Aus den Feuilletons

Angst vor einem Umsturz nach der US-Wahl

04:10 Minuten
Fans von Donald Trump schwenken Fahnen.
Die "Welt" bezweifelt, dass alle Fans von Donald Trump so friedlich bleiben, wie auf diesem Bild. © imago images / UPI Photo / Erin Scott
Von Hans von Trotha · 12.10.2020
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In den Feuilletons herrscht Wahlkampf - allerdings US-amerikanischer. Die "Welt" ist sich nicht sicher, ob es nach der Präsidentenwahl am 3. November friedlich bleibt. Gewalt habe bei US-Wahlen Tradition. Auch ein Umsturz sei nicht ausgeschlossen.
"Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle", steht im TAGESSPIEGEL. Christiane Peitz feiert den "rebellischen Akt des Hörens", indem sie von einer Berliner Ausstellung zum 100. Geburtstag eben des Mediums erzählt, dem Sie gerade folgen: des Radios. "Der Hörfunk der Zukunft?", fragt sie. "Wird wohl verschwinden, hat ein Jugendlicher auf einem Umfrage-Zettel hinterlassen." Wenn er, meint Christiane Peitz, "die zähe rebellische Kraft des Radios da mal nicht unterschätzt."

Rechte und linke Trolle

Ansonsten herrscht Wahlkampf im Feuilleton. Das ist immer dann der Fall, wenn bei uns gar nicht gewählt wird, uns eine Wahl und ihr Ausgang aber etwas angehen. Und wenn ein Wahlkampf besonders erbittert geführt wird.
Michael Anton hat, so die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, "die Wahl von Donald Trump intellektuell salonfähig" gemacht. Jetzt, "nach vier Jahren zieht der konservative Publizist im Gespräch mit Marc Neumann Bilanz." Der darf nicht einmal seine Eröffnungsfrage zuende stellen: "Herr Anton", setzt er an, "in diesem Interview werde ich mich bemühen, nicht als Linkstroll aufzutreten, wie Sie andernorts…". Da fährt ihm der geübte Populist schon in die Parade: "Ich störe mich an Linkstrollen nicht annähernd so sehr, wie ich sich betroffen gebende Rechtstrolle verabscheue."
Immerhin darf Neumann zitieren, was Anton vor vier Jahren schrieb, nämlich, "eine Hillary-Clinton-Präsidentschaft sei wie russisches Roulette mit einer Halbautomatik. Bei Trump könne man zumindest an der Revolvertrommel drehen und es darauf ankommen lassen." Auf die Frage, ob sich das Risiko gelohnt habe, lautet die Antwort:
"Auch wenn die erste Amtsperiode der Administration Trump nicht alles lieferte wie gewünscht, so doch sicher mehr als eine zweite Clinton-Regierung", um hinzuzufügen: "Ich würde mir beispielsweise eine fertig gebaute Mauer wünschen."

Trump und die Gewalt

In der WELT formuliert Hannes Stein eine Befürchtung: "Die Sorge vor einem gewaltsamen Umsturz durch die Anhänger von Donald Trump nach einer verlorenen Wahl wächst." Der Gepflogenheit des WELT-Feuilletons folgend, akute Ereignisse in historische Linien zu sortieren, meint Stein: "Ein Blick auf die Geschichte der USA zeigt: Wir sollten damit rechnen". Denn: "Gewalt bei amerikanischen Wahlen (und danach …) hat Tradition."
Außerdem: "Donald Trump hat von Anfang an auf Gewalt gesetzt. Er forderte seine Anhänger schon 2015 auf, seine Gegner krankenhausreif zu schlagen; er, Trump, werde die Kosten der Verteidigung übernehmen." Und: "Als im Sommer 2017 Nazis in dem Städtchen Charlottesville in Virginia aufmarschierten, brüllten ‚Juden werden uns nicht ersetzen‘ und einen Terroranschlag verübten, bei dem eine Gegendemonstrantin ermordet wurde, weigerte Trump sich, die Gewalt zu verurteilen. Stattdessen sagte er, es habe auch unter den Nazis ‚sehr gute Leute‘ gegeben."
So tobt der Wahlkampf im deutschen Feuilleton – ohne dass es diejenigen, die wählen werden, je erreichen würde.

Ziegenmelker und Regenpfeifer

Nur ein Artikel ist übrigens ausdrücklich "Wahlkampf" überschrieben, in der FAZ. Darin berichtet Andrea Diener vom Vogel des Jahres, den heuer erstmals "das gemeine Wahlvolk" bestimmen soll. "Das Schöne ist nun", so Diener, dass man "auch Wahlkampfteams gründen und mit dem Wahlplakatgenerator lautstark Werbung für seinen Lieblingsvogel machen kann."
Sie berichtet von der "Ziegenmelker-Fangruppe Underdogs" und von der "Brachenfraktion von ‚Wir BRACHEN deine Stimme‘". "Besonders rabiat", so die FAZ-Wahlkampfberichterstattung in der Woche der virtuellen Frankfurter Buchmesse, "gehen dabei die Goldregenpfeifer-Ultras um den Autor und Buchpreisgewinner Saša Stanišić zu Werke. Populistischste Maßnahmen wie das wiederholte Posten von niedlichen Goldregenpfeiferkükenfotos sollen an die niederen Instinkte des Wahlvolkes appellieren."
Die Debatte wird, so Andrea Diener, "mit argumentativ und methodisch durchaus harten Bandagen ausgefochten. Und sie schenkt uns etwas, das in dieser politisch so partikularisierten und auseinanderdriftenden Epoche selten geworden ist: einen Streit, der mit Leidenschaft gekämpft wird, ohne gleich die Gesellschaft zu spalten." Doch sie fügt hinzu: "Es sei denn, jemand gehört zum Team Goldregenpfeifer, da müssten wir uns dann doch distanzieren."
Und schon haben wir´s wieder.
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