Aus den Feuilletons

Auch Frank Castorf muss sich die Hände waschen

06:11 Minuten
Theaterregisseur Frank Castorf
Kein Mitleid mit dem Regisseur Frank Castorf zeigen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Welt am Sonntag“. © www.imago-images.de
Von Tobias Wenzel · 23.05.2020
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Wenn Regisseure keine Dramen inszenieren dürfen, „dramatisieren sie die kleine Rolle, die sie im großen Vakuum spielen müssen" – so die "FAZ". Frank Castorf sei verstimmt, weil Angela Merkel allen, auch ihm, empfohlen habe, sich öfter die Hände zu waschen.
Tiere lenken von Corona ab. Jedenfalls beim Blick in die Feuilletons dieser Woche. Der endet mit Sex und beginnt mit dem Tod. Dem Tod Michel Piccolis. Katja Nicodemus berichtete in der ZEIT von einem gemeinsamen Essen mit dem französischen Schauspieler 2014 in Venedig:
"Als beim Dessert Himbeersoße auf sein weißes Hemd spritzte, griff Piccoli zu seinem Messer. In Sekundenkürze spielte der fast Neunzigjährige seine eigene Erdolchung. Am Schluss ließ er seinen Kopf auf den Tisch fallen."
Nun ist er auch in der Wirklichkeit, im Alter von 94 Jahren, gestorben. Für Nicodemus ist Piccoli "einer der letzten großen europäischen Schauspieler". In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG verneigten sich der Schauspieler Matthias Brandt und der Regisseur Christian Petzold vor Michel Piccoli und schreiben: "Das ist das Größte: Piccoli beim Zuschauen zuzuschauen."
Detlef Kuhlbrodt hat uns in der Imagination zuschauen lassen, wie das so ist, wenn er seinen Freund M. besucht. In der TAZ schreibt Kuhlbrodt:
"Weil ich eingangs erklärt hatte, dass Reden in geschlossenen Räumen gefährlich ist, unterhalten wir uns kaum, und wenn wir mal was sagen, vermeiden wir Zischlaute und als er nach der Bundesligakonferenz fragt, ob ich noch Lust auf Schach habe, lehne ich ab, weil Schach Kontaktsport ist."
Wenn Sie, liebe Hörer, nun fürchten, sich beim Hören dieser Feuilletonpresseschau eine Corona-Neurose einzufangen, dann seien Sie beruhigt: Es kommen auch noch zerstreuende Geschichten über Tiere, wobei die teils wiederum mit Corona in Verbindung gebracht werden.

Über Blutsauger und Abstandsregeln

Die Warnung des Deutschen Roten Kreuzes vor erhöhter Zeckengefahr hat den Satiriker Hans Zippert zu folgenden Überlegungen angeregt:
"Man kann auch Corona haben und trotzdem von einer Zecke ausgesaugt werden, wohingegen ein Zeckenbiss wahrscheinlich nicht vor Covid-19 schützt", schriebt er in der WELT. "Mundschutz nutzt gar nichts, aber Abstand könnte helfen, wobei man leider nicht weiß, wo die Zecken sitzen."
Die neue Abstandsregel von 1,50 Meter für Kino, Oper und Theater hat schwerwiegende finanzielle Folgen. Bestenfalls dürfe dann nur jeder vierte Platz im Zuschauerraum besetzt werden, prophezeit Jörg Häntzschel in der SÜDDEUTSCHEN.
Häntzschel berichtet vorab über das Papier, in dem die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und die Kulturminister der Länder definiert haben, unter welchen Bedingungen der Kulturbetrieb seine Arbeit wieder aufnehmen darf. Die dortigen Empfehlungen zu möglichen Formaten gehen Häntzschel zu weit: "Das klingt ein bisschen nach kultureller Kriegswirtschaft", schreibt er.

"Auf Pandemie-Linie gebürstet, gewaschen, geschunden"

Hubert Spiegels Mitleid für einige Theatermacher hält sich dagegen in Grenzen. "Was tun berühmte Theaterregisseure, wenn sie gerade keine Dramen inszenieren dürfen?", fragt Spiegel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und antwortet: "Sie dramatisieren die kleine Rolle, die sie im großen Vakuum spielen müssen" – und nennt als Beispiel Frank Castorf.
Der sei beleidigt, weil Angela Merkel allen, also auch ihm, empfohlen habe, sich öfter die Hände zu waschen. "Man sieht es direkt vor sich, das kleine blasse Bürgerherz des Volksbühnen-Veteranen", schreibt Spiegel, "von Corona auf Pandemie-Linie gebürstet, gewaschen, geschunden".
Frank Castorf werde es besonders schwer haben auf einer "Bühne mit Kontaktsperre", analysiert Manuel Brug augenzwinkernd in der WELT AM SONNTAG: "Er lässt es besonders in engen Hinterzimmern zur Sache gehen, selbst die Videokamera sieht nur noch Gliedmaßen. Ein Pandemie-No-Go!"
Andere Regiestile seien dagegen äußerst coronakompatibel. Als Beispiele nennt Brug den "Möbelfetischismus" – wie in der Tanztheaterchoreographie "Solo mit Sofa" von Reinhild Hoffmann.

Nazis, Hunde und schwindelnde Tanzfliegen

"Wenn Blondi unter dem Esstisch zu Füßen Adolf Hitlers lag, versetzte ihr Eva Braun ab und zu heimlich einen kleinen Tritt", schreibt Martin Doerry im neuen SPIEGEL und rezensiert dabei Jan Mohnhaupts Buch "Tiere im Nationalsozialismus". Hermann Göring hielt sich einen Löwen. Und Hitler Schäferhunde. "Im Schäferhund, dem Abkömmling des Wolfes, erkannten die führenden Nazis jenes Raubtier, das sie selbst sein wollten", schreibt Doerry.
Diese Kulturpresseschau soll aber nicht mit von Nazis instrumentalisierten Tieren enden, sondern mit der Tanzfliege. "Auffällig sind die Männchen dadurch, dass sie einfach eine tote Fliege zwischen den Beinen tragen, mit der sie durch die Luft schweben. Unterbrochen wird dieser Schwebflug durch ein Weibchen, welches das Männchen geradezu im Flug rammt, wodurch die beiden zu Boden fallen. Am Boden beginnt das Weibchen sofort mit dem Verzehr der Fliege, während das Männchen kopuliert", schreibt Cord Riechelmann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.
Sex für Leckerbissen also. Na ja, oder ein Fall von üblem Betrug, Sex für vermeintliche Leckerbissen: "Die Männchen einiger Arten saugen die Beute aus und verspinnen nur noch die gehaltlose Hülle. Und wieder andere fertigen nur noch die seidige Hülle ohne essbaren Inhalt."
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