Aus den Feuilletons

185 Schauspieler*innen outen sich als queer

Von Ulrike Timm · 06.02.2021
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Sie sind schwul, lesbisch, bi, queer, nicht-binär und trans und kritisieren verschlossene Türen in Sendern und Theatern. Sie fordern im "SZ-Magazin" mehr Sichtbarkeit für ihre Geschichten ein. In der "FAZ" fragt man sich, ob die Klage berechtigt ist.
"Auf der digitalen Prärie" sah uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. "Der Streit um Eigentum im Internet ist ein moderner Western!" Man staunt, geht es doch um unsinnliche 171 Seiten Juristenprosa, um den "Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes". Doch Andrian Kreye schenkte uns das Bild vom Wilden Westen:
"Dann wären Urheber und Netznutzer wie Cowboys und Nomaden, die sich darüber streiten, wie hoch der Zaun sein soll und wo er verlaufen muss. Die Cowboys wollen natürlich nicht, dass ihre Rinder einfach abhauen. Die Nomaden wollen umherziehen und ihre Zelte aufschlagen, wo sie wollen. Das steht ihnen auch zu, weil sie Landbesitz nach ihrem Rechtsverständnis nicht kennen und die Prärie nun mal allen gehört."

15 Sekunden, 160 Zeichen oder 125 Kilobyte

Die Rinder sind in dieser Analogie die rechtlich geschützten Werke, die freilaufenden Büffel die rechtefreien. Und wie einigt man sich nun mit Blick auf all die Viecher, pardon, von Autoren und Musikern erschaffenen Texte, Audios und Videos im Netz? Die neuen Grenzwerte für freie Nutzung sind 15 Sekunden in Bild und Ton, 160 Zeichen und 125 Kilobyte.
"Klingt nach wenig, ist in Zeiten von Instagram und TikTok aber viel", lasen wir in der FAZ, "Es reicht aus, um einen Song anzuspielen, eine Filmszene zu zeigen oder das entscheidende Tor bei einem Fußballspiel."
Der Kompromiss wird trotzdem noch für Ärger sorgen. Den einen ist das zu wenig, den anderen zu viel.

Geld und Macht

Die ZEIT fächerte nochmal auf, warum das so ist. Ohne Wilden Westen, aber ebenfalls griffig: "Reden wir mal über Geld." Das tut man in Feuilletons immer noch viel zu selten, und wenn, dann meistens klagend, gedankt sei Heinrich Wefing deshalb für die nochmalige Analyse der Gemengelage:
"Geld steckt im Innersten der Urheberrechtsdebatte, die vor zwei Jahren Zehntausende auf die Straße getrieben hat, die um die Freiheit des Netzes bangten. Es geht um das Geld, das Künstlerinnen, Musiker, Fotografinnen mit ihrer Kreativität verdienen – und mitten in der Pandemie dingender brauchen denn je."
Die Plattformen wehren sich mit dem Argument, Urheberrechtsverletzungen zu verhindern, sei schon allein wegen der ungeheuren Datenmengen unmöglich, aber damit versteckten sie sich eben auch hinter ihrer Größe. Die verschiedenen Interessen müssten trotzdem austariert werden und der Druck auf die Netzgiganten hoch bleiben. "Denn es geht eben nicht nur um Geld, sondern um die Macht in der Demokratie."

Kommt das Outing Jahre zu spät?

Für allerhand medialen Wirbel sorgten 185 Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich im SZ MAGAZIN als schwul, lesbisch, bi, queer, nicht-binär und trans outeten. Sie kritisieren verschlossene Türen in Sendern und Theatern und fordern mehr Sichtbarkeit für ihre Geschichten ein.
"Ist die Klage berechtigt?", fragte Sandra Kegel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Sie fand viel Widersprüchliches, so habe etwa Ulrich Matthes ungezählte Familienväter gespielt, und die Dauerpräsenz etwa von Udo Samel, Mavie Hörbiger oder Maren Kroymann ließen sich mit verschlossenen Türen auch nicht recht in Verbindung bringen. "Womöglich sind ja die Türen, die sie 'aufmachen wollen', bereits sperrangelweit offen. Vielleicht aber quietschen sie auch noch gehörig."
Als Gesprächsangebot wollte die FAZ-Autorin das "Manifest" aber aufgreifen und dampfte die Aktion damit zugleich wieder auf Originalmaß ein. Was aber sehr befremdete, war die Aufmachung, die in Layout und der Überschrift "Wir sind schon da" auf den legendären STERN-Titel "Wir haben abgetrieben" von 1971 anspielte. Das sei "Kalkül im Ringen um Aufmerksamkeit bei Verkennung der Verhältnisse".
Als sich damals 374 Frauen öffentlich dazu bekannten, abgetrieben zu haben, "verstießen sie damit gegen geltendes Recht und riskierten viel – nicht zuletzt mehrjährige Haftstrafen. Bei einer Rolle übergangen zu werden, mag ärgerlich sein und sicherlich auch kränkend, aber lebensgefährlich ist das nicht."

Sind Buchrezensionen nicht "snackable" genug?

Scharfe Kurve hinein in eine andere Debatte und auf die Kulturseiten der TAZ. "Warum wird über Literaturrezensionen immer nur dann grundsätzlich geredet, wenn sie mal wieder irgendwo abgeschafft werden?", fragte Dirk Knipphals. Er bezog sich darauf, dass der WDR künftig auf klassische Buchbesprechungen verzichten will und schrieb weiter: "Wie kommt es eigentlich, dass Rezensionen einen so schlechten Ruf haben, dass sie bei Blatt- und Senderreformen immer als Erstes auf der Abschussliste stehen?"
Ähnlich sah das auch die ZEIT, in der sich Alexander Cammann zum angeblichen Postulat des Mündlichen äußerte und das allgegenwärtige Sprich-wie-dir-der-Schnabel-gewachsen-ist letztlich doch umdeutete in ein anderes Fazit: "Es gilt das geschriebene Wort."
Zurück zu Dirk Knipphals und in die TAZ. Dort hieß es: "Gegen einen Mix an journalistischen Formen ist ja gar nichts zu sagen. Porträts, Gespräche und Interviews haben ihre spezifischen Stärken. Doch die haben Rezensionen eben auch. Und auch sie sollten fürs Publikum, wie heißt das so schön, 'snackable' sein."

Pech-Moment verpasst

Snackable ist auch die Reise, die uns der TAGESSPIEGEL anbietet, eine Reise mittels Webcams einmal um die Welt. Ersatzbefriedigung, na klar. Aber für manchen mag es auch vergnüglich sein, Nordlichter vom Sofa aus zu sichten oder am schottischen Loch Ness nach dem Monster zu fahnden:
"Der langweiligste Stream verfolgt das sogenannte 'Pitch Drop Experiment' – ein Langzeitexperiment der Universität Queensland, das das Tropfverhalten von Pech untersucht. Seit 1927 läuft es, erst neun Tropfen des zähen Stoffs sind bislang aus dem Behälter getropft. Leider verpasste die Webcam wegen eines technischen Defekts einen der beiden Tropfen, die seit ihrer Inbetriebnahme fielen. In rund acht Jahren hat sie die nächste Chance."
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