Aus den Feuilletons

Maria Stuart – besser als ihr Ruf

Von Arno Orzessek · 19.01.2019
Den Debütfilm "Maria Stuart. Königin von Schottland" der Theatermacherin Josie Rourke bezeichnet die "FAZ" als "hochaktuelle Glanzleistung". Auch die "Welt" feiert eine starke Frau: Rosa Luxemburg als große politische Rednerin.
Tja! Da wurde also vor 100 Jahren in Weimar das Bauhaus gegründet, die weltberühmte Kunstschule….
Doch in der vergangenen Woche erschien kein einziger feierlicher Feuilleton-Artikel der Sorte ‚Ehre, wem Ehre gebührt‘. Ganz im Gegenteil.

Bauhaus zum Ersten: Die Abgründe

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fragte Niklas Maak, ob das Bauhaus zu Recht als "Inbegriff eines modernen, weltoffenen, guten Deutschlands gefeiert" wird – und antwortete:
"Das Bauhaus […] war nie nur progressiv, international, emanzipatorisch, sondern auch reaktionär, völkisch, esoterisch, technokratisch, totalitaristisch, rassistisch. Deswegen ist es so interessant, sich mit ihm zu beschäftigen, und zwar gerade auch mit seinen muffigen, abgründigen Seiten: Weil man […] am Bauhaus sieht, wie eng Emanzipation und Unterdrückung, der Traum vom neuen Menschen und seine technologische Ausbeutung, Reform und Rassenhass, Befreiung des Körpers und Unterjochung in modernen Sekten, Technikglaube und Esoterik zusammenhängen – und wie schnell das eine ins andere umkippen kann."

Bauhaus zum Zweiten: Die Mythen

In der Wochenzeitung DIE ZEIT knöpfte sich Hanno Rauterberg umlaufende Bauhaus-Mythen vor:
"Mythos 1: Das Bauhaus war innovativ […] Mythos 2: Das Bauhaus, ein Ort des Freisinns […] Mythos 3: Das Bauhaus war revolutionär."
Wenn Mythen so durchnummeriert werden, geht es natürlich um deren Widerlegung.
Und tatsächlich stellte der ZEIT-Autor Rauterberg dem Bauhaus und seiner Erbschaft ein mäßiges Zeugnis aus.
"[Es ist] ein Trugschluss, dem viele Planer und Gestalter nach wie vor erliegen, in der klaren, glatten Formsprache stets einen Ausdruck gesteigerter Wahrheit und Wohlgesinntheit erblicken zu wollen. Das Funktionale ist nicht automatisch fortschrittlich […]. Was modern aussieht, kann sehr unmodern sein. Denn genau das war ja die Bauhaus-Moderne: innerlich zerrissen, manchmal sentimental und konformistisch, gelegentlich wahnhaft in den eigenen Enthusiasmus verliebt. Sie mochte keine Ambivalenzen, sie hasste den Pluralismus. Sie war bigott in ihrem Ehrgeiz. Kurzum, sie war sehr menschlich."
Hanno Rauterberg in der ZEIT.

Bauhaus zum Dritten: Die Modernität

Desillusionierendes auch in der TAGESZEITUNG – und zwar von Philipp Oswalt, dem ehemaligen Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau.
"Was das heutige Markenprofil des Bauhauses betrifft, so entbehrt es jeden kritischen Potenzials. Es ist total affirmativ. Jeder will kreativ sein, alles muss designt sein, unser Alltag, unsere städtische Umwelt, unser Genom. In diesen Korridor passt das Bauhaus mit seinem Modernitätsbekenntnis perfekt hinein."
Im Jahr der Bauhaus-Gründung, 1919, wurde Rosa Luxemburg ermordet…

Rosa Luxemburg als gefeierte Rednerin

Die in Polen geborene Revolutionsführerin, Schriftstellerin, vielsprachige Übersetzerin, Brief-Freundin Lenins, Verfechterin des demokratischen Sozialismus und "Unsere Cicero", wie die Tageszeitung DIE WELT titelte.
Der Sprachwissenschaftler Karl-Heinz Göttert feierte die Rednerin Luxemburg.
"Der Traum von einer Revolution ohne Misere, ohne Terror und Gewalt, den Rosa Luxemburg einem Lenin gegenüber stets ausgemalt hatte, erfüllte sich nicht, hat in der Geschichte wohl niemals eine Chance gehabt. Die klein gewachsene Dame hat ihn trotzdem immer verteidigt, auch auf einem Stuhl. Wenn wir heute nach großer rhetorischer Tradition in der politischen Rede in Deutschland suchen, ist Rosa Luxemburg alles andere als eine Quotenfrau. Es gab wenige, die ihr das Wasser reichen konnten."

Maria Stuart: "Natürlich Feministin"

Ob das auch für Maria Stuart gegolten hat, sei dahin gestellt.
Fest steht: Alle Feuilletons besprachen "Maria Stuart. Königin von Schottland", den ersten Film der Theatermacherin Josie Rourke.
"Eine hochaktuelle Glanzleistung", applaudierte die FAZ.
Allerdings verzichtete Bert Rebhandel auf nähere Begründung, sondern zitierte unentwegt die Regisseurin Rourke, die auch hier zu Wort kommen soll:
"[Maria Stuart] interessierte mich als Figur, weil sie […] so stark romantisiert wurde, aber man hielt sie eben auch für inkompetent. Und zwar aus einem Grund: wegen ihrer Sexualität. Unser Bild von ihr stammt aus einer Ära des Denkens über Frauen, Macht und Sexualität, die dem Fortschritt sehr abträglich war. Ich versuche mich also an einer angemesseneren Version der Ereignisse. […] Es war damals unglaublich schwierig, in Schottland die Macht zu behaupten, und Mary gelang das ziemlich gut. Ich halte sie nicht für inkompetent, und auch nicht für eine Femme fatale. Von heute aus ist die Frage doch: Wenn man Frauen in ihrer ganzen Identität ernst nimmt, also in ihren sexuellen, emotionalen, intellektuellen Dimensionen, wie gut ist das mit einem Machtanspruch vereinbar?"
Die Regisseurin Josie Rourke in einem FAZ-Artikel von Bert Rebhandl.
Leicht angenervt klang übrigens die Überschrift, unter der "Maria Stuart" im Berliner TAGESSPIEGEL besprochen wurde: "Natürlich Feministin."

Am Tiefpunkt der Holocaust-Literatur

So richtig üble Presse bekam derweil der Journalist und Autor Takis Würger.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG verurteilte Würgers Roman "Stella", der von einer schönen Jüdin handelt, die Juden an Nazis verrät, mit den Worten: "Literatur am Tiefpunkt."
"Es gibt viele seltsame Sätze im neuen, zweiten Buch des ‚Spiegel‘-Journalisten Takis Würger. Einer steht ganz hinten: ‚Die Menschen aus dem Hanser-Verlag haben diesen Roman zu dem gemacht, was er ist.‘ Wenn das stimmt, dann hat der renommierte Münchner Verlag offenbar recht offensiv beschlossen, mit Holocaust-Kitsch Geld zu verdienen. Denn ‚Stella‘ […] ist nichts anderes: Kitsch, wie er sonst in Heftchenromanen steht, diesmal allerdings in neuer Eskalationsstufe."
Spürbar erbost: der NZZ-Autor Paul Jandl.
Noch ätzender fiel der "Stella"-Verriss von Antonia Baum in der ZEIT aus:
"Dieser Text will absolut nichts außer krass sein, und dafür nimmt er sich die krassesten Porno-Zutaten: Nazis, SS-Uniformen, eine schöne jüdische Frau, die Juden verrät, Drogen, das Versprechen von Sex, Grandhotels, Berlin im Krieg – geil. Darüber kann man zwar keine Reportage mehr schreiben, aber Roman läuft natürlich." -
So weit zu den Feuilletons der vergangenen Woche. War wir aber von den Feuilletons der nächsten Woche erwarten dürfen, nahm ein Titel der TAZ bereits vorweg:
"Irgendwie alles, und davon viel".
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