Aus den Feuilletons

Alte Herren und streitbare Frauen

Von Hans von Trotha · 10.03.2014
Während die "SZ" auf ein noch nicht veröffentlichtes Interview mit dem "aufgehörten" Schriftsteller Philip Roth blickt, publiziert die "FAZ" aus den Vorarbeiten eines Buches des 1994 verstorbenen Elias Canetti.
In der SÜDDEUTSCHEN erzählt Willi Winkler unter der Überschrift "Schweigen ist Gold" von einem noch nicht veröffentlichten Interview mit dem nicht mehr schreibenden Schriftsteller Philipp Roth.
"Von Zeit zu Zeit hört man die Alten gern",
resümiert Winkler.
"Sie sind schon berühmt und deshalb zu einer neidfreien Großzügigkeit in der Lage. Sie müssen keine Debatten um die Dicke des Weißbrots oder die ästhetischen Mängel der künstlichen Befruchtung mehr anzetteln. Sie müssen, und das ist doch das Schönste, sie müssen nicht einmal mehr schreiben. Der aufgehörte Schriftsteller Philip Roth hat alle Aussichten, der bösartigste und damit der beste aller alten Männer zu werden."
Elias Canetti, der auch ganz schön bösartig sein konnte, hat dagegen nie mit dem Schreiben aufgehört. Bis zum Schluss arbeitete er an einem "Buch gegen den Tod". Die Vorarbeiten dazu werden nun publiziert, die FAZ zitiert schon mal daraus.
"Die Todesverliebtheit der Romantiker flößt mir Widerwillen ein“,
lesen wir da:
"Sie führen sich so auf, als wäre ihr Tod ein besonderer."
Oder:
"Der Neunzigjährige entwickelt seinen Plan zu einem neuen Proust. Er hat vor, morgen damit zu beginnen."
Während es also bei den Herren eher um die Sicherung des eigenen um ihren Nachruhms geht, rütteln uns streitbare Frauen auf. In der WELTgreift die deutschtürkische Publizistin Necla Kelek kurz vor Ausbruch der Leipziger Buchmesse eine prominente Jury-Entscheidung an:
"Pankaj Mishra", schreibt sie, "glorifiziert den Islam und erhält am Mittwoch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung".
Mishras Buch heißt "Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens", und Kelek findet:
"Die Weltsicht des Autors Pankaj Mishra ist nicht wie von der Jury gelobt 'nichteuropäisch', sondern explizit und durch viele Zitate zu belegen, antieuropäisch."
Und:
"Die Juryentscheidung kann ich mir nur aus dem Überdruss der europäischen Intellektuellen auf die eigene Gesellschaft und Geschichte erklären.“
In der NZZ schildert die ukrainische Lyrikerin Olesja Mamtschytsch die Lage in ihrer Heimat:
"Als mein Mann im Gefängnis landete, dachte ich, das sei das Ende der Welt. Als wenig später auf dem Maidan gezielt geschossen wurde, als wir eine Hundertschaft von Toten zu Grabe trugen … , erschienen ein Gefängnisaufenthalt oder Faustschläge ins Gesicht fast wie eine Wohltat. Doch ein Albtraum nach dem anderen wird Wirklichkeit. Helft! – möchte man der Welt zurufen. Wenn Putin uns geschluckt haben wird, wird sein Appetit nachlassen? Na! Sollen wir euch erinnern, wie der Zweite Weltkrieg aus dem nationalistischen Größenwahn eines Einzelnen begann?"
Beängstigendes aus Moskau
Unter der Überschrift "Etwas Schreckliches, etwas Blutiges zieht heran" skizziert Friedenspreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in der FAZ Beängstigendes aus dem Moskau dieser Tage:
"Unweit vom Roten Platz bot sich mir folgende Szene: Zwei junge Leute standen da mit einem Plakat, worauf geschrieben stand: 'Passant! Wie viele Kinder, Brüder, Nachbarn willst du begraben, damit die Krim ein Teil von Russland wird.' Alte Frauen spuckten sie an, zerrissen ihr Plakat. Passanten schrien: 'Sewastopol ist eine russische Stadt!' und: 'Wenn euch Russland nicht gefällt, geht doch nach Israel!' Ein paar Männer mit offenen Fellmänteln und riesigen Kreuzen auf der Brust holten die Sonderpolizei und sagten: 'Nehmt diese Clowns mit auf die Wache, sonst lynchen wir sie noch.'"
Die TAZ dokumentiert einen Leserbrief, der am Montag in der russischen Zeitung "Novaja Gazeta" erschienen ist. Darin wenden sich "die Bewohner des Gebiets Twer", einer Region nicht weit nördlich von Moskau, an ihren Präsidenten:
"Sehr geehrter Wladimir Wladimirowitsch. Wir wenden uns an Sie als Verteidiger der Russisch sprechenden Bevölkerung in der ganzen Welt. Wir bitten Sie dringend: Schicken Sie Ihre Truppen auch zu uns! Bitte holen Sie uns nach Russland! Mit Interesse haben wir erfahren, dass man in Russland 600 Euro pro Monat verdient, in der Ukraine 220. Wie glücklich müssen die Menschen in Russland und in der Ukraine sein!"
Beißender Spott am Vorabend von etwas, von dem wir alle noch nicht wissen, was es ist:
"Hier im Gebiet der oberen Wolga gibt es praktisch keine freien Medien. Mehrfach haben wir versucht, mit unserem Gouverneur darüber zu sprechen. Aber er weigert sich, mit uns zu sprechen. Was, meinen Sie, könnte es sein, dass unser Gouverneur nicht zur russischsprachigen Bevölkerung gehört? Sollte das der Fall sein, dann bitten wir Sie, uns nach der Vereinigung mit Russland einen russischsprachigen Gouverneur zu senden, so einen wie auf der Krim."