"Aufgeblasene Diskussion" um Länderfinanzausgleich

Moderation: André Hatting · 23.08.2013
In der aktuellen Debatte um den Länderfinanzausgleich hätte die Kanzlerin den bayerischen Ministerpräsidenten mäßigen sollen, kritisiert Kurt Beck. Wahlkampfzeiten seien ungeeignet, um solch komplexe Fragen zu diskutieren, so der Vorsitzende der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.
André Hatting: Länderfinanzausgleich – wieder so ein schönes Beispiel aus dem Wortfeld deutscher Bürokratie. Dahinter steckt das Prinzip reich hilft arm. Weil in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen mehr verdient wird, müssen diese Länder den anderen Geld abgeben. Drei Länder drücken also ab, dreizehn halten die Hand auf. Das geht Hessen und Bayern zu weit, sie haben gegen den Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Und CSU-Chef Seehofer hat jetzt noch eine Schippe draufgelegt: Unterschrift unter einen neuen Koalitionsvertrag im Herbst nur dann, wenn darin auch eine Neuverteilung vereinbart wird.

Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kurt Beck. Der SPD-Politiker war lange Jahre Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, also einem Nehmerland. Guten Morgen, Herr Beck!

Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

Hatting: Herr Beck, machen wir es mal konkret: Warum betrifft ein Streit über den Länderfinanzausgleich in Berlin auch die alleinerziehende Mutter in, sagen wir mal, Idar-Oberstein?

Beck: Eigentlich überhaupt nicht, weil der Länderfinanzausgleich ist ein Einnahmeausgleich und kein Ausgabenausgleich. Es geht also darum, dass unterschiedliche wirtschaftliche Stärke unter den Ländern einigermaßen ausgeglichen wird. Im Wesentlichen muss man sagen, sind das nicht die Länder im Westen untereinander, sondern es ist im Wesentlichen ein Ausgleich, der zum Löwenanteil an die östlichen Länder geht. Und das eben, weil die Wirtschaftskraft noch nicht so weit entwickelt ist. Also das sind die Grundlagen, die ausgeglichen werden, einigermaßen ausgeglichen werden.

Hatting: Trotzdem hat der gemeine Bürger in einem sogenannten Nehmerland sehr wohl was davon. Beispiel Berlin. Dort gibt es gebührenfreie Kitas. Das geht den Bayern gewaltig gegen den Strich, weil die sagen, wir zahlen für ein Land, das hoch verschuldet ist, und das gewährt einfach gebührenfreie Kitas.

Beck: Das ist eben genau das Falsche an dieser Argumentation, und die werden damit auch nicht durchdringen beim Bundesverfassungsgericht. Denn es ist völlig Sache der Länder, was sie mit ihrem Geld machen. Bayern könnte sich natürlich immer auch freie Kindergärten leisten, aber da hat man eine andere Ideologie.

Hatting: Also wir sind von Seehofer ja einiges an Sprüchen gewohnt, besonders auch im Wahlkampf, der jetzt stattfindet. Aber jetzt hat sich auch die Bundeskanzlerin eingeschaltet, und auch sie sagt, es gebe Ungerechtigkeit, man müsse neu über den Finanzausgleich nachdenken. Sie sagen, Nein, muss man nicht, ist alles gut so?

Beck: Nein, ich sage, wir machen das, was wir miteinander vereinbart haben. Ich habe das damals mitverhandelt –, nämlich der jetzige Finanzausgleich bis 2019, und dann wird zu diesem Zeitpunkt neu verhandelt, und diese Verhandlungen müssen drei, vier Jahre vorher beginnen. Aber Frau Merkel, die müsste eigentlich als aus einem ostdeutschen Land kommend sagen, Lieber Stoiber, halt dich mal zurück mit deinen Sprüchen ...

Hatting: Seehofer.

Beck: ... ja, Seehofer – weil sie eben weiß, dass die ostdeutschen Länder darauf angewiesen sind. Also insoweit, da stellt man lieber einen Koalitionspartner oder Regierungspartner jetzt ruhig vor der bayrischen Landtagswahl. Nein, das ist wirklich eine aufgeblasene Diskussion.

Hatting: Herr Beck, Sie haben das schon angesprochen, nach 2019 läuft dieser Solidarpakt 2 aus und damit eben auch der Finanzausgleich in der jetzigen Form, den Sie mitverhandelt haben. Was müsste man denn ändern, muss man zum Beispiel ändern, dass Berlin und Bremen und Hamburg, dass deren Einwohner höher bewertet werden als andere? Ist das ein Punkt, der zu verbessern ist?

Beck: Das ist ein Kriterium, aber dann muss man auch über andere Verbesserungskriterien reden. Wir haben beispielsweise große Flughäfen als ein Verbesserungskriterium. Wir haben Hafenstädte da mit drin. Wir haben auf der anderen Seite Einnahmen von Ländern aus dem Bereich Finanzwirtschaft deutlich unterdurchschnittlich drin, da sind Kompromisse gemacht worden damals, um einigermaßen zu einem Ergebnis zu kommen.

Hatting: Was würden Änderungen in der Konsequenz dann bedeuten?

Beck: Ja, das kann man, wenn man 100 Stellschrauben hat, an denen man drehen kann, muss man immer gucken, was kommt unterm Strich dabei heraus. Und insoweit, ich bin nicht gegen ein Nachtarieren, ganz und gar nicht. Aber wie gesagt, dann müssen auch solche Fragen mit hinein, wer erhält vom Bund beispielsweise welche Fördermittel, und warum sind Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen dabei so benachteiligt.

Aber das, was jetzt läuft, ist Wahlkampfkrach, der da gemacht wird, der uns in einer so komplexen Geschichte nicht voranführt. Übrigens, der eben versehentlich von mir noch genannte Stoiber, der hat damals im Bayerischen Landtag in höchsten Tönen den Kompromiss, der jetzt gilt, gelobt, für Bayern hervorragend. Also das kann heute nicht ganz so falsch sein.

Hatting: Und deswegen ist er Ihnen wahrscheinlich auch gerade wieder eingefallen.

Beck: Kann sein!

Hatting: Nur ein Jahr später, 2020 nämlich, gilt die Schuldenbremse in vollem Umfang, also Neuverschuldung ist dann für die Länder gesetzlich verboten. Für Bremen oder das Saarland, da gab es eine neue Studie, ist eigentlich absehbar, das schaffen die niemals. Deswegen schlagen immer mehr Politiker vor, man solle doch die Bundesländer neu ordnen. Brauchen wir immer noch 16 Bundesländer, Herr Beck?

Beck: Ich glaube, dass man über die Länderneuordnung vernünftig miteinander reden kann. Es hat ja einen Versuch gegeben, Berlin und Brandenburg zu fusionieren. In der Verfassung in Deutschland steht, dass die Bürger befragt werden müssen – die Brandenburger Bürger haben das mehrheitlich abgelehnt, ich bedaure das, und ich glaube, dass man darüber reden kann. Aber es muss darum gehen, dass diejenigen dann miteinander fusionieren, wo es auch innerlich, von der Mentalität der Menschen zusammengeht.

Hatting: Welche Länder fallen Ihnen da ein?

Beck: Na ja, ich will jetzt nicht über andere reden. Aber es gibt ja diese Idee eines Nordstaates, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, gegebenenfalls Niedersachsen und die Stadtstaaten einzubeziehen. Also da gibt es eine Reihe von Überlegungen, und das gilt auch für Rheinland-Pfalz und Saarland beispielsweise.

Hatting: Das würde möglicherweise die jetzigen Probleme, die die Länder in den einzelnen Fällen haben, lösen?

Beck: Nein. Nein, das wäre ein Schritt dazu. Aber die Probleme, die einzelne Länder haben, die ja jetzt auch Sonderzuweisungen des Bundes bekommen, diese Länder brauchen eine verbesserte Einnahmebasis. Und deshalb, zuerst müssen wir eigentlich die Steuerprobleme lösen. Dann parallel dazu eben eine Reihe von Sparprogrammen machen, die die Länder aber nicht umbringen, sondern durch Fusionierungen von einzelnen Aufgaben vorankommen. Und dann kann man die Bürger irgendwann fragen, ob sie denn mit einer Fusion zwischen Ländern einverstanden wären, aber in dieser Reihenfolge. Und Wahlkampfzeiten sind die schlechtesten Zeiten, um solche komplexen Fragen zu diskutieren.

Hatting: Kurt Beck, langjähriger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, jetzt Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Beck!

Beck: Danke auch, tschüss!

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