Auftragsprosa von unterwegs

13.01.2009
Der Berliner Autor mit Schweizer Wurzeln Matthias Zschokke hat im Auftrag des Züricher "Tages-Anzeiger" zwischen 1999 und 2005 zahlreiche Reisen unternommen und von diesen berichtet. Die jetzt gesammelt in Buchform erschienenen Reportagen wirken zusammenhanglos und der distanzierte Blick, der notgedrungen an der Oberfläche bleiben muss, ermüdet auf Dauer.
Es ist eine verbreitete Unsitte, Kolumnen, die für den Zeitungsgebrauch geschrieben wurden, schließlich zum Buch zu bündeln - als ob kleine Texte, die einzeln unterhaltsam oder zumindest erträglich sind, in der Summe dazugewinnen könnten. Leider sind auch gute Autoren nicht vor dieser Versuchung gefeit, vielleicht deshalb, weil es sie nach einem Werk und nach Ewigkeit drängt und die Zeitungsproduktion ihnen die Vergänglich- und Vergeblichkeit ihres Schaffens allzu deutlich vor Augen führt.

Nun hat auch Matthias Zschokke dieser Versuchung nachgeben müssen, obwohl er sich doch in seinen wunderbaren Romanen auf die Vergänglich- und Vergeblichkeiten des Alltags spezialisiert hat. Seit 30 Jahren lebt der Schweizer Autor in Berlin und erzählte seither immer wieder vom Leben eines Dichters in der Großstadt, der häufig mit nichts anderem beschäftigt ist, als an seinem Schreibtisch zu sitzen und das Verstreichen der Zeit zu beobachten. Das Kleine, das Unscheinbare, das Beiläufige: Das ist sein Metier.

Im Auftrag des Züricher "Tages-Anzeiger" hat Zschokke zwischen 1999 und 2005 nun aber zahlreiche Reisen unternommen und zudem von einer Schweizer Kulturstiftung ein New York Stipendium erhalten. Er ging also "Auf Reisen" und berichtete auftragsgemäß darüber, was ihm unterwegs widerfuhr.

Die Reiseziele ergeben ein seltsames Durcheinander. Amman, das Elsass, Budapest, Weimar, Ascona, Rotterdam und immer wieder die Schweizer Provinz inklusive eigener Kindheitserinnerungen stehen unvermittelt nebeneinander, zusammengehalten allein durch die doch eher zufällige Tatsache, von Zschokke bereist worden zu sein. Auf dem Buchcover sieht man den Autor mit einem Köfferchen in der Hand auf einem Bahnsteig stehen: Abbild des Reisenden in seiner klassischen Form. Diese Rolle erlaubt den distanzierten Blick auf Menschen und Landschaften, wie er Zschokke liegt.

Symptomatisch ist eine Szene in den Schweizer Bergen, wo er einen alten Mann mit Katze beobachtet und dabei selbst von einem Hund beobachtet wird. Doch dem Reisenden sind enge Grenzen gesetzt. Er kommt als Gast auf Zeit, bleibt außerhalb der Zusammenhänge und sieht immer nur die Oberfläche der Dinge und der Alltagsverrichtungen. Dieser Blick ermüdet auf Dauer sehr.

Zschokke beschränkt sich deshalb lieber gleich auf die Orte, an denen Reisende verkehren: Hotels, Restaurants, öffentliche Verkehrsmittel, Museen und so weiter. Der Reisende tritt als eine Art Welt-Gebrauchs-Kritiker auf, mal im Gewand des Gourmets, mal als Kunstsachverständiger, mal als Ratgeber, der bestimmte Hotels am Roten Meer empfiehlt, vor anderen warnt, weil die Bettwäsche muffelt, und der auch verrät, was ein Taxi in Jordanien kostet.

"Auf Reisen" ist ein subjektivistisch gefärbter Reiseführer ohne konkretes Ziel. Bis zum Ende ist nicht auszumachen, was Zschokke eigentlich antreibt - außer dem Auftrag, einer Zeitung Reportagen zu liefern. Muss man das Mövenpick-Hotel in Aqaba kennen? Wohl kaum. Und wenn, dann liest man besser einen richtigen Reiseführer und nicht diesen Zwitter, der zugleich auch noch Literatur sein will.

In der zweiten Hälfte des Buches dominiert - stipendienbedingt - New York. Zehn Wochen hat Zschokke dort verbracht und berichtet brav davon. Solche New York-Stipendien-Prosa ist ja schon ein eigenes Genre. Kaum ein Autor, der nicht einmal dort gewesen ist. Zschokke fand in seinem Appartement ein Heft mit Prosa seiner Vorgänger, das lauter Texte nach dem Muster "Ich habe auf der Christopher Street einen Bettler gesehen, der dies und das gesagt und getan hat" enthielt.

Leider schreibt Zschokke dann aber auch nichts anderes. Sein täglich neues Staunen über die phänomenale Stadt ist nun wahrlich nicht überraschend. Das wird auch durch die zwischengeschalteten Schweiz-Stückchen und schöne, kleine Beobachtungen nicht besser. Wenn er die New Yorker Feuerwehr beschreibt, die in "martialisch aussehenden Tieflastern durch die engen Straßen rast, einer sitzt mit wirrem, wehendem Haar an der Sirenen-Huporgel und greift in die Tasten wie ein Paganini, völlig entfesselt, virtuos" - dann ist er durchaus auf der Höhe seiner Prosakunst.

Doch die verstreuten Perlen können einen aus Einzelteilen zusammengeschusterten Text nicht retten, der die ganze Welt enthalten soll, der aber kein Ziel und keine Bestimmung findet. Erst ganz am Schluss, wenn der Autor auf seinen Stuhl am Berliner Schreibtisch zurückkehrt, darf man aufatmen und sich fast in einem Zschokke-Roman fühlen. Zu Hause, wo nichts passiert, kennt er sich immer noch am besten aus.

Rezensiert von Jörg Magenau

Matthias Zschokke: Auf Reisen
Ammann Verlag, Zürich 2008
236 Seiten. 18,90 Euro