Aus den Feuilletons

Ältestes Museum in Paris ist modernisiert

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Das Musée Carnavalet in Paris am Tag der Wiedereröffnung nach vier Jahren Renovierung am 26. Mai 2021 in Paris.
Nach jahrelanger Renovierung ist das Musée Carnavalet in Paris wieder geöffnet. © picture alliance / abaca / Berzane Nasser
Von Hans von Trotha · 27.05.2021
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Viele hatten befürchtet, dass das älteste Museum von Paris durch die notwendige Modernisierung Schaden erleidet. Die "Welt" gibt Entwarnung: Das Musée Carnavalet sehe zwar schicker aus, sei aber sonst ganz das Alte.
"Im Internet verliert Kultur ihre Aura", beklagt Andrian Kreye in der SÜDDEUTSCHEN, um darauf hinzuweisen, dass das "auch Folgen für das Urheberrecht" haben kann.
Er holt aus: "Es fällt nicht leicht, sich von Kulturbegriffen zu trennen, nur weil der Lauf der Zeit es anders will. Ein Großteil des Abendlandes", meint Kreye, "klammert sich etwa noch an Walter Benjamins Ideal von der Aura eines Kunstwerks, die mit der technischen Reproduzierbarkeit verkümmert. Man kann noch Martin Heideggers Stimmung dazunehmen, dann ist man schon mitten im 20. Jahrhundert, als Kultur zur Katharsis der weltlichen Massen wurde. Wie schnöde erscheint einem da die Netzwelt der Schlüsselreize und Manipulationen, in der Kultur als digitaler Klon zum Signal im kybernetischen Raum verödet."
"Wenn es aber keine Aura mehr gibt, was dann?", fragt Kreye. "Es ist ja nicht so, dass einen Kultur kaltlassen würde, nur weil sie im Netz stattfindet." Mit dem Kunstkritiker Kyle Chayka versucht er es mit dem Begriff "Vibe" als Alternative und schlägt den Bogen von der Popmusik der Beach Boys bis zur App Tiktok. Kreye zitiert Chayka mit dem Vergleich: "Was ein Haiku für die Sprache ist, ist ein Vibe für die Sinneswahrnehmung: eine prägnante Assemblage aus Bild, Ton und Bewegung", um dann "die rote Linie zwischen dem Wert der Aura und der Freiheit der Vibes" zu ziehen.

Marie Antoinette, Voltaire und Marcel Proust

Wer sich zwischen all den "Vibes" an den "Wert der Aura" erinnern will, dem bleibt das Museum, je älter, desto auratischer. Das älteste Museum von Paris – nein, das ist nicht der Louvre, der ist das größte, sogar das größte Museum der Welt. Und das bekommt erstmals in seiner Geschichte eine "Présidente-Directrice", die, wie die FAZ berichtet, im Radiointerview angekündigt hat: "Der Louvre könne 'voll und ganz zeitgenössisch sein'."
Das älteste Museum von Paris, das ist das Musée Carnavalet, das 1880 gegründete Pariser Stadtmuseum. Es wurde nach mehrjähriger Modernisierung wiedereröffnet. Und so wie einige sich sicher vor einem zeitgenössischen Louvre fürchten, wurde auch hier über die Modernisierungen prophylaktisch schon das Schlimmste geraunt. "Wer einen weiteren Untergang der Zivilisation am Werk sah", gibt Martina Meister in der WELT allerdings Entwarnung, "muss jetzt einräumen, dass es sich dabei nur um die Einführung von Museumspädagogik gehandelt hat, die vorher nicht existierte".
Es gibt da viel zu sehen: "Man stößt", erzählt Martina Meister, "hier auf einen Seidenschuh von Marie Antoinette, dort auf Voltaires sogenannten 'Todessessel', in dem er wohl doch nicht starb. Den Höhepunkt bildet das rekonstruierte Schlafzimmer von Marcel Proust: Im abgedunkelten Raum thront nach wie vor das verhältnismäßig kleine Metallbett, in dem Proust Jahre seines Lebens verbrachte, tagsüber schlief und nachts schrieb. 'Die Suche nach der verlorenen Zeit' wäre auch ein passender Titel für das Carnavalet," meint Martina Meister.

Die Fiktion ist realer als die Wirklichkeit

Nahtlos an diese Feuilleton-Bilder letzter Lagerstätten berühmter Dichter schließt sich Paul Ingendaays Würdigung eines Textes an, in dem Rodrigo García die letzten Lebenswochen seines Vaters Gabriel García Márquez beschreibt.
Auch hier verschwimmen Leben und Literatur im Feuilleton: "Er berichtet", schreibt Ingendaay in der FAZ, "von dem toten Vogel, der in den schwierigsten Tagen in einem Zimmer auf dem Sofa gefunden wird und der von den einen als böses Omen, von anderen als hoffnungsvolles Zeichen für das Schicksal des Todkranken genommen wird. Natürlich", fügt Paul Ingendaay hinzu, "steht eine vergleichbare Szene, nur viel mächtiger, schon in 'Hundert Jahre Einsamkeit', was der Sohn durchaus tröstlich findet: So oft war in diesem Haus die Fiktion praller und realer als die Wirklichkeit."
Der Sohn erzählt auch, "dass man seinen Vater etwa in Kalifornien nicht erkannte, weil literarische Kultur dort weniger gilt als Geld oder gute Zähne, in Mexiko-Stadt jedoch ein vollbesetztes Restaurant in spontanen Beifall ausbrechen konnte, wenn García Márquez durch die Tür trat."
Und dann noch einmal Beifall, ganz am Ende: "'Adiós, Chef', sagt seine Assistentin im Krematorium lakonisch, als der Körper langsam in den Flammen verschwindet. Dann applaudieren auch die Angestellten des Bestattungsunternehmens."
Was für eine Szene. Und was für ein Ende. Kein Vibe. Das ist Aura.
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