Aus den Feuilletons

Abgesang auf Berlin, Rambo und Relotius

06:22 Minuten
Felsen liegen im Bereich der Kreuzung Bergmannstraße/Zossener Straße auf der Fahrbahn. Eine Fahrradfahrerin schlängelt sich an den Felsbrocken vorbei.
Verkehrsberuhigung auf Kreuzberger Art: Felsen lenken den Verkehr in der Berliner Bergmannstraße. © picture alliance/Paul Zinken
Von Arno Orzessek · 21.09.2019
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Berlin-Bashing aus allen Rohren: Die "NZZ" lässt kein gutes Haar an der deutschen Hauptstadt. Felsbrocken zur Verkehrsberuhigung, zu wenige Lehrer an den Schulen und natürlich die Dauerbaustelle BER. Und was ist noch los in den Feuilletons?
Bizarres aus Absurdistan" – betitelte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ihren verächtlichen Verriss der deutschen Hauptstadt Berlin. Zunächst listete der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl akute Berliner Seltsamkeiten auf. Von knochenbrecherischen Felsbrocken, die in Kreuzberg den Verkehr beruhigen sollen, über fehlendes Lehrpersonal an den Schulen und den mutmaßlich kontraproduktiven Mietpreisdeckel bis hin zum Sankt-Nimmerleins-Tag-Projekt Hauptstadtflughafen.
"All dies (so Stephan Russ-Mohl) summiert sich zum 'Anything goes' (alles geht), für das Berlin seit langem stand und das – vom Lebensgefühl her – tagtäglich in ein 'Nichts geht mehr' umzukippen droht."
Am Ende schloss sich der NZZ-Autor dem Urteil des Kommunikationsforschers Christian P. Hoffmann an, den er mit den Worten zitierte: "'Der Berliner Politiksumpf wäre ja amüsant, wenn er nicht durch den Rest der Republik finanziert würde. Dank einer massiven Subventionierung zementiert hier eine linke Regierung strukturell linke Mehrheiten: Grosse und zahlreiche öffentliche Institutionen, jede Menge Sozialtransfers, eine laxe Sicherheitspolitik, die Vermeidung von Unternehmensansiedelungen und privaten Investitionen plus die Förderung linker Vorfeldinstitutionen sind die Zauberformel, die nichtlinke Mehrheiten in Berlin auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte unmöglich macht.'"

Die nächste Großpanne wartet schon

Im übrigen mutmaßte die NZZ, dass die kaputten Berliner Verhältnisse auch auf die Bundespolitik abfärben. Das mag so sein oder nicht, sicher ist: Die nächste Berliner Großpanne zeichnet sich bereits ab. "Was ist bloß in der Hauptstadt los: Beim geplanten 'Museum der Moderne' explodieren noch vor Baubeginn die Kosten", stöhnte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
"Reichen 400 Millionen, werden es 600 Millionen, oder wird das Ganze wie bei der ebenfalls von (dem Architekturbüro) Herzog & de Meuron entworfenen Elbphilharmonie noch teurer? Immerhin: Das Beispiel Elbphilharmonie zeigt, dass ein ikonischer Prestigebau, der den Kostenrahmen auf absurde Weise sprengt, am Ende trotzdem viele Leute erfreuen kann", räumte Niklas Maak mit leisem Sarkasmus ein, fügt aber sogleich an: "Ob Berlins mit einer Edelscheune überbauter großer Kunstgraben eine ähnlich ikonische Strahlkraft haben würde, ist eine andere Frage."
Stellenabbau bei Springer
Und dann auch noch das: Die TAGESZEITUNG bemerkte "Weltuntergangsstimmung bei Axel Springer". Also jenem Medien-Riesen, der in Kreuzberg unweit der TAZ-Redaktion residiert. Fakt ist: Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner hat nach dem Einstieg des Investors KKR Stellenabbau angekündigt. Im Gespräch mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG betonte Döpfner:
"Das klingt nicht nur nach einem großen Schnitt, das ist einer. (Aber) wo digitales Wachstum gelingt, werden wir investieren und Mitarbeiter einstellen oder umlernen wo möglich. Wo strukturell Umsatzrückgang herrscht, müssen wir restrukturieren und Arbeitsplätze abbauen. Es wird eine Umschichtung geben. Aber Sie können sicher sein: wer leidenschaftlich und kompetent ist, hat hier eine spannende Zukunft." Matthias Döpfners hehre Worte in der SZ.

Fall Relotius als Lehrstück über Manipulationsanfälligkeit

Gefeiert wurde das Buch "Tausend Zeilen Lüge". Darin beschreibt der Journalist Juan Moreno, wie er Claas Relotius auf die Schliche kam, dem preisgekrönten SPIEGEL-Reporter, dessen Reportagen oft frei erfunden waren. In der NZZ befand der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der Fall sei "ein Lehrstück über die Manipulationsanfälligkeit des Menschen".
"Hatte Relotius eine ideologische Agenda? Moreno verneint dies. Er porträtiert den Fälscher vielmehr als eine chamäleonhafte Existenz und einen, der im Zweifel jedem Medium den passend wirkenden Sozialporno liefert. Stets ging es ihm um grosse Gefühle, emotionale Dominanz und die Selbsterhöhung durch die ganz besondere Story."
Ehre wem Ehre gebührt… Das dachte sich offenbar Michael Hanfeld und bemerkte in der FAZ: "Der Reporter Juan Moreno hat den 'Spiegel' gerettet. Redaktion und Verlag sollten ihm ein Denkmal setzen. Juan Moreno ist ein Held – ein echter, der hell- von mittel- und dunkelgrau unterscheidet. So einen hätte sich Claas Relotius nie ausgedacht."

Der politische Refrain "Wie umgehn mit der AfD?"

Natürlich ging es in den Feuilletons auch in der vergangenen Woche um die AfD. Mit ihr reden? Nicht mit ihr reden? Wie überhaupt mit ihr umgehen? Und so weiter. Sie wissen schon, es ist der politische Refrain dieser Tage. In der Wochenzeitung DER FREITAG reflektierte Klaus Raab auf das Interview, das der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke im ZDF abgebrochen und von Fans dafür Beifall erbeutet hatte:
"Aus der Nummer, dass ein Gespräch von AfD-Gegnern anders gedeutet wird als von Fans, kommt der Journalismus nicht raus (so Raab). Kommunikation hat immer nicht-intendierte Wirkungen– eine der frühesten Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft. Interviews sind daher kein Werkzeug gegen die AfD. Keine Interviews allerdings sind auch keines. Denn, andere Erkenntnis: Man kann nicht nicht kommunizieren."
Forderung nach einem Dementi
Die WELT nahm unterdessen Hans Joachim Mendig in Schutz, den Geschäftsführer der Hessischen Filmförderung. Mendig hatte sich mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen getroffen, der bei Instagram erfreut festhielt: "Sehr angeregter und konstruktiver politischer Gedankenaustausch."
"Inzwischen (so der WELT-Autor Rosenfelder) ist eine Armada von Statements gegen Hans Joachim Mendig unterwegs: Der Hauptvorwurf lautet, er hätte sich zumindest von Meuthens Kommentar distanzieren müssen. Nur, in welcher Form? Mit einem Dementi, der 'Gedankenaustausch' sei weder 'anregend' noch 'konstruktiv' gewesen? Ist es im Kontext von AfD-Politikern ein Verstoß, die von Jürgen Habermas postulierten Grundregeln kommunikativen Handelns zu respektieren?"

Der letzte Rambo

Über "Last Blood", den fünften und wohl endgültig letzten "Rambo"-Film von Sylvester Stallone, nur kurz noch das: Während Andrea Diener den Film in der FAZ mit wunderbar schnoddrigen Worten für kompletten Unfug erklärte, lobte der WELT-Autor Jan Küveler ohne erkennbare Ironie: "Er ist feinsinniger denn je."
Tja! Rambo hat es nie geschafft. Ihnen aber raten wir: Halten Sie sich an die Maxime, die in der SZ Überschrift wurde. Sie lautet:
"Oben bleiben."
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