"Aufstieg aus einer unwahrscheinlichen Position"

Moderation: Gabi Wuttke · 22.11.2005
Beide Frauen zeichne der Aufstieg aus unwahrscheinlichen Positionen aus, meint der Soziologe Erhard Stölting. Sie hätten keinen leichten Start gehabt: Katharina als Deutsche in Russland und Angela Merkel als Ostdeutsche im wiedervereinigten Deutschland. Merkels Schreibtisch ziert ein Bild der russischen Zarin.
Wuttke: Was zieht mit Angela Merkel in das Büro im Kanzleramt? Aller Wahrscheinlichkeit nach ein Bild in einem Silberrahmen, das schon auf dem alten Schreibtisch stand. Es wird nicht die bessere Hälfte zeigen, wie beim Vorgänger, sondern ...

Originalton Angela Merkel: Mir hat jemand Katharina die Große als Porträt geschenkt, und damit gezeigt, dass es schon bedeutende Frauen in der Geschichte gibt. Und die Herrschaftsstile haben sich geändert und die politischen Stile Gottseidank auch. Also mehr so als Zeichen, dass immer mal Frauen in der Geschichte auch eine Rolle gespielt haben.

Wuttke: ... eine Rolle gespielt haben, ist gut. Katharina die Große war einer der machtvollsten Menschen des 18. Jahrhunderts. Über 30 Jahre regierte die in Stettin geborene Prinzessin Russland. Und weil das so ist, sind Interpreten unentschlossen, ob Angela Merkels Begründung wirklich ein Zeichen von Bescheidenheit ist. Erhard Stölting wird uns weiterhelfen, er ist Professor für Soziologie an der Universität Potsdam, eines seiner Schwergebiete ist Russland. Guten Morgen, Herr Stölting!

Stölting: Guten Morgen!

Wuttke: Angela Merkel ist eine höchst analytisch denkende Frau, der Gefühlsäußerungen äußerst suspekt sind. Kann man als erfolgreiche Politikerin entweder nur das eine oder das andere haben? Oder hatte Katharina die Große beides?

Stölting: Katharina die Große hatte sicherlich beides, vor allem hat sie gewusst, wie man ihre... seine Gefühle zeigt oder nicht.

Wuttke: Das heißt?

Stölting: Sie hat immer sehr geschickt verstanden, auch auf emotionaler Ebene Loyalitäten herzustellen. Und sicherlich wäre ihre ganz unwahrscheinliche Karriere nicht gelungen, wenn sie das nicht gekonnt hätte.

Wuttke: Also sie hat die Waffen der Frau eingesetzt?

Stölting: Die Waffen erstmal des Kopfes. Des Kopfes...

Wuttke: … in weiblicher Form?

Stölting: Teilweise in weiblicher Form, aber sicherlich auch in einem geschickten Umgang mit anderen Menschen, in der geschickten... im geschickten Umgang mit Symbolen, dem Führen symbolischer Akte. Es gibt ein großartiges Beispiel, wo sie noch nicht Zarin ist, noch mit Peter III., diesem Kretin, verheiratet ist, und schwer erkrankt. Und sie braucht geistlichen Beistand. Und sie holt nicht nach dem protestantischen Pfarrer - damals ist sie noch Protestantin -, sondern sie holt sich ihren orthodoxen Lehrer, einen orthodoxen Popen, und gewinnt damit das Herz der russischen Fraktion am Hof.

Wuttke: Wo hat sie das gelernt?

Stölting: Das ist unklar. Sie hatte eine sehr sorgfältige Erziehung, sowohl in literarischer, wie in philosophischer, wie in sprachlicher Hinsicht, da hat sie es sicherlich nicht gelernt. Wahrscheinlich konnte sie es einfach.

Wuttke: Aber sich gerade in Russland durchzusetzen, als sehr junge Frau auch noch. Das ist ja schon eine erstaunliche Geschichte.

Stölting: Ja, ja. Und sie hat es planmäßig gemacht. Anders als ihr Mann, der fast nur Deutsch konnte, hat sie sofort, nachdem sie nach Russland kam, intensiv Deutsch gelernt... Pardon, Russisch gelernt. Sie hat ihren deutschen Akzent wohl nie ganz verloren, aber sie hat ein sehr stark ideomatisches Russisch gesprochen. Sie sprach natürlich exzellent Französisch und schrieb auch Französisch, es ist ja das französische Jahrhundert der russischen Oberschicht. Aber sie hat auch, was ihr gar nicht lag, durchaus ohne Probleme die religiösen Symbole gleich mitbenutzt - sie ist ja dann konvertiert zur Orthodoxie - und hat, solange sie nicht an der Macht war und fest im Sattel saß, die orthodoxe Kirche durchaus hofiert.

Wuttke: Das heißt, sie wusste sehr genau, das Mittel der Anpassung einzusetzen.

Stölting: Das Mittel der Anpassung, und sie hat die Fraktionierung in der russischen Herrschaftsschicht, der Hocharistokratie auch der mittleren Aristokratie, in der Armee und beim Hof selbst sehr genau erkannt und zu nutzen gewusst.

Wuttke: Angela Merkel ist ja nun die Hierarchietreppe von unten nach oben gegangen. Katharina die Große war schon mal - wenn auch zu damaligen Zeiten das nichts Besonderes war - eine Prinzessin, die dann nach Russland geheiratet hat. Der Wille zur Macht muss also ganz offensichtlich eine Grundvoraussetzung sein, um dann das zu werden, was man will. Aber Sie sagen: Man weiß nicht genau, woher sie das denn eigentlich hatte. Sie hatte es vielleicht ganz einfach. Also eine Persönlichkeit, die muss stark und die muss auch sehr zäh sein, was ganz offensichtlich Angela Merkel ja auch ist.

Stölting: Ganz zweifellos, man kann bei Katharina sagen, sie ist aus einer unwahrscheinlichen Position gekommen. Sie war bloß aus Anhalt-Zerbst, das ist nun nicht der extreme Hochadel. Sie ist durch auch auf Drängen oder durch Vermittlung von Friedrich dem Großen nach Russland verheiratet worden, weil er sich hoffte, damit eine quasi Untertanin mit auf den... im russischen... in der russischen Zentrale zu installieren.

Wuttke: Die Rechnung ohne die Wirtin gemacht!

Stölting: Sie war 15 Jahre alt, also sehr, sehr jung, als sie nach Petersburg kam. Und also ein Alter, in dem man normalerweise auch als Prinzessin eigentlich ein dummes Gänschen ist. Und das war sie nicht.

Wuttke: Sie war ein Mädelchen.

Stölting: Sie war... sie schien so zu sein. Also sie wurde wahrscheinlich genau wie Angela Merkel jahrelang unterschätzt.

Wuttke: War denn die Zarin auch kompromissfähig?

Stölting: Sie hat immer Kompromisse geschlossen, wenn es notwendig war, sonst wäre sie auch nicht an der Macht geblieben. Das geht gar nicht anders.

Wuttke: Schwärmen wir mal vielleicht nicht nur von dem, was Katharina die Große alles konnte. Was könnten denn Angela Merkels politische Visionen sein? Wahrscheinlich nicht die Verschärfung der Leibeigenschaft.

Stölting: Sicherlich nicht, zumal wir sie nicht mehr haben! Ich glaube, dass auf dieser inhaltlichen Ebene Katharina auch keine Rolle spielt. Ich glaube, also wenn sich Angela Merkel dort dieses Bild hinstellt, oder wenn man Parallelen zieht ist es die Tatsache, dass man aus einer unwahrscheinlichen Position an so eine Stelle kommt. Also als Zarin in diesem Fall, und das setzt Klugheit, Gefühlsmanagement voraus, ohne das deswegen das emotionale Leben, was bei Katharina natürlich immer eine Rolle gespielt hat, deswegen verschüttet wird. Aber es ist sicherlich dominant ist der Kopf.

Wuttke: Nun muss man sagen, sie hatte ja auch, Katharina die Große jetzt, eine große Skrupellosigkeit. Sie hat ja immerhin ihren Mann um die Ecke bringen lassen.

Stölting: Das ist nicht vollkommen gesichert.

Wuttke: Nun ja!

Stölting: Man weiß es nicht genau. Die Gerüchte waren immer da und Gerüchte... Russland ist voller Gerüchte. Auf jeden Fall hat sie die Mörder nicht bestraft.


Wuttke: Sie hat sie nicht bestraft. Was hat die denn mit ihnen gemacht?

Stölting: Die sind belohnt worden.

Wuttke: Das heißt, sie hat sie wieder ins System eingebunden?

Stölting: Sie sind ins System eingegliedert worden, darunter war ihr damaliger Geliebter, den sie dann nicht mehr als Geliebten fortführte. Aber sie hat sie... sie hat ihnen glaube ich zwei, drei Dörfer jeweils geschenkt.

Wuttke: Ach was?

Stölting: Mitsamt Leibeigenen.

Wuttke: Da wären wir wieder an dem Punkt. Nun, man kann sagen, wenn man sehr höflich sein will, dass Katharina die Große eine exzentrische Frau mit einer großen Lebenslust gewesen ist. Was glauben Sie? Für die Pastorentochter Angela Merkel ist das ein Aspekt, den sie augenzwinkernd zur Kenntnis nimmt oder den sie ausblendet?

Stölting: Naja offen... öffentlich muss sie den auf jeden Fall ausblenden und wahrscheinlich blendet sie ihn auch privat aus.

Wuttke: Meinen Sie wirklich?

Stölting: Das denke ich schon.

Wuttke: Welche Parallelen sehen Sie als Fachmann zwischen Angela Merkel und Katharina der Großen? Was glauben Sie ist nun tatsächlich das Moment der Bewunderung bei unserer zukünftigen Kanzlerin für eben diese wirklich mächtige Frau, eine der mächtigsten Politikerinnen und damit Politiker - da können wir ja zusammenfassen - der Welt?

Stölting: Also es ist möglicherweise zweierlei. Das eine ist wie gesagt der Aufstieg aus einer unwahrscheinlichen Position als Frau, obwohl es Herrscherinnen in Russland - gerade in dem Jahrhundert - schon gegeben hatte. Als Ausländerin. Als...

Wuttke: Ostdeutsche, aber als Ausländerin geht in dem Fall nicht!

Stölting: Als deutsche, als deutsche... die deutsche Fraktion war relativ stark. Peter III., ihr Mann, damaliger Mann, sprach wie gesagt kaum Russisch, hatte sich mit Deutschen umgeben, teilweise aus seiner Heimat Hollstein, teilweise aus den baltischen Provinzen Russlands. Und es gab, und das war eine der großen Fraktionierungen in der russischen Politik, diese deutschen Freunde und die russische Fraktion. Und sie hat die russische Fraktion genutzt, obwohl sie Deutsche war. Und das ist schon sozusagen aus dem gegnerischen Lager gleichsam, sich dieses russische, anti-deutsche Moment zu nutze zu machen. Sie hat ja dann auch die französische Karte gespielt. Das ist - sagen wir mal - Kalkül.

Wuttke: Angela Merkel spricht ja nun fließend Russisch. Glauben Sie, dass es auch bei ihr eine besondere Beziehung zu Wladimir Putin gibt, wie es ja die Männerfreundschaft Gerhard Schröder - Wladimir Putin gibt?

Stölting: Sie sind doch sehr unterschiedliche Typen. Also, ich denke, dass... es keine Männerfreundschaft zwischen Angela Merkel und...

Wuttke: Sicherlich nicht! Das schließt sich ja nun für sich aus! Aber trotzdem ist es natürlich spannend, ob natürlich auch immer persönliche Einstellungen dann doch auch eine Politik beeinflussen können.

Stölting: Es könnte einige Parallelen geben. Also auch Putin kommt ja von ganz unten aus der Gesellschaft. Er kommt wirklich aus armer Familie.

Wuttke: Wie Gerhard Schröder.

Stölting: Und hat...wie Gerhard Schröder. Ist über... in diesem Fall über den KGB, der ja ein Aufstiegsmedium war, nach oben gestiegen, hat auch... es lag ihm nicht in die Wiege, dass er russischer Präsident wird, also es ist auch eine relativ unwahrscheinliche Karriere, die er gemacht, die bis.. fast bis zum Schluss unwahrscheinlich war. Also, da könnte es Parallelen geben. Aber ich denke vom Charakter sind die beiden doch sehr, sehr unterschiedlich.

Wuttke: Warum Angela Merkel ein Bild von Katharina der Großen auf ihrem Schreibtisch stehen hat. Darüber konnten Sie sich jetzt gerade selbst ein Bild machen. Vielen Dank für diese Erläuterung an Professor Erhard Stölting!