Aus den Feuilletons

Anti-Schwafel-Drohne gegen Kulturfloskeln

Tim Renner (l.) und Thorsten Schäfer-Gümbel
Tim Renner (l.) und Thorsten Schäfer-Gümbel © Deutschlandradio
Von Arno Orzessek · 22.10.2015
Was bedeutet heutzutage "Kultur für alle"? Dieser Frage gehen im "Tagesspiegel" der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner und der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel nach - und verheddern sich in einer einzigartigen Phrasenfontäne.
Heute starten wir ausnahmsweise nicht mit einer Überschrift, die es irgendwie – wie auch immer, Hauptsache, möglichst kräftig – in sich hat. Nein, heute starten wir mit den bräsigsten Kulturfloskeln des Tages.
Sie stehen im Berliner TAGESSPIEGEL und werden verantwortet von Tim Renner, dem Berliner Kulturstaatssekretär, sowie Thorsten Schäfer-Gümbel, dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden und Vorsitzenden des Kulturforums der Sozialdemokratie.
Renner und Schäfer-Gümbel also versuchen zu erklären, was der alte Slogan "Kultur für alle" wohl heute und zumal im Rahmen sozialdemokratischer Kulturpolitik bedeuten könnte – und das geht dann so:
"Wir müssen starke Antworten auf die digitalen Fragen finden, wie Institutionen ihren Auftrag in der digitalen Welt ausfüllen. (...) Wir müssen mit unserer Kulturpolitik ein stärkeres Bindeglied zwischen Sozialem, Wirtschaft und Bildung darstellen – gerade jetzt, in Zeiten, die von Spaltungen und Konflikten geprägt sind. Wir brauchen eine ermöglichende Kulturpolitik, um ‚Kultur für alle' wahrzunehmen."
A. L. Kennedys steile Thesen
Was wir jetzt bräuchten, wäre eine ermöglichende Fernlenk-Technik...
Sagen wir, eine Anti-Schwafel-Drohne, die Renner und Schäfer-Gümbel an unserer statt den TAGESSPIEGEL um die Ohren haut. Mannomann, was für eine Phrasenfontäne!
Aber, liebe Hörer, Sie haben das Schlimmste damit überstanden.
Schon erträglicher als der Sermon von Renner & Gümbel ist die Rede der schottischen Schriftstellerin A. L. Kennedy, gehalten zur Eröffnung der Europäischen Literaturtage 2015 in Warschau, abgedruckt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Kennedy provoziert mit der steilen, unseres Erachtens fragwürdigen These:
"Es gibt nicht genügend derart kranke Menschen, dass sie als Einzelne Grausamkeit in epidemischem Ausmaß verbreiten könnten. Sie können Schaden anrichten, natürlich. Aber um großen Schaden anzurichten, müssen grausame Gesellschaften, Kulturen der Unmenschlichkeit geschaffen werden – entweder zufällig oder vorsätzlich, meist beides – die dann eigentlich ganz normale Menschen dazu bringen, grausam zu sein, obwohl sie das unter anderen Umständen nicht wären. Kurz gesagt: Wenn die Kunst versagt, folgt das Versagen der Vorstellungskraft, worauf Unmenschlichkeit gedeihen kann."
Unterwegs mit dem Fresskritiker der FAZ
Das Versagen der Kunst verursacht also die allfällige menschliche Grausamkeit?
Wirklich wahr! Genau das behauptet A. L. Kennedy - und auch die SZ-Überschrift stellt es groß heraus: "Wo die Kunst versagt, versagt der Mensch." –
Wir legen jetzt mal eine Denk- und Läster-Pause ein und gehen mit Jürgen Dollase, dem – er wird das unfeine Wort nicht gern hören – Fresskritiker der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, lecker essen...
Und zwar in Thomas Kellermanns oberpfälzischem "Kastell".
"Kellermann (schafft) gerade bei kleinere Gerichten eine Küche, die einerseits zu großer Aufmerksamkeit anregt, um dann zu demonstrieren, das sich ein Gefühl wie Süffigkeit auch im Hochfeinen erleben lässt. Da ist etwa der ‚Krabbensalat mit Garnelentofu, Kopfsalatmarinade und Zitronengrasgelee', der mitnichten als Salat daherkommt, aber viel mit dem Produkt ‚Salat' zu tun hat: Kein Element steht wirklich im Mittelpunkt. Mal liegen Garnelenstücke auf dem Garnelentofu, was wegen der Texturunterschiede..."
Und so weiter und so weiter, liebe Hörer.
Traum von triefenden Dönern und Pommes rot-weiß
Falls Sie den FAZ-Autor Jürgen Dollase näher kennen, dann wissen Sie: Dieser Esser nimmt das Essen wissenschaftlich ernst, jeden Bissen geeister Olivenölsplitter, jeden Spritzer Rauchaalemulsion...
Nur sich selbst nimmt er noch ernster. Und deshalb träumen wir bei manchen Dollase-Texten – es sei aus Undank oder Trotz – von triefenden Dönern und Pommes rot-weiß.
Jetzt aber rasch noch etwas Wichtiges:
"Schwarze Spieler können laufen – aber nicht denken",
heißt es in der Rubrik "Das Detail" in der TAGESZEITUNG...
Die nicht etwa auf groben Rassismus umgesattelt hat, sondern einen Kommentator des Schweizer Fernsehsenders RSI während der Champions League-Partie AS Rom-Bayer Leverkusen zitiert.
Gern würden wir das hochaktuelle Thema ‚Schweiz und Rassismus' noch vertiefen, aber wir haben genau in diesem Augenblick – um es mit der TAZ-Überschrift zu sagen – "Ausgequatscht".
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