Aus den Feuilleton

Theater von Bekehrten für Bekehrte

Szene aus Milo Raus neuem Stück "Lam Gods": Ein Schäfer steht am Zaun, hinter dem sich einige Schafe befinden
Szene aus Milo Raus neuem Stück "Lam Gods" © Michiel Devijver
Von Arno Orzessek  · 04.10.2018
Mit der Produktion „Lam Gods“ eröffnen der neue Leiter Milo Rau die Saison am Genter Stadttheater. Die "FAZ" meint, Rau gehe es darum, die Darstellung von Wirklichkeit neu zu behaupten, der "SZ" ist das alles zu reglementiert.
Wie geht es Ihnen wohl, jetzt, am Anfang der Presseschau? Uns geht es so:
Wir haben, wie eigentlich immer, Lust auf Zeitgeistiges, auf steile Thesen und pointierte Meinungen, auf intellektuelles Schmirgelpapier, wenn Sie so wollen, das im Oberstübchen kratzt und das Gemüt in Wallung bringt.
Doch die Feuilletons geben dergleichen nicht her. Dafür bieten sie dem Theater eine umso größere Bühne.

Eine Nachstellung des Genter Altars

Beginnen wir den Rezensionsreigen im belgischen Gent, wo der schweizer Theatermacher Milo Rau zu Beginn seiner Intendanz ein sogenanntes Reenactment, eine Nachstellung des berühmten Genter Altars inszeniert hat.
Mit dabei: echte Laien, echte Schafe, ein echter Hund.
Wie das aussieht, erläutert Grete Götze in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Man versteht, warum dieser Altar Milo Rau fasziniert, geht es ihm doch darum, die Darstellung von Wirklichkeit auf dem Theater neu zu behaupten. Rau überträgt die Altar-Figuren in die heutige Zeit und lässt sie von Genter Bürgern lebendig machen: Eva ist eine Mutter, die auf der Bühne erzählt, sie sei in ihrer Jugend zur Muslima konvertiert und schwanger von ihrem Indonesien-Aufenthalt zurückgekommen. Sie und ihr Partner ziehen sich (...) nackt aus und liebkosen einander engumschlungen. Das Paar nimmt die auf dem Gemälde vorgegebenen Positionen von Adam und Eva ein, die per Video auf ein leeres Altarbild projiziert werden, das sich nach und nach mit den neuen Abbildern füllt."
Klingt eigentlich pfiffig, oder?
Der FAZ-Autorin Götze allerdings gefällt es nicht.
"Insgesamt hinterlässt Raus Inszenierung den Eindruck, dass hier nicht wie im Original-Gemälde die Totalität der Geschichte dargestellt wird, sondern nur ein kleiner Ausschnitt ihres Geschehens: Hier wird Theater von Bekehrten für Bekehrte gemacht, das weltoffene linksbürgerliche Milieu bestätigt sich selbst",
lästert Grete Götze in der FAZ.
Den selbst- und sendungsbewussten Milo Rau wird das kaum jucken. Er arbeitet am "Stadttheater der Zukunft" und hat deshalb gleich mal das "Genter Manifest" mit zehn strikten Regeln vorgelegt ...
Die bei Christine Dössel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG als "Gebote" firmieren.
"Es gehe nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen, heißt es im ersten Gebot, sondern: 'Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird.' Das ist natürlich eine Anmaßung, eine Zumutung und überhaupt: Wer wünscht sich das Theater derart reglementiert? 'Das Genter Manifest ist wie Tanzen mit Handschellen', kommentierte eine Künstlerin."
So die SZ-Autorin Dössel.

Fallstricke der politischen Korrektheit

Von Gent nach Wien, ans Burgtheater.
Unter der lustigen Überschrift "Welche Farbe hat denn der Schwarze?" berichtet Bernd Noack in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über die Fallstricke der politischen Korrektheit anlässlich der Aufführung eines Stückes von Bernard-Marie Koltès.
"Schreibt man nun 'N****'? Nimmt man korrekt verdruckst nur noch das 'N-Wort' in den Mund? Auf jeden Fall sagt man nicht 'Neger'. Und es hilft auch nicht viel, wenn man die Buchstaben des inkriminierten Begriffs für einen Schwarzen weiß ausmalt. Das hat das Wiener Burgtheater jetzt zwar getan, als es den heiklen Stücktitel 'Der Kampf des Negers und der Hunde' mit grafischer Verrenkung ankündigte; gegen Empörung und Protest kam es mit diesem Kniff nicht an."
Der NZZ-Autor Noack findet durchaus Gefallen an der Regierarbeit des Serben Miloš Lolić, sein Resümee aber klingt resigniert: "Wer ein 'Neger' ist, bestimmt immer noch der weiße Mann."
In der Tageszeitung DIE WELT unterhält sich Manuel Brug mit Peter Theiler, dem neuen Intendanten der Dresdner Semperoper.
Dabei erwähnt Brug das Bonmot von Christian Thielemann, dem Kapellenchef des Hauses, der angemerkt hat, C-Dur sei nicht politisch.
Einspruch Theiler: "Der Meinung bin ich nicht. Alles ist doch politisch. Auch in der Kunst."
Wir lassen das so stehen und geben Ihnen am Ende einen zeitlosen Ratschlag mit, den die NZZ per Überschrift verbreitet:
"Bloß nicht wahnsinnig werden."
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