Aufführung von "Souvenir 1870" in Senftenberg

Mit Theodor Fontane im Theaterzug

10:58 Minuten
Der blaue Zug des Theaterprojekts "Das letzte Kleinod" fährt durch grüne Landschaft.
Der blaue Zug steht für das Theaterprojekt von Jens-Erwin Siemssen und seinem Ensemble. © Das letzte Kleinod
Moderation: Janis El-Bira · 03.08.2019
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Mit einem ausrangierten Eisenbahnwagen ist "Das letzte Kleinod", ein Eisenbahntheater, unterwegs. Aktueller Stopp ist Senftenberg. Der Leiter des Theaters, Jens-Erwin Siemssen, erklärt, wie sich das Ensemble momentan dem Werk Theodor Fontanes widmet.
Am Güterbahnhof der brandenburgischen Stadt Senftenberg sorgt er dieser Tage für Aufsehen: Ein ozeanblauer Zug inmitten grauer Industriefahrzeuge, um den herum Scheinwerfer geschleppt werden und Schauspieler ihre Texte proben.
Der Zug gehört dem freien Theaterprojekt "Das letzte Kleinod", das in Senftenberg gerade die Premiere seines Stücks "Souvenir 1870" über den Schriftsteller Theodor Fontane vorbereitet. Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur hat Jens-Erwin Siemssen, Leiter des Ensembles, zunächst erzählt, wie er zu seiner ungewöhnlichen, rollenden Bühne gekommen ist:
"Ja, ich habe schon in meiner ganzen Berufslaufbahn ‚site-specific‘ gearbeitet. Das heißt, ich habe Orte und ihre Geschichten zusammengeführt und inszeniert. Es ist natürlich dann immer schwierig, an solchen Orten die Infrastruktur herzustellen. Ein festes Haus hat alles. Die haben die Scheinwerfer, Kabel sind verlegt, Stühle und so weiter. Das haben wir draußen nicht. Und deswegen habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, wie man diese Infrastruktur mobilisieren kann. Dann bin ich irgendwann auf die Idee gekommen, einen Zug dafür zu nutzen. Das war vor ungefähr 20 Jahren; wir hatten in einem Bahnhof angefangen, an der Bahnlinie Bremerhaven-Hamburg, wo wir ein Abstellgleis haben und auch diesen Zug stationieren können. Und irgendwann bekam ich dann mal den Anruf: Herr Siemssen, Sie wollten doch Waggons kaufen, wir hätten da welche für Sie. Und dann ging es los. Jetzt haben wir eben sanierte Fahrzeuge, die als Produktionsstätte für Kunst im öffentlichen Raum, für Theater im öffentlichen Raum verwendet werden können."

Gefangen am äußersten Rand Frankreichs

Dabei ist Siemssens Zug keine schwerfällige Attrappe, sondern tatsächlich schienentauglich – barrierefrei im Eisenbahnnetz einsetzbar in Deutschland, Polen und den Niederlanden, wie der Regisseur berichtet. So ist man nun auch auf Gleisen nach Senftenberg gelangt, wo "Das letzte Kleinod" anlässlich eines Theaterspektakels zum 200. Geburtstag Theodor Fontanes dessen Erinnerungen an seine Zeit in französischer Kriegsgefangenschaft im Rahmen des deutsch-französischen Krieges auf die Zugbühne bringt. Dabei war Jens-Erwin Siemssen anfangs skeptisch, weil sein Ensemble normalerweise nicht mit Literaturvorlagen arbeitet und auch der Fontane-Klassiker "Effi Briest" nicht unbedingt zur Lieblingsliteratur des Regisseurs zählt:
"Ich bin ganz schnell darauf gestoßen, dass Fontane als Kriegsberichterstatter in drei Ländern war und da auch Schriften drüber hinterlassen hat. Das passte ganz gut in unser Profil, da wir uns viel mit Flucht, Migration, Kriegen beschäftigt haben – da habe ich gedacht: Das ist vielleicht doch interessant."
Die Mitglieder des Ensembles "Das letzte Kleinod" hocken und stehen im seichten Wasser auf der Atlantik-Insel Oléron. Genauer gesagt vor dem Rempart, dem Verteidigungswall.
Das Ensemble vom Theaterprojekt "Das letzte Kleinod" übte das Stück "Souvenir 1870" auf der Atlantikinsel Oléron, wo Fontane 1870 gefangen war. © Hans Otto Theater / Siemmsen
Fontane war 1870 als vermeintlicher preußischer Spion in Frankreich festgenommen und auf die Atlantik-Insel Île d’Oléron gebracht worden. Entgegen seiner Befürchtungen fand der frankophile Fontane aber ausgerechnet dort überaus kultivierte "Gastgeber" vor, die ihn mit deutschem Bier versorgten und ihm die Haft, die schnell aufgrund diplomatischer Bemühungen endete, verhältnismäßig angenehm gestalteten.

Weltbürger und früher Europäer

Siemssen und sein Ensemble haben diese Erfahrungen Fontanes bei einer Reise nach Oléron nacherlebt, haben vor Ort geprobt, die Veränderungen aufgezeichnet, mit den auch dort längst protestierenden Gelbwesten gesprochen und bringen ihre Eindrücke nun für ihre Inszenierung "Souvenir 1870" mit nach Deutschland. Besonders fasziniert hat Siemssen dabei, dass Fontane die Auflage seiner französischer Bewacher, nach seiner Freilassung ja nichts Negatives über Frankreich zu schreiben, ganz selbstverständlich annahm – denn man müsse ihn darum nicht bitten, er habe sowieso nichts gegen Frankreich. Jens-Erwin Siemssen:
"Fontane war eigentlich ein Weltbürger, er war sehr offen, eigentlich ein Europäer. Und das kann man von Bewegungen, die heute in Frankreich oder auch in Deutschland stattfinden, ja nun nicht unbedingt sagen."
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