Aus den Feuilletons

75. Golden Globes: Die Damen tragen Trauer

Die Schauspielerinnen (v.l.n.r.) Laura Dern, Nicole Kidman, Zoe Kravitz, Reese Witherspoon and Shailene Woodley bei den 75. Golden Globe Awards.
Die Schauspielerinnen (v.l.n.r.) Laura Dern, Nicole Kidman, Zoe Kravitz, Reese Witherspoon and Shailene Woodley bei den 75. Golden Globe Awards. © dpa / Hubert Boesl
Von Hans von Trotha · 08.01.2018
Optisch habe die Verleihung des Golden Globe den Charme einer Beerdigung gehabt, resümiert die "NZZ". Die Damen trugen überwiegend Schwarz - als Symbol der Solidarität mit der MeToo-Bewegung. Die "Süddeutsche" vermutet hinter der Aktion ein "Großprojekt in Sachen selbstkritischer Selbstfeier".
Paul Jandl erzählt in der NZZ: "Seit zwanzig Jahren betreibt der Wiener Julius Deutschbauer seine 'Bibliothek der ungelesenen Bücher'. Die Sammlung", erläutert Jandl, "ist auf siebenhundert Bände angewachsen ... Siebenhundert Interviews hat Deutschbauer (… mit Lesern) geführt. Hat sie nach dem Buch gefragt, das sie am hartnäckigsten nicht gelesen haben. Ein Exemplar davon kommt in die Bibliothek. Zweiundzwanzig Mal ist Robert Musils 'Mann ohne Eigenschaften' vertreten. … Die Bibel (Platz 2), 'Ulysses' von James Joyce (Platz 3), Prousts 'Suche nach der verlorenen Zeit' (Platz 4). Hitlers 'Mein Kampf' und 'Das Kapital' von Karl Marx teilen sich Platz 5. … Eines seiner ungelesensten Bücher", zitiert Jandl den Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger, "sei Günter Grass’ 'Beim Häuten der Zwiebel' … Den autobiografischen Wälzer habe er noch nie und insgesamt schon zwölfmal nicht gelesen."
Was aber tun die Leute, wenn sie nicht lesen? "Man stehe" zitiert die NZZ den deutschen Börsenverein, "in schärferer Konkurrenz zu anderen Medien". Heißt auf deutsch: Die Leute schauen Filme. Oder Sendungen im Fernsehen. Eher selten Sendungen über Leute, die Bücher geschrieben haben, aber gern über Leute, die Filme gemacht haben.

Hollywood feiert sich in einer Aufbruchstimmung

Wie die Verleihung der Golden Globes, bei der, wie Andreas Busche im Tagesspiegel referiert, der "Eröffnungsmonolog von Moderator Seth Mayers den Ton" gesetzt habe, indem er anhob: "An alle männlichen Nominierten, das ist das erste Mal in drei Monaten, dass ihr keine Angst haben müsst, euren Namen zu hören."
Während Hanns-Georg Rodek das Ganze in der Welt eher kritisch betrachtet und fragt: "Was ist die Auszeichnung eigentlich wert?", fasst Barbara Schweizerhof es in der taz so zusammen:
"Bei der Verleihung der 75. Golden Globes feiert sich die Filmbranche als Spiegel einer kulturellen Aufbruchstimmung. … Dieser Stimmung, vielleicht mehr als allem anderen, verdankt denn auch Fatih Akin seinen Golden Globe in der Sparte 'Bester fremdsprachiger Film': Sein von der Geschichte der NSU-Morde inspirierter Film 'Aus dem Nichts' stieß sowohl bei der Premiere in Cannes als auch beim deutschen Kinostart im vergangenen November auf eher zwiespältige, nur zögernd-lobende Reaktionen. … Im Kontext einer Preisverleihung, in der es wie selten in Hollywood darum ging, wieder und wieder starke Frauenrollen und -geschichten zu feiern, fügte sich Akins 'Aus dem Nichts' nun besser ins Bild als etwa der Europäische Filmpreis-Gewinner 'The Square'."
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Reese Witherspoon, Eva Longoria, Salma Hayek, Ashley Judd bei der Verleihung der diesjährigen Golden Globes. Um gegen Sexismus und Machtmissbrauch zu protestieren, trugen viele Stars in diesem Jahr schwarz.© imago/UPI
Überschrieben ist das Ganze: "Frauen in Schwarz". Denn, so Tobias Sedlmair in der NZZ: "Der Trubel … hatte zunächst den optischen Charme einer Beerdigung." "Wie das Kleine Schwarze zum Dresscode wurde", erklärt Nina Rehfeld in der FAZ:
"'MeToo' – das war das eigentliche Thema. Nahezu alle Anwesenden waren in Schwarz erschienen, aus Solidarität mit der 'MeToo'-Bewegung, und viele Schauspielerinnen hatten Aktivistinnen aus anderen Gesellschaftsbereichen als Begleiterinnen am Arm, als Zeichen der Solidarität." Rehfeld fährt allerdings fort: "Vor den Augen von Rose McGowan, die Harvey Weinstein der Vergewaltigung beschuldigt, fand der Aufzug keine Gnade. Sie hält den 'stillen Protest' für den falschen Ansatz. 'Euer Schweigen ist das Problem', hatte sie schon im Dezember getweetet: 'Ihr nehmt atemlos einen idiotischen Preis entgegen und bewirkt keinerlei Veränderung. Ich verachte eure Heuchelei'."

Warum ist die Zeit jetzt reif für MeToo?

Von "Muße und Buße" spricht die Süddeutsche. David Steinitz erkennt eine "optische Lösung für das erste Großprojekt des Jahres in Sachen selbstkritischer Selbstfeier" … Man wollte sich, so Steinitz, "durch ein Farbsignal mit der 'MeToo' Bewegung solidarisieren und ein Zeichen gegen Machtmissbrauch nicht nur in der Filmindustrie setzen."
Darunter setzt die Süddeutsche eine neue "Geschichte von Demütigungen und sexuellen Erwartungen". Christine Dössel berichtet von den Erlebnissen der österreichischen Schauspielerin Brigitte Karner mit dem Regisseur Dieter Wedel. Unter dem Motto "Weil jetzt die Zeit reif ist", antwortet Karner auf die viel – und keineswegs immer in freundlicher Absicht -- gestellte Frage: "Warum erst jetzt?":
"Weil es jetzt Leute gibt, die zuhören. Weil jetzt die Zeit reif ist und die Chance besteht, dass wir uns die herrschenden Mechanismen differenzierter anschauen. Und weil wir jetzt hoffentlich etwas verändern können."
Hoffentlich.
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