Aus den Feuilletons

Aus dem Rahmen gefallen

06:17 Minuten
IFA in Berlin
Die ARD ist mit dem „Framing-Manual“ in die Kritik geraten. © imago/Jakob Hoff
Von Tobias Wenzel · 23.02.2019
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Das "Framing-Manual" der ARD war in dieser Woche Thema in den Feuilletons. Viel Geld hat der Senderverbund für das Entwerfen einer Sprachregelung ausgegeben. Am Ende steht der "gemeinsame freie Rundfunk".
Zwei inspirierende Neurosen bilden den Rahmen dieses Rückblicks in die Feuilletonwoche, und das Gerahmte wiederum ist der Kreative, der durch sein Können aus dem Rahmen fiel, und der Rahmen selbst.
"'Synonymes' ist einer jener verstörenden, aufrüttelnden, man könnte auch sagen: produktiv neurotischen Filme, denen die Berlinale in den letzten Jahren immer wieder eine Heimat gab", lobte Katja Nicodemus in der ZEIT den Siegerfilm des Festivals und das Festival selbst.
Dann kam das große Aber: "Es gibt nicht genügend Stars, die vor oder demnächst nach der Oscarverleihung nach Berlin reisen wollen, um für Kameras und Sponsoren über den roten Teppich zu flanieren. Vielleicht muss man den Teppich abschaffen."

Antisemitismus in Frankreich

Wer geglaubt hat, wenigstens nach dem Holocaust lasse sich Antisemitismus abschaffen, der wurde nun auch beim Blick nach Frankreich eines Besseren belehrt. Der französische Intellektuelle Alain Finkielkraut wurde in Paris von Gelbwesten-Demonstranten antisemitisch beleidigt.
"Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ist in Frankreich ein prominenter Jude in der Öffentlichkeit von einer hasserfüllten Meute, in der die Gesichter zu erkennen sind, als Jude niedergeschrien worden", schrieb Jürg Altwegg in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
Finkielkraut selbst versuchte, dem Antisemitismus im Gespräch mit der ZEIT einen Rahmen zu geben: "Einer der aufdringlichsten Demonstranten zeigte seine muslimische Kopfbedeckung und sagte, Gott werde mich bestrafen, denn 'Frankreich gehört uns!'. Eigentlich gehört der Ausdruck 'Frankreich den Franzosen' ins rhetorische Arsenal des klassischen nationalen Antisemitismus. Doch wissen wir nun aufgrund der Polizeiermittlungen, dass derjenige, der mir das zugerufen hat, ein Salafist ist. Wenn er mir das zuruft, tut er es in der Hoffnung, dass der Islam eines Tages Frankreich erobert."

Der "Egoist" Karl Lagerfeld

Unweit dieser Ereignisse, nämlich in einem Vorort von Paris, ist der Modeschöpfer Karl Lagerfeld gestorben. "L’Égoïste", der Egoist, nennt ihn der neue SPIEGEL in seiner Titelgeschichte. "Radikal, frei, einzigartig" sei er, die Kunstfigur, die sich selbst geschaffen habe, gewesen, aber eben auch widersprüchlich.
Lagerfeld entließ mal einen Mitarbeiter, weil der Mundgeruch hatte. Wie der Atem von Lagerfelds Katze Choupette riecht, ist nicht bekannt. Jedenfalls war sie seine große Liebe: "Karl Lagerfeld hat seiner weißen Birma-Katze nicht nur ein Millionenvermögen hinterlassen, sondern 2013 sogar einen Heiratsantrag gemacht", verriet die TAZ.
Marion Löhndorf konzentrierte sich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auf die Arbeit des perfektionistischen Modemachers: "Lagerfelds innovative Brillanz lag im Einzelnen – er liess Säume unversäubert, kehrte Pelze von innen nach außen, liess Models, damals undenkbar, in Tennisschuhen auftreten – aber er strebte nicht nach einem eigenen Look. Sein Stil ist eher: ein neuer Frühling, eine neue Liebe."

Der "Vergolder" Bruno Ganz

Und was war der Stil des ebenfalls gestorbenen Schweizer Theater- und Filmschauspielers Bruno Ganz? "Bruno Ganz war in allem, was er darstellend unnachahmlich vergegenwärtigte und also der Gegenwart als etwas ihr Fremdes, Widerständiges entgegenhielt, ein großer Vergolder", urteilte Gerhard Stadelmaier in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
"Es gab einfach niemanden, der sowohl einen Schutzengel hätte darstellen können als auch Adolf Hitler", ergänzte, mit Blick auf die beiden bekanntesten Filmrollen von Ganz, Regisseur Wim Wenders in der ZEIT.
Wenders verriet, dass Bruno Ganz, der sensible, "akribisch vorbereitete Präzisionskünstler", und Dennis Hopper, "der mit einer gehörigen Portion amerikanischer Unverfrorenheit (…) jeden Take anders spielte", während der Dreharbeiten zu "Der amerikanische Freund" aneinandergeraten waren: "Da prallten zwei so grundverschiedene Ansätze gegeneinander, dass es gleich am zweiten Tag zu einer Schlägerei kam." Es sei Blut geflossen. Beide seien danach aber Freunde geworden und hätten sich in der Schauspielmethode des jeweils anderen versucht. In dem Film spielte Ganz einen Bilderrahmenbauer.

Framing-Manual in der Kritik

Eine Expertin für das Rahmen ist auch die Sprachwissenschaftlerin und Beraterin Elisabeth Wehling. Sie hat für die ARD einen Leitfaden geschrieben, der zusammen mit Workshops 120.000 Euro gekostet hat. In dem "Manual" gibt sie Tipps, wie die ARD der populistischen Kritik – Stichwort "Zwangsgebühren" – etwas mit derselben Methode, nämlich dem Framing, entgegensetzen könne, um positiver wahrgenommen zu werden.
Beim Framing wird ein gewisser Aspekt hervorgehobenm, beziehungsweise ein neuer Rahmen geschaffen. Ijoma Mangold nannte in der ZEIT Beispiele aus dem Leitfaden: "'Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD' wird als Sprachregelung empfohlen, der sich von den 'medienkapitalistischen Heuschrecken' der Privatsender absetze."

Manipulation und Gehirnwäsche

Mangold interpretierte das als Manipulation: "(…) auch Gehirnwäsche für das Gute bleibt Gehirnwäsche." Der Politikwissenschaftler Torben Lütjen sieht das im neuen SPIEGEL gelassener: "Die paranoide Rechte befürchtet die Gleichschaltung und beargwöhnt das 'Framing-Manual' der ARD als Bedienungsanleitung für die Umerziehung. Die liberale Mehrheitsgesellschaft glaubt, dass sie längst die Diskurshoheit verloren habe und es nun gelte zu retten, was noch zu retten ist, bevor die Sprache endgültig von rechts vergiftet werde. Beide Seiten überschätzen die Möglichkeiten der jeweils anderen Seite maßlos."
Nach all dem Rahmen zum Schluss, wie angekündigt, noch etwas inspirierend Neurotisches. Peter Kümmel zitierte in der ZEIT Franz Kafka wie folgt: "Ich kann schwimmen wie die andern, nur habe ich ein besseres Gedächtnis als die andern, ich habe das einstige Nicht-schwimmen-Können nicht vergessen. Da ich es aber nicht vergessen habe, hilft mir das Schwimmen-Können nichts, und ich kann doch nicht schwimmen."
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