Aufruf

Schriftsteller fordern Änderung der Flüchtlingspolitik

Der Schriftsteller Günter Grass spricht in Hamburg während der Benefizgala der Autorenvereinigung PEN für verfolgte Autoren.
Der Schriftsteller Günter Grass spricht in Hamburg während der Benefizgala der Autorenvereinigung PEN für verfolgte Autoren. © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Axel Schröder · 27.11.2014
Die deutschen Schriftsteller mischen sich in die europäische Flüchtlingspolitik ein: Am Abend ihres 90-jährigen Bestehens veröffentlichten sie einen Aufruf, der deutliche Worte in Richtung EU findet.
Die Stuhlreihen im großen Saal der Akademie der Künste waren am Abend bis auf den letzten Platz besetzt. Unter der hohen halbrund gewölbten Decke hatten sich PEN-Club-Mitglieder aus ganz Deutschland versammelt. Ganz vorn Günther Grass, dessen Bilder auf der Benefizgala zugunsten verfolgter Autorinnen und Autoren versteigert werden sollten. Viel mehr Nachhall als die Auktion soll aber der Appell der Schriftstellervereinigung erfahren. Ein Appell an die Politik in Deutschland und Europa, endlich die Flüchtlingspolitik der EU grundlegend zu ändern. Eine kurze Lesung von im Exil verfasster Literatur führte ein in die Gedankenwelt von Flüchtlingen, erzählte von ihrer Angst vor Verfolgung und den Mühen des Neuanfangs im Exil.

Ursula Günther las einen Text des Algeriers Hamid Skif:
"Du bist der perfekte Unbekannte! Und wie ein Anfänger musst Du die Aufnahmeprüfung über dich ergehen lassen, den mitleidigen oder argwöhnischen Blick derjenigen, die dir Gastfreundschaft anbieten. Oder sie verweigern. Du musst die Sprache wechseln, dich in anderen Codes bewegen, ein neues Zeichensystem lernen und sogleich dessen Fallen, Widersprüche und Missverständnisse vermeiden. In denen du untergehen könntest. Man muss auch lernen, sich zu verkaufen, wie mir eine gute Seele sagte. Nicht ahnend, welche Empörung und welchen Aufruhr ihre Worte in mir auslösten."
Nach den kurzen Texten verlas Josef Haslinger, der Präsident des deutschen PEN-Zentrums den Appell, der in den kommenden Tagen an alle europäischen Mitglieder der Vereinigung geschickt werden soll:

"Das Schiffsunglück von Lampedusa, bei dem im Oktober 2013 mehr als 300 Flüchtlinge starben, hätte die europäische Flüchtlingspolitik wachrütteln können. Stattdessen werden Menschen, die Schutz suchen, an den EU-Außengrenzen immer noch behandelt als wären sie Feinde, die es abzuwehren gilt."
Das Dublin II-Abkommen soll, so der Appell, durch eine menschenwürdige Konvention ersetzt, die Aufteilung der Flüchtlinge auf die Länder Europas gerechter werden. Die Drittstaatenregelung, nach der die geflohenen Menschen in die vermeintlich sicheren Länder an den EU-Außengrenzen abgeschoben werden dürfen, muss reformiert und ein Fonds geschaffen werden, der den Menschen das Ankommen im Exil tatsächlich möglich macht.
Zwei Autoren, zwei Prognosen über die Wirkung des Appells
Josef Haslinger: "Europa muss Menschen in Bedrängnis zur Hilfe kommen und legale Fluchtwege ermöglichen. Akut gefährdete Menschen sollen schon im Herkunftsland, in den Botschaften der europäischen Staaten Visa beantragen können. Dies gilt insbesondere für Menschen in Kriegsgebieten. Flüchtlinge sollen nicht länger ihr Leben riskieren müssen, um nach Europa zu kommen. Und sie sollen – wenn sie in Europa Asyl suchen – nicht länger kriminalisiert werden.EU-Länder in ihrem Herkunftsland Asylanträge stellen."
Ganz unterschiedlich beurteilten die beiden Ehrenpräsidenten des deutschen PEN-Clubs Günther Grass und Christoph Hein die Wirkungsmöglichkeiten des Appells. Dringend notwendig sei es, dass die Schriftsteller Europas sich endlich einmischen, so Günther Grass. Aber von der Politik dürfe man sich nicht allzu viel erhoffen. Grass erinnerte an den eindringlichen Brief von Juli Zeh und Ilija Trojanow an Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Bekanntwerden der NSA-Spionage-Affäre:
Günther Grass: "Auf diesen Brief hat sie bis heute keine Antwort bekommen. Aber skandalöser als die Nicht-Beantwortung dieses Briefs ist, dass in den deutschen Feuilletons das hingenommen wurde wie ein Kavaliersdelikt. Das ist eine ungeheure Beleidung, die durch dieses Schweigen ausgedrückt wird!"
Christoph Hein ist optimistischer, hofft auf den Widerhall des Appells. Besonders in Zeiten, in denen die Bevölkerung den Flüchtlingen weit ablehnender gegenübersteht:
"Was vor wenigen Jahrzehnten noch gar nicht da war: eine größere Freundlichkeit weicht verschwindet gegenüber einer größeren Aggression, dieses abzuwehren, was da bisher gekommen ist und was möglicherweise noch weiter kommen wird. Es ist Angst um den Wohlstand, den wir erreicht haben, den wir haben."
... aber genau in diesen Punkt ist Günther Grass weit zuversichtlicher. Erinnert an das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger. Und daran, dass bei Demonstrationen von Rechtsradikalen die Zahl der Gegendemonstranten meist größer ist als die der Rechten.
Viele Autoren, junge wie alte, haben schon zugesagt, den Appell zu unterzeichnen, so PEN-Präsident Josef Haslinger. Die Phase der Zurückhaltung der Schriftsteller müsse ein Ende haben:
Josef Haslinger: "Ich glaube, wir müssen dieser Aufgabe, eine uns, dem PEN in die Wiege gelegte Aufgabe, auf neue Weise gerecht werden und auch über den Tellerrand der Autoren hinausblicken und die gesellschaftliche Situation ins Auge fassen. Ich glaube, es ist Zeit, dass der PEN sich wieder einmischt!"
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