Aufklärung der Aufklärung

24.09.2012
Der Publizist Konrad Adam hat mit "Kampf gegen die Natur" den Forschungsbetrieb ins Visier genommen. Machtspiele und ehrgeizige Irrwege führten dazu, dass die Wissenschaft heute immer mehr damit zu tun habe, ihre eigenen Folgen einzudämmen - so seine kritische Bestandsaufnahme.
Streben nach Wahrheit, faustischer Ehrgeiz, Neugier, Ausdauer – das sind die Tugenden, die üblicherweise in Festreden über Wissenschaftler geltend gemacht werden. Eins fehle dabei regelmäßig, so Konrad Adam: der Wille zur Macht. Die Eroberung und Unterwerfung durch das Wissen, das Natur beherrschbar macht. Der Experte ist der "Mann an der Spitze", auf den heute mehr als je zuvor gehört wird, etwa vonseiten der Politiker, die wenig aus eigener Hand wissen, sondern auf die Zuflüsterung der Experten und Gutachter angewiesen sind.

So ist vor allem in den Biowissenschaften ein neuer, höchst agiler Wissenschaftlertypus entstanden: eine "Personalunion von Forscher, Berater, Geschäftsführer und Spekulant". Jedes Institut hat heute seine Pressestelle, Wissenschaft ist im Kampf um die Gelder zum großen Teil Öffentlichkeitsarbeit geworden – etwas ganz anderes als Veröffentlichungsarbeit.

Mit einem an Nietzsche geschulten bösen Blick nimmt der Publizist den Wissenschaftsbetrieb ins Visier: ein Käfig voller Narren. Grimmig führt er die toten Äste der wissenschaftlich-technischen Evolution vor: die Rassenhygiene und den Transrapid, den Behaviorismus und die friedliche Nutzung der Kernenergie, die ökologischen Desaster im real experimentierenden Sozialismus und die seiner Meinung nach ebenso sinnlose wie sündteure Weltraumfahrerei.

Höhnend zitiert er die Szenarien des Weltanfangs aus der Feder der Urknalltheoretiker: für ihn eine Kauderwelschprosa der allerletzten Dinge, die das Unvorstellbare kein bisschen anschaulicher macht, voller Tautologien und Leerformeln. Dann doch lieber gleich der beherzte Sprung in die Metaphysik als das Geraune von "Spontaneitäten", "Emergenzen" oder "Fulgurationen". Adam spottet über die Entschlüsselung der Genome, bei der man bloß feststelle, dass "es zwischen Mensch und Maus keine allzu großen Unterschiede gibt, auch nicht zum Fadenwurm und nicht einmal zur Bäckerhefe." Immerhin war das doch mal eine Einsicht.

Der irr gegangene Fortschritt verschandelt Landschaften und trägt künftigen Generationen immense Spätlasten ein. So hat Wissenschaft heute immer mehr damit zu tun, die Folgen von Wissenschaft einzudämmen: Klimawandelrückwandlung. Die Wissenschaft ist zu einer Arbeitsbeschaffungsmaschine in eigener Sache geworden, einem Rennen der Ehrgeizigen und Getriebenen, die sich Sachzwängen unterwerfen, die sie selbst in die Welt gesetzt haben.

Konrad weiß, dass der Schlachtruf "Zurück zur Natur!" immer schon trügerisch war. Trotzdem empfiehlt er das antike Ideal "naturgemäßen Lebens". Nun, nichts gegen Kontemplation, aber das ist, aufs Ganze gesehen, ebenso vage wie der Vorschlag eines "Forschungsmoratoriums". Gelegentlich stören auch allzu banale Einwände ("Eine Statistik kennt nur aggregierte Größen, keine Menschen"). Zu einfach macht Adam es sich, wenn er pauschal gegen die "Simpeleien der Biologen, Neurologen oder Kosmologen" wettert.

Und unterwirft sich das Publikum wirklich so leicht dem "Glaubensanspruch" der Wissenschaftler? Wer frönt denn heutzutage noch dem "eindimensionalen Fortschrittsdenken"? Gibt es in Deutschland wirklich zu wenig Wissenschaftsskepsis? Biotechnologie und genetisch veränderte Lebensmittel sind für viele des Teufels – als würden nicht seit Jahrhunderten alle Nutzpflanzen und Nutztiere genetisch verändert durch Züchtung.

Bei allen Übertreibungen und Einseitigkeiten ist dieses in geschliffenem Stil geschriebene Buch unbedingt lesenswert: Es entlarvt die Floskeln der Festredner und zerstört manche Illusion über den Forschungsbetrieb und die Wissenschaftsbürokratien: ein Stück Aufklärung der Aufklärung.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Konrad Adam: Kampf gegen die Natur. Der gefährliche Irrweg der Wissenschaft
Rowohlt Verlag, Berlin 2012
272 Seiten, 19,95 Euro
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