"Aus dem Nichts" am Theater Bremen

Jenseits aller Künstlichkeit des Kinos

Fabian Eyer, Nadine Geyersbach und Irene Kleinschmidt (v.l.) im "Aus dem Nichts" am Theater Bremen in der Regie von Nurkan Erpulat. Ein Schauspieler und zwei Schauspielerinnen stehen auf einer Bühne. Der Mann spricht in ein Mikrofon.
Vor allem Nadine Geyersbach (Mitte) überzeugt in der "Aus dem Nichts"-Inszenierung am Theater Bremen. © Jörg Landsberg
Michael Laages im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 14.02.2019
In Bremen hat Regisseur Nurkan Erpulat den Film "Aus dem Nichts" von Fatih Akin auf die Bühne gebracht: Weit weg von der opulenten Bildsprache des Kinos erzählt die Inszenierung von den Schrecken der terroristischen Vereinigung NSU und von ihren Opfern.
Die Bombe zerstört ein Familien-Idyll. Fröhliche Menschen am Strand zeigt das Eröffnungsbild für "Aus dem Nichts", das Theaterstück von Armin Petras nach der Film-Fabel von Fatih Akin, deren Hauptdarstellerin Diane Kruger zur besten Schauspielerin gekürt wurde, 2017 bei den Filmfestspielen in Cannes. Aber – und das ist wichtig für den Abend – Petras will (und mit ihm Regisseur Nurkan Erpulat) klugerweise alles meiden, was allzu sehr nach Film aussieht.
Darum stürzt auch kein Sound der splitternden Nagelbombe (wie damals in der Kölner Keupstraße, wo im Juni 2004 ein Nagelbombenanschlag zum Fanal für den Terror der viel später identifizierten NSU-Zelle wurde) die Menschen aus der Anfangsidylle in die Wirklichkeit. Plötzlich steht Katja, die Mann und Sohn verliert im Nagel-Hagel, allein vor den Horror-Informationen – die Liebsten sind quasi perforiert und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Sie würde sie nicht mehr identifizieren können.
"Leichenteile", sonst nichts – dazu werden von außen Bauklötzchen aus dem Spielzeug-Arsenal des Kindes auf die Bühne geschüttet. So einfach und doch abstrakt bebildert Elena Melissa Stranghöner die eigentlich leere Bühne.
Nadine Geyersbach in "Aus dem Nichts" in der Regie von Nurkan Erpulat nach dem gleichnamigen Film von Fatih Akin. Eine Schauspielerin steht auf einer Bühne vor einem Mikrofon.
Eine unspektakuläre und deswegen authentische Inszenierung: Nadine Geyersbach in "Aus dem Nichts" am Theater Bremen.© Jörg Landsberg
Auch für die beginnende Ermittlung hat die Bühnenbildnerin eine starke Idee: und lässt immer wieder alle Züge des Bremer Schauspielhauses (Querstangen, an denen normalerweise Requisiten hängen) herunter- und wieder hinauffahren. So schafft sie Räume und trennt zugleich die handelnden Personen. Die Polizei forscht derweil (wie in den realen NSU-Fällen) in absurder Umkehrung der Fall-Logik: Als sei im Grunde vor allem das deutschkurdische Opfer ein Täter und habe sich einfach nur zu weit vorgewagt in mehr oder minder kriminellen Geschäften.
Selber schuld – unterschwellig bekommt die Witwe pausenlos nur das mitgeteilt. Dabei hat sie doch eine dringend tatverdächtige Frau gesehen vor dem Büro des Mannes. Aber niemand nimmt sie ernst. Nicht die Polizei, nicht die Anwältin, niemand unter den Freundinnen und Freunden, nicht mal die eigene Mutter – so sehr wird auch sie in die Vernichtung getrieben, dass sie sich die Adern öffnen will. Auch diesen Moment beschwört die Inszenierung von Nurkan Erpulat ganz unspektakulär und einfach.

Geschredderte Akten schneien auf die Bühne

Als die verdächtige Frau und ihr Terror-Partner dann per Zufall doch gefunden werden, beginnt der Prozess. Der ist auf der Bühne mäßig interessant, weil die Form so vertraut und durchschaubar wird. Wieder hilft ein Bild von Stranghöner – ein großer Ballen aus geschreddertem Papier wird in die Szene gekippt: und immer weiter, durch die Abläufe im Prozess. Derweil regnet es Schredderschnee – nach dem Freispruch der rechten Terroristen (mangels ausreichender Beweise) jagen alle im Ensemble Akten durch die Reißwölfe. Auf den Papierseiten stehen auch die Namen aller Opfer des NSU – Fatih Akin hatte gerade sie mit dem Film ehren wollen.
Das dramatische Finale des Films ging so: Katja spürt dem Täterpaar bis in den Urlaub am Strand nach und tötet sie und sich mit dem gleichen Typ von Nagelbombe. Das Theater deutet auch das nur an. Weg vom Film und vom Effekt: Das bleibt das Motto bis zum Schluss.

Vor allem die Hauptdarstellerin fasziniert

Alle im Ensemble spielen wechselnde Rollen, nur Nadine Geyersbach als Witwe Katja bleibt immer sie selbst und bei sich – diese sehr besondere Schauspielerin fällt seit Jahren in Bremen (und fiel vorher schon anderswo) auf durch das immense Talent, die Figuren, die sie spielt, fast komplett abschotten zu können gegen alles, was "außen" ist. Nur so auch kann sie hier mitten im Horror die sehr verstörende Annäherung an den Vater des Täters vollziehen – ein alter Lehrer, der den Sohn anzeigte, weil er Bombenmaterial in der Garage fand, allerdings noch vermutete, ihn so vor einer Untat zu bewahren. Diese Begegnungen mit dem Alten, Quitten-Kekse inklusive, werden zu Inseln des Verstehens und (vielleicht) Vergebens. Die Realität nimmt andere Wege.
Ein kompakter kleiner Abend ist in Bremen entstanden, ganz weit weg von aller Künstlichkeit des Kinos. Spektakulär ist Erpulats Inszenierung, gerade weil sie völlig unspektakulär bleibt – dadurch aber viel authentischer vom Schrecken der Geschichte erzählt, und vom Leiden der Menschen.
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