzehnte Jahrhundert verspottet" und habe nun die Frage an die Premierministerin aufgeworfen, "ob jetzt der Moment gekommen sei, offiziell ihren Rücktritt zu fordern."

Jacob Rees-Mogg versucht sich als moderner Marc Anton

"Rees-Mogg", erläutert Gina Thomas, "formulierte es nicht so direkt. Vielmehr beschwor der Politiker, der die Kunst der Rede selbstbewusst pflegt, mit der emphatischen Wiederholung von "ehrenwert" die rhetorischen Stilmittel von Shakespeares Marc Anton in der berühmten Leichenrede auf Julius Cäsar. Dabei strapazierte er", wie Thomas erklärt, "die parlamentarische Gepflogenheit, Mitglieder der Kammer als "ehrenwert" zu bezeichnen, statt sie beim Namen zu nennen. Der ehrenwerte Abgeordnete für den Wahlkreis Nordost-Somerset hob hervor, dass seine "recht ehrenwerte Freundin" - Theresa May - "ohne Frage ehrenwert" sei, um die "recht ehrenwerte Freundin" sodann zu beschuldigen, ihr Wort gebrochen zu haben."
Ach, wäre nur einer im Bundestag Frau Merkel mal so formvollendet angegangen, nicht immer brutal wie Brutus, sondern elegant wie Marc Anton. Oder Mr. Rees-Mogg. Jetzt ist es fast zu spät. Obwohl, eines wäre da noch, wozu wir von unserer "recht ehrenwerten Freundin" im Kanzleramt gern noch etwas hören würden, bevor sie irgendwann geht: nämlich zum Diesel.

"Abgase entfalten eine letale, weil toxische Wirkung"

"Erinnert sich noch jemand?", fragt Adrian Lobe in der Süddeutschen, "Am Anfang der Diskussion über Fahrverbote stand eine illegale Abschaltvorrichtung, die VW und andere Autobauer "serienmäßig" in Dieselfahrzeuge verbauten und die mit einer Betrugssoftware Abgaswerte manipulierte. Die Diskussion um Diesel-Fahrverbote muss endlich technologiekritisch geführt werden", fordert Lobe. "Was", fragt er, "ist der Nutzen einer Technik, die zwar Mobilität ermöglicht, aber den Tod von Tausenden Menschen fordert?"
"Autos sind" nach Lobe "bei Licht betrachtet Todesmaschinen. Auch Abgase", so Lobe weiter, "entfalten eine letale, weil toxische Wirkung. Laut einer Studie sterben jährlich weltweit 107 000 Menschen an Stickoxiden durch Abgase von Dieselfahrzeugen. Würden die Hersteller die Vorgaben einhalten, gäbe es 38 000 Todesfälle im Jahr weniger, so die Forscher", so Lobe, der schließlich meint: "Wenn die Bundesregierung nun offenbar erwägt, den Grenzwert für Stickstoffdioxid zu erhöhen, setzt sich die Technisierung des Politischen fort. Wo keine Grenzwerte überschritten werden, gibt es auch kein Umweltproblem. Wenn aber", so Lobe, "Luftreinhaltungsmaßnahmen nach politischer Großwetterlage justiert werden, relativiert sich auch die Grenzwertigkeit von Abschaltvorrichtungen."

Wieviel wiegt ein Kilo?

Wie relativ das mit den Werten überhaupt ist, führt uns drastisch Thomas Thiel vor Augen. Er fragt in der FAZ, wieviel ein Kilo wiegt, denn er weiß nicht, ob das Urkilo in Paris "sein Gewicht gehalten oder wieder ein paar Mikrogramm an die Umgebung verloren" hat. Dafür weiß er, dass "das handliche Urkilogramm durch eine abstrakte Naturkonstante, das Plancksche Wirkungsquantum, ersetzt" wird", warnt aber gleich: "Auch das neue Maß ist nur so genau, wie es sich im Messverfahren bestimmen lässt."
Womit wir fast schon wieder beim Diesel wären. "Praktisch", fährt Thiel noch fort, "war ein Liter Milch in den vergangenen hundert Jahren nie ein Urliter Milch. Das hat niemanden gestört. Die Welt der Normen ist zurechtgezimmert; aber sie hält, solange jeder gleich viel gewinnt und verliert."
Womit wir endgültig wieder beim Diesel wären. Wenn nämlich die Autoindustrie mit ihrem Messschmuh viel Geld verdient und die Menschen in den Städten dabei vieles verlieren, darunter ihre Gesundheit und manche ihr Leben, ließe sich unserer "recht ehrenwerten Freundin" im Kanzleramt schon die Frage stellen, wie sie es mit dem Diesel hält. Und warum.
Mehr zum Thema