Aufgeladene Rivalität

09.02.2009
"Die letzte Partie" erzählt die Geschichte einer Obsession. Im Mittelpunkt des neuen Romans von Fabio Stassi steht der kubanische Schachspieler José Raúl Capablanca, der 1888 in Havanna geboren wurde, als Wunderkind galt, zu einer internationalen Größe aufstieg und 1921 Emanuel Lasker den Weltmeistertitel abnahm, den er sechs Jahre später an den Russen Alexander Aljechin verlor. Aljechin verweigerte ihm das Revanchespiel - und die aufgeladene Rivalität zwischen den beiden Spielern wird für den italienischen Schriftsteller Fabio Stassi zum Ausgangspunkt seines Plots.
Sein Roman beginnt an einem Sonntag im Jahre 1946 in Portugal. In einem bescheidenen Hotelzimmer wird ein fremder Herr tot aufgefunden. Es handelt sich um den amtierenden Schachweltmeister Alexander Aljechin, inzwischen ein einsamer, verwahrloster und dem Alkohol verfallener Mann, und er scheint an seinem Abendessen erstickt zu sein. Aber die örtliche Polizei kann Fremdeinwirkung nicht ganz ausschließen.

Dann werden wir in das Jahr 1941 zurück versetzt. Stassi installiert eine Rahmenhandlung: In Rio Preto, einem Kaff auf der iberischen Halbinsel, findet mitten im Zweiten Weltkrieg im März 1941 ein Spiel zwischen Capablanca und einem amerikanischen Anwärter auf den Weltmeistertitel statt. Es soll für Capablanca der Auftakt zu einem Comeback sein, ein letzter Versuch, zu seiner alten Größte zurück zu kehren.

Die Vorbereitungen auf das Spiel, die Beobachtungen von Capablancas Ehefrau Olga, der Auftakt der Partie, Capablancas Nervosität, schließlich sein Zusammenbruch, während er den entscheidenden Zug setzt und seine allmähliche Erholung durch Spiele mit einem kleinen Jungen umkränzen eine Serie von Rückblenden, die den Werdegang von Capablanca chronologisch auffächern und seine Kindheit, seine bahnbrechenden Erfolge, seine Bekanntschaft mit Aljechin in Sankt Petersburg 1914 und seine Niederlage gegen den Russen in Buenos Aires 1927 zum Gegenstand haben. 1942 erleidet Capablanca im New Yorker Schachclub einen Schlaganfall und stirbt wenig später. Aber sein letzter Schachzug steht noch aus: Er wird erst 1946 vollendet werden.

Fabio Stassis brillant konstruierter Roman kreist um die Psyche des Capablancas, die durch eine neutrale Erzählerstimme auf eine distanzierte und kühle Art und Weise in den Blick genommen wird. Der Schriftsteller vollzieht formal den Aufbau eines Schachspiels nach. "Die letzte Partie" besteht aus 64 knappen Kapiteln, was der Anzahl der Felder auf einem Schachbrett entspricht.

In seiner Präzision und der geometrischen Anordnung der Kapitel ahmt der Autor außerdem den Ablauf einer Partie nach. So als sei er selbst der Gegner Capablancas, bemüht er sich um eine Einschätzung seines Gegenübers. Bei Stassi erscheint der Kubaner einerseits als ein gewinnender Verführer und Feingeist, andererseits besitzt er etwas Fanatisches. Die verweigerte Revanche treibt Stassis Capablanca nach und nach in den Untergang.

Denn jenseits des Schachs existiert die Welt nicht: Sein Leben, die Menschen um ihn herum, seine Gefühle, jeder Schritt, den er unternimmt, jede noch so zufällige Begegnung steht unter dem Diktat der vierundsechzig Schachbrettfelder und der Regeln des Spiels. In der Folge sind alle äußeren Begebenheiten nichts anderes als Züge eines imaginären Gegners, zu denen sich Capablanca verhalten muss. Virtuos arbeitet Fabio Stassi mit dem authentischen Material, ergänzt die Leerstellen durch Erfundenes und macht seinen Helden zu einer tragischen Gestalt.

Für ihn waren Capablanca und Aljechin - der sowohl in Wirklichkeit als auch bei Stassi zu einem lautstarken Anhänger der Nazis wurde – wie Brüder. Beide sind durch die außergewöhnliche Begabung einsame Menschen. Als sie sich 1914 begegnen, erkennen sie im jeweils anderen den einzigen würdigen Gegner. In Petersburg treiben sie ihre Rivalität noch spielerisch auf die Spitze: Sie wetten um den Besitz einer Frau, der Geliebten des Großfürsten. Als Aljechin seinen Gegner zuerst besiegt und ihm dann die Möglichkeit einer Revanche verweigert, erlebt das Capablanca als einen vernichtenden Verrat.

Stassi, der 1962 auf Sizilien geboren wurde, als Bibliothekar in Rom arbeitet, mittlerweile drei Romane veröffentlicht hat und in Italien in dem renommierten Kleinverlag Minimum Fax erscheint, legt vor allem auf die formale Gestaltung seines Stoffes allergrößten Wert. Darin liegt auch seine Beschränkung. Obwohl ihm sehr schöne Momente gelingen und er vor allem für den Tod Aljechins – nach seiner Phantasie doch noch eine späte Rache Capablancas – eine wunderbare Erklärung findet, entwickelt "Die letzte Partie" bisweilen eine mechanische Eleganz, die den Roman ein wenig leblos erscheinen lässt. Schachspieler und Form-Fanatiker werden allerdings Gefallen daran finden.

Rezensiert von Maike Albath

Fabio Stassi, Die letzte Partie,
Roman, Aus dem Italienischen von Monika Köpfer, Kein & Aber Zürich 2009, 236 Seiten, 19,90 Euro