"Aufgeschlossene Unternehmen machen da mit"

Christine Lüders im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 04.08.2010
Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, hat ein Pilotprojekt über anonymisierte Bewerbungen initiiert. Damit könnten Unternehemen "vielleicht die letzten Scheren im Kopf wegkicken", sagte Lüders über damit verbundene Erwartungen.
Matthias Hanselmann: Hat Anton bessere Chancen, einen Job zu bekommen als Aslan? Wird Britta eher zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen als Hatice? Die Antwort lautet: Ja! Eine Studie des Instituts Zukunft der Arbeit zeigt, dass die Chance auf eine positive Antwort, auf eine Einladung zum Bewerbungsgespräch also, bei nicht deutschen Namen um 14 Prozent sinkt, bei kleineren Betrieben sogar um 24 Prozent. Abhilfe sollen hier anonymisierte Bewerbungen schaffen, das heißt Bewerbungen, bei denen für den Personaler einer Firma weder der Name noch das Alter oder die Nationalität des Bewerbers erkennbar sind.

Allein die Qualifikation soll entscheiden, und darüber, ob der Kandidat eingeladen wird oder nicht. Hierzu startet in Deutschland im Herbst ein Pilotprojekt, das von Christine Lüders initiiert wurde, mit der ich vor der Sendung gesprochen habe. Sie ist die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Gleich unser Gespräch.

In den USA sind anonyme Bewerbungen schon seit Langem gang und gäbe, auch unser Nachbar Frankreich sammelt seit Längerem Erfahrungen damit. Darüber informiert uns zunächst unsere Korrespondentin Evi Seibert.

Bei uns ist Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Guten Tag, Frau Lüders!

Christine Lüders: Guten Tag!

Hanselmann: Sie haben den ersten Versuchsballon schon mal in Ihrem eigenen Haus losgelassen und eine Tür geöffnet. Vor einigen Wochen haben Sie die Stelle des Leiters der Öffentlichkeitsarbeit anonymisiert ausgeschrieben. Erzählen Sie uns doch, wie das genau gelaufen ist!

Lüders: Wir haben die Bewerbung über das Bundesverwaltungsamt ausgeschrieben, dort wurde das Onlineverfahren so praktiziert, dass wir nur die Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber bekommen haben, und aufgrund der Qualifikation aussuchen konnten. Und Sie wollen wahrscheinlich auch wissen, wer gewonnen hat?

Hanselmann: Natürlich!

Lüders: Die Referatsleiterin ist Ferda Ataman, eine Frau, die sehr, sehr qualifiziert und überzeugend war, und wir freuen uns, dass wir jetzt eine Frau mit türkischem Migrationshintergrund für unsere neue Stelle gewonnen haben. Und es hätte auch jemand anders werden können, weil die Qualifikation ...

Hanselmann: Auch ein Mann?

Lüders: ... aber selbstverständlich, warum nicht?

Hanselmann: Ja, angesichts Quotenregelung muss man schon mal nachfragen dürfen. Wie genauer soll das von Ihnen jetzt angeschobene Pilotprojekt aussehen? Beschreiben Sie es uns!

Lüders: Zunächst einmal sind wir mit diesem neuen Verfahren an Unternehmen herangetreten, haben Unternehmen gefragt, ob sie gerne mitmachen würden. Wir wollten eigentlich feststellen, klappt so etwas unkompliziert, so ein Verfahren, was Frankreich und andere Länder bereits machen, oder ist es kompliziert.

Dazu wollten wir gerne auch eine Behörde haben, deshalb habe ich Bundesfamilienministerin Frau Dr. Schröder angesprochen, und sie hat Ja gesagt, stellt sich diesem Experiment. Und auch der Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen wird an unserem Pilotversuch teilnehmen.

Hanselmann: Diese Anonymisierung, wie genauer sieht die aus, was bleibt dem Personalchef verborgen?

Lüders: Dem Personalchef bleiben die persönlichen Angaben wie Foto, Name, Adresse, Geschlecht, Familienstand, Nationalität, all das bleibt ihm verborgen, er kriegt lediglich die Qualifizierung eines Bewerbers oder einer Bewerberin durchgereicht.

Hanselmann: Einige Eckdaten haben Sie schon genannt, was weggelassen wird, nun ist es so: Entscheidend soll die Qualifikation sein, aber gehen denn aus den restlichen Angaben nicht schon auch Informationen hervor über die Person, meinetwegen jemand mit türkischem Migrationshintergrund hat länger in einer türkischen Firma gearbeitet, jemand, der gar nicht unter 50 Jahre alt sein kann, weil seine Vita einfach so umfangreich ist - wie kann man so was anonymisieren?

Lüders: Sie können nie nie sagen und nicht immer alles ausschließen, das wird nie gehen. Aber Sie können etwas besser machen, als es vielleicht jetzt läuft. Ich denke, man kann sich ganz sicherlich auch aufgrund eines Lebenslaufes erschließen, wie alt eine Person ist, aber nicht auf den Punkt.

Sie wissen, dass eine Person, die die und die und die Erfahrungen hat, vielleicht um die 40, aber auch 45 sein kann, vielleicht ist sie aber auch älter. Genau auf den Punkt die 55 sehen Sie dort nicht. Und jemand, der vielleicht einen Lebenslauf vor sich hat, wo oben steht Alter 55, der fliegt gleich vom Tisch. Hier schauen Sie aber erst mal auf die Qualifikation, und wenn dieser Mensch Erfahrungen hat, wird er dann vielleicht seine erste Chance eher bekommen, als wenn er das genau detailliert angibt.

Hanselmann: War es eigentlich leicht, diese Unternehmen davon zu überzeugen?

Lüders: Ich sage mal so: Aufgeschlossene Unternehmen machen da mit. Für die anderen war es nicht unbedingt unkompliziert. Wir haben interessante Absagen bekommen von großen Unternehmen, von denen wir uns erhofft haben, dass sie mitmachen, die haben aber dann immer gesagt, ach, wir sind schon vielfältig organisiert, wir brauchen da nicht noch mehr, was ich schade finde, aber ich denke, andererseits genügen auch fünf Unternehmen und eine Behörde, um zu zeigen, wie funktioniert es eigentlich.

Hanselmann: Was versprechen die sich eigentlich davon, außer Publicity?

Lüders: Ich glaube, dass die Unternehmen sich davon versprechen, dass sie auch vielleicht die letzten Scheren im Kopf wegkicken können, die jetzt vielleicht noch vorhanden sind, oder sie erhoffen sich auch dabei, zu überprüfen, wie sinnvoll so ein Verfahren für ihr Unternehmen ist, um möglichst vielfältig aufgestellt zu sein, weil Vielfalt hilft jedem Unternehmen.

Hanselmann: Wir müssen auf jeden Fall noch über den wie ich finde entscheidenden Punkt reden. Man hat sich anonym beworben und man wird eingeladen zu einem Bewerbungsgespräch. Man trägt einen türkischen oder bosnischen oder wie auch immer Namen und sitzt dann dem Personalchef gegenüber. Dann kommt ja der springende Punkt: Wenn man Pech hat, dann sitzt da jemand, der vielleicht offen oder latent eine Abneigung gegen Migranten hat.

Lüders: Ja, aber dieser Migrant hat nun die Chance, im Gespräch sich zu behaupten, zu beweisen. Diese Chance hätte er vorher noch gar nicht bekommen. Und ich glaube, da verliert sich so manches Vorurteil in den Köpfen von Personalchefs, wenn überhaupt vorhanden – ich möchte damit auch nicht sagen, dass alle Unternehmen Vorurteile haben. Aber die Vorurteile gibt es, das belegen Forschungen, und die müssen wir verhindern.

Hanselmann: Endet da Ihr Wirkungs- oder Einflussbereich oder anders gesagt, was kann jemand machen, der dem Personalchef gegenüber gesessen hat und das Gefühl hat, ich bin wegen meiner Hautfarbe, wegen meiner Herkunft, wegen einer Behinderung oder nur weil ich Frau bin jetzt nicht genommen worden?

Lüders: Der kann sich zum Beispiel bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beraten lassen, wenn er das Gefühl hat, benachteiligt zu werden, da gibt es ganz klare Vorschriften und ganz klare Gesetzeslagen, die wir gerne gemeinsam mit so jemandem überprüfen. Wir haben immer wieder Anfragen gerade dazu, vor allen Dingen auch von Frauen, die zum Beispiel sich bewerben und auf das Formular schreiben: verheiratet, zwei Kinder - die dann aber, wenn sie die zwei Kinder weglassen, merkwürdigerweise relativ schnell eingeladen werden.

Hanselmann: Wir haben vorhin gesagt, in den USA gibt es diese Verfahren schon seit den 60er-Jahren, auch in Großbritannien schon sehr lang – was haben Sie von diesen Ländern übernommen oder gelernt?

Lüders: Man lernt von diesen Ländern eigentlich, dass es nicht so kompliziert ist. Ein Verfahren umzustellen, ist eine einmalige Sache, man kann das online machen in einem großen Unternehmen, oder man kann das im Kleinen auch über das Sekretariat erledigen lassen oder über eine andere neutrale Stelle. Und wenn das einmal praktiziert wird, dann ist das auch kein großes Problem, es einzuführen.

Hanselmann: Ich glaube, Sie haben gerade auf meinen Zettel geschaut und haben das Stichwort Bewerberlotto gesehen, denn es gibt kritische Stimmen, die eben von einem solchen Bewerberlotto sprechen und davon, dass das Verfahren nur den bürokratischen Aufwand der Personalabteilungen erhöhen würde. Was entgegnen Sie diesem?

Lüders: Ich glaube, es ist einfach die Angst vor etwas Neuem. Die ist ja in vielen Bereichen ausgeprägt oder auch weniger ausgeprägt. Hier, denke ich, ist es wie bei dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz: Als das eingeführt wurde, schrie die Wirtschaft auf und sagte, um Gottes willen, was für ein bürokratischer Popanz, jetzt kommen die großen Klagewellen. Und, was ist passiert, nach vier Jahren Bilanz? Es gibt die Klagewellen nicht.

Hanselmann: Frau Lüders, wollen Sie darauf hinarbeiten oder wünschen Sie sich, dass das anonyme Bewerben in Deutschland gesetzlich irgendwann vorgeschrieben wird?

Lüders: Nein, ich würde mir das niemals wünschen, und ich sage Ihnen auch ganz klar warum: Ein Zwang ist nie gut. Ich glaube auch nicht, dass das anonymisierte Bewerbungsverfahren für alle Bereiche taugt.

Ich würde mir zum Beispiel auch keinen Vorstandsvorsitzenden aussuchen, anonymisiert, ich glaube, da gibt es Headhunting-Prozesse, die nicht aufzuhalten sind, und es wäre absurd, das zu verlangen. Man muss sehen, Unternehmen überzeugen, wo es sinnvoll ist, solche Ausschreibungen vorzunehmen.

Das Wichtigste ist, Deutschland muss erkennen, dass wir keine qualifizierte Bewerberin oder Bewerber verlieren dürfen. Wir brauchen sie!

Hanselmann: Anonymisierte Bewerbungen, das Pilotprojekt startet im Herbst, und es wurde initiiert von Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Vielen Dank für das Gespräch!

Lüders: Danke!