Auftakt der Münchener Musiktheater-Biennale

Von Frieder Reininghaus · 17.04.2008
Zwanzig Jahre liegt die Gründung der "Münchener Biennale für neues Musiktheater" inzwischen zurück. Im Rahmen der Strategie "Laptop und Lederhosen" konnte Hans Werner Henze damals dafür gewonnen werden, dem bis dahin ganz überwiegend erzkonservativen Opernbetrieb in der bayerischen Landeshauptstadt ein kleines innovationsfreudiges Brüderchen zuzugesellen.
Inzwischen wird diese Biennale vom umtriebigen Kulturmanager und Komponisten Peter Ruzicka betreut und, wie zuvor schon die Salzburger Festspiele, auch auf Auslastungserfolgskurs getrimmt. Der Auftakt der 11. Ausgabe nahm mit der Uraufführung einer neuen Arbeit von Marcel Beyer und Enno Poppe allerdings einen unerwarteten Verlauf.
Marcel Beyer fügte Textzeilen aneinander, als wären sie Poesie. Der in Dresden lebende Germanist befasst sich mit der Reflexion von Sprachbildern und Lernprozessen, mit Fachausdrücken ihm fremder Welten und Gewerke. Anlässlich einer Ode an Robinsons Hund geht es ihm offensichtlich um aussterbende grammatische Formen und nicht zuletzt wohl mit Fragen der (Selbst-)Wahrnehmung. Beyers Wörtervorlage für Enno Poppes Bühnenmusik setzt dort an, wo Daniel Defoes Roman endet: beim Auftauchen einiger Herren der christlichen Seefahrt, die den Überlebenskünstler Robinson Crusoe aus seiner Einsamkeit holen wollten, in der er sich mit "Freitag" zweisam einrichtete.

Ein fulminantes Herrengesangsquartett aus den Reihen der Neuen Vocalsolisten Stuttgart, in Pilotenuniformen älteren Zuschnitts, platzt ins Residuum. Die wackeren Seeleute schieben eine große Schultafel hoch, auf der die von Robinson bereits absolvierten 235 Tage Einsamkeit säuberlich in Siebenergruppen angekreidet sind – und sie reißen Mäuler auf. Robinson scheint kein Interesse an der Rückholungsaktion zu haben. Ihm mag die Lust an dieser Art Gesellschaft vergangen und die Einsamkeit lieb geworden sein. Auf Rettung legt er keinen Wert. Und insoweit scheint Marcel Beyers Spielvorlage einen zivilisationskritischen Aspekt zu kolportieren.

Enno Poppes Musik gründet sich in statischer Dramaturgie auf die differenziert gestaltete Arbeit einer Keyboard-Gruppe. Hinter deren Klangband schiebt sich gelegentlich, doch meist recht diskret, das Schlagwerk – und über dem synthesizergenerierten Sound der Gesang und das artistisch geprägte Sprechen – beides entwickelt bei der Münchener Uraufführung seinen spezifischen Reiz.

Auch Anna Viebrocks Bühneninstallation, die keine Insel mit Palme andeutet, sondern das leergeräumte Klassenzimmer einer aufgelassenen Zwergschule (in dem nur noch ein Harmonium steht) – dahinter eine weißgekachelte Teeküche, ein verwinkelter Flur und ein Abstellraum, in dem die Keyboarder und Schlagzeuger, die Klangregisseure und der musikalische Leiter agieren. Ob diese Installation im Verbund mit Beyers Wortarbeit und Poppes Sounddesign einen pausenlosen zweistündigen Abend 'trägt', konnte am Uraufführungsabend nicht verifiziert werden. Nach einer knappen Stunde schien Anna Viebrock ein großes Warten inszeniert zu haben. Aber dies war unvorhergesehen: der Sängerdarsteller Graham F. Valentine, der Protagonist in der Rolle des R. (wie Robinson) hatte eine Herzattacke erlitten und die Vorstellung nach einer langen Unterbrechung dann doch ganz abgebrochen werden. Was den Text betrifft, so lässt sich festhalten, das auch eine weitere Stunde der Aufführung keine Veränderung erbracht hätte: das Thema "Arbeit Nahrung Wohnung" bezieht sich nicht auf aktuelle Fragen in dieser Welt. Hungeraufstände auf Haiti oder in Bangladesh scheinen Lichtjahre entfernt.