Aus den Feuilletons

Autoren in Sorge über Umgang mit Flüchtlingen

Die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck.
Die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck. © Deutschlandradio - Andreas Buron
Von Adelheid Wedel · 13.09.2015
Einwanderung und Migration - das Berliner Literaturfestival rückt die aktuellen Entwicklungen in den Mittelpunkt, wie die Feuilletons berichten. Anlässlich ihres Romans "Gehen. Ging. Gegangen" diskutierte die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck mit dem Filmemacher Jakob Preuss.
"Das 15. Internationale Literaturfestival Berlin zeigt sich politisch und rückt die Situation der Flüchtlinge in den Vordergrund", schreibt Thomas Hummitzsch in der Tageszeitung TAZ. Zur Eröffnung der Literaturtage hielt der spanische Schriftsteller Javier Marías eine Rede, deren Kurzfassung die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG abdruckt. Darin gibt er ausführlich Auskunft über seine Schreibweise und sagt:
"Ich pflege mit dem Kompass, nicht mit einer Landkarte zu schreiben, das heißt, wenn ich die gesamte Geschichte, die ich erzählen will, schon im Voraus kennen würde, ... würde ich mir höchstwahrscheinlich gar nicht mehr die Mühe machen, sie festzuhalten. "
Als seinen Anteil am schöpferischen Prozess gibt er zu Protokoll:
"Ich zwinge mich, das Zufällige, ja Überflüssige in etwas Notwendiges zu verwandeln, so dass es im Nachhinein weder zufällig noch überflüssig ist. Ich zwinge mich, dem Sinn zu verleihen, was eingangs keinen hatte und bloß ein in die Luft geworfener Würfel zu sein schien."
Das hat nun wahrlich keine Nähe zu einer politischen Aussage, und doch gibt es zum Erlebten dieser Tage Anknüpfungspunkte. Was, wenn das scheinbar sinnlose Durcheinander doch einen Sinn hätte? Diesen sinnvollen Satz warf der Filmemacher Jakob Preuss in eine Diskussionsrunde:
"Es braucht derzeit mehr Flexibilität als Gründlichkeit."
Debatte um Deutschland als Einwanderungsland
Die Berliner Schriftstellerin Jenny Erpenbeck, die gerade ihren Roman "Gehen. Ging. Gegangen" über die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz veröffentlichte, diskutierte mit ihm und dem libyschen Arzt und Poeten Ashur Etwebi über die Europäische Einwanderungspolitik. Sie kritisierte "den Wahnsinn der Bürokratie, der den Menschen nur Steine in den Weg lege."
Das internationale Literaturfestival Berlin, kurz ilb, " ist in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Literaturfestivals weltweit gewachsen", schreibt Hummitzsch in der TAZ. 218 Autoren aus 51 Ländern sind in diesem Jahr an 244 Veranstaltungen beteiligt. Darunter auch der nigerianische Literatur-nobelpreisträger Wole Soyinka, "der in den kommenden Tagen über islamistischen Terror und die Ursachen von Vertreibungen sprechen wird."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG betreibt notwendige Aufklärung. Deutschland "will ein Einwanderungsland sein?" fragt Jörg Baberowski und fordert: "Dann muss es sich auch so verhalten. Den Unterschied zwischen Asyl und Migration sollte es wenigstens kennen." Zurzeit sei nur von Flüchtlingen die Rede, meint er, nicht von illegalen Einwanderern. "Der Flüchtling ist verfolgt, über ihn darf man nur Gutes sagen. Der Einwanderer aber kann auch andere Motive als die Flucht haben."
Wertegemeinschaft Europa steht in Frage
Der Autor gibt zu bedenken: "Wer darauf verweist, dass es die Aufgabe der Politik ist, sich am Machbaren, nicht am Wünschbaren zu orientieren, muss sich im schlimmsten Fall den Vorwurf gefallen lassen, er sei 'rechts'."
Aber es stellen sich Fragen, so Baberowski. Zum, Beispiel,"wo sollen all die Menschen leben, die Jahr für Jahr zu uns kommen? Wie sollen Lehrer die Aufnahme von mehreren hunderttausend Schülern bewältigen, die unsere Sprache erst erlernen und sich an unsere Kultur gewöhnen müssen? Warum soll eigentlich ein Einwanderer gratis erhalten, wofür diejenigen, die schon hier sind, jahrzehntelang hart gearbeitet haben? Was geschieht mit Analphabeten und Menschen ohne jegliche Qualifikation? Ist jeder Einwanderer eine Bereicherung?"
Der Osteuropa-Historiker an der Humboldt-Universität mahnt eindringlich:
"Ein Verzicht auf Steuerung" der Flüchtlingsströme "wird den sozialen Frieden gefährden."
Er rät: "Über die Solidarität der EU sollte man sich keine Illusionen machen. Europa ist keine Wertegemeinschaft, es ist inzwischen nicht einmal mehr eine Interessengemeinschaft. Gemeinsam Erlebtes, Gelesenes und Gesehenes – das war der soziale Kitt, der unsere Gesellschaft einmal zusammengehalten hat. Davon ist wenig übrig geblieben." Sein Plädoyer für Europa: "Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die von den Errungenschaften der Aufklärung nicht abrückt, die religiösen Fanatikern Einhalt gebietet, die Einwanderern klarmacht, dass wir diese Grundsätze nicht aufgeben und sie auch verteidigen."
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