Aufzeichnung aus dem Wiener Konzerthaus

Glocken und Kanonen

Der Dirigent Teodor Currentzis
Der Dirigent Teodor Currentzis © picture alliance / dpa / Mudrats Alexandra
27.02.2015
Sergej Rachmaninow schrieb sein zweites Klavierkonzert in einer persönlichen Krise, sein Namensvetter Prokofjew komponierte seine fünfte Sinfonie während des Zweiten Weltkrieges. Das RSO Wien kombiniert die beiden russischen Schicksalswerke in einem Konzert mit dem griechischen Dirigenten Teodor Currentzis.
Ursprünglich hatte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien das 1. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow mit der 2. Sinfonie von Alexander Skrjabin verbinden wollen – das Programm hätte die höchst unterschiedlichen Wege der beiden Zeitgenossen dokumentiert. Dann eine kurzfristige Änderung: Von Rachmaninow erklingt nun das 2. Klavierkonzert, und als Sinfonie nach der Pause steht die Fünfte von Sergej Prokofjew auf dem Programm. Dies aber mit den gleichen Interpreten, die zu den Spannendsten ihres Metiers gehören: Einerseits Alexander Melnikov, russischer Pianist, Schüler von Swjatoslaw Richter mit ausgeprägter Neigung zur historischen Aufführungspraxis. Andererseits Teodor Currentzis, griechischer Dirigent, seit vielen Jahren in Russland lebend. Dort hat er erst von Nowosibirsk, nun von Perm aus, Aufsehen erregt – und das nicht nur wegen seiner Neigung zur bizarren Selbstinszenierung, sondern vor allem als lebhafter Mozart-Interpret. Wie für Melnikov ist auch für Currentzis die historische Aufführungspraxis (mit dem eigenen Ensemble MusicAeterna) ein selbstverständliches Elixier bei der Arbeit und den Auftritten mit traditionellen Orchestern.
Rachmaninows 2. Klavierkonzert gehört zu den am häufigsten gespielten Werken dieses Repertoires; es hat die meisten anderen Kompositionen seines Schöpfers in den Schatten gestellt – nicht zuletzt dank Hollywood. Mit den einleitenden Akkorden, die an entfernte, tiefe Glockenschläge erinnern, schuf Rachmaninow um 1900 einen Inbegriff dessen, was die Menschheit sich unter russischer Musik vorzustellen habe.
Von Rachmaninow aus gibt es manche Parallele zum 18 Jahre jüngeren Prokofjew, der gleichfalls mit virtuoser Klaviermusik Aufsehen erregte und sich dann zunehmend zum Sinfoniker entwickelte – mit dem Unterschied, dass Prokofjew nach seiner Flucht vor der Oktoberrevolution viele Jahre später in die Sowjetunion zurückkehrte, als der Stalinismus schon wütete. In der lang ersehnten Heimat musste sich Prokofjew mit den offiziellen Erwartungen an repräsentative Werke notgedrungen arrangieren und schrieb mit seiner 5. Sinfonie im vorletzten Kriegsjahr eine – in seinen eigenen Worten – „Sinfonie der Größe des menschlichen Geistes" und „ein Lied auf den freien und glücklichen Menschen". Wie es in Stalins Reich um Freiheit und Glück des Menschen tatsächlich bestellt war, wusste Prokofjew nur allzu genau – und seine Interpreten tun bis heute gut daran, in dieser Musik vor allem auf die Zwischentöne zu achten, die das scheinbar Spielerische dieser Sinfonie in ein anderes Licht rücken.
Wiener Konzerthaus
Aufzeichnung vom 20. Februar 2015
Sergej Rachmaninow
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-moll op. 18
ca. 20.45 Uhr Konzertpause, darin:
Margarete Zander im Gespräch mit Teodor Currentzis
Sergej Prokofjew
Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100
Alexander Melnikov, Klavier
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Teodor Currentzis