Aufklärerisch, spirituell und mystisch

21.09.2010
Das kosmopolitische Denken Schopenhauers ist auch 150 Jahre nach dessen Tod von Interesse: Eine essayistische Lebensgeschichte des Philosophen hat Robert Zimmer verfasst. Handlicher aber etwas ungeordnet ist ein Überblick seiner Weisheiten von Otto A. Böhmer geraten.
Robert Zimmers Buch "Arthur Schopenhauer. Ein philosophischer Weltbürger" ist ein Glücksfall für die Leser, aber auch für den Nachruhm Schopenhauers. Obwohl Zimmer jederzeit seinem Hauptanliegen treu bleibt, Philosophen und Philosophiegeschichte für ein breites Publikum zugänglich zu machen, nähert er sich Schopenhauer nicht über die zahlreichen Klischees, den exzentrischen Charakter, die wohlfeilen Weisheiten, sondern über Rang und Bedeutung des Werks. Er feiert es im ersten Satz als "eines der großen philosophischen und literarischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts". Und er beweist souverän, dass Schopenhauer "aus den Koordinaten der deutschen Geistesgeschichte nur unzureichend zu verstehen ist".

Der vielsprachige, vielgereiste, naturwissenschaftlich umfassend interessierte, in der gesamten europäischen, aber auch der östlichen Literatur überaus bewanderte Schopenhauer bewegte sich in ähnlich weiten Horizonten wie seine Idole Kant und Goethe. Zimmer zeigt im chronologischen Durchgang durch die Biografie des gebürtigen Danziger genauestens, welche Menschen, Orte, Erfahrungen und Lektüren dazu beitrugen. Ihm gelingt das Kunststück, profunde Erläuterungen der Philosophie Schopenhauers geschmeidig und erhellend in die an Abenteuern, Liebschaften, Zerwürfnissen und Seltsamkeiten reiche Lebensgeschichte einfließen zu lassen.

Schopenhauer wird als Denker vorgestellt, der aufklärerische, spirituelle und mystische Impulse genauso verbindet wie alltagsnahe Erfahrungsbezogenheit, kritische Analyse und Erlösungsverlangen. Zimmer wundert es darum nicht, "dass Schopenhauers Philosophie wie keine andere geeignet ist, als säkulare Religion ohne Gott gelesen zu werden". Schopenhauers Interessen für das Unbewusste und die Sexualität weisen auf Sigmund Freud voraus. Sein Interesse für das Irrationale will Zimmer auf keinen Fall mit Irrationalität verwechselt sehen – was Schopenhauers Gegner bis heute gern tun.

Zimmers teilt mit Schopenhauer die Leidenschaft für den Essay und die Kennerschaft der großen Essayisten. Davon profitiert das Buch enorm – und genauso von kluger Zurückhaltung. So packend Zimmer selbst schreiben kann, versucht er nicht, mit Schopenhauers bisweilen radikaler Wucht zu konkurrieren. Schopenhauer war im Persönlichen äußerst kompliziert und stand sich selbst oft grandios im Wege. Zimmer unterschlägt davon nichts – im Gegenteil. Es wimmelt von Anekdoten und Kuriositäten. Aber sie sind, was sie sind: Beiwerk. Vor allem verehrt Robert Zimmer Schopenhauer als philosophischen Weltbürger. Das ist der rote Faden, dem man begeistert folgt.

Viel handlicher erscheint der Philosoph in Otto A. Böhmers "Schopenhauer oder die Erfindung der Altersweisheit". Böhmer konzentriert sich auf die Moralistik sowie die Lebens- und eben Altersweisheiten Schopenhauers – eine legitime Beschränkung, der allerdings manchmal die innere Ordnung fehlt. Auch Böhmer lässt sich mitreißen vom bisweilen rotzigen Schopenhauer, will jedoch selbst mitmischen und riskiert Kalauer und Flapsigkeiten. Wer das Beste zum Schluss liebt, sollte Böhmers Buch vor Zimmers Biografie lesen.

Besprochen von Arno Orzessek

Robert Zimmer: Arthur Schopenhauer - Ein philosophischer Weltbürger
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010
299 Seiten, 14,90 Euro

Otto A. Böhmer: Schopenhauer oder Die Erfindung der Altersweisheit
Verlag C. H. Beck, München 2010
160 Seiten, 10,95 Euro
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