Aufführung aus dem Brechtschen Theatermuseum

Von Bernhard Doppler · 23.03.2011
Neben der "Dreigroschenoper" ist "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" mit der Musik von Kurt Weill wohl eines der bekanntesten Stücke von Bertolt Brecht. Katharina Thalbach inszeniert es in Köln als eine Art Wildwest-Operette mit nicht ganz jugendfreien Szenen.
Wo liegt "dieses Mahagonny", die "Netzestadt"? Paradiesversprechen und Hölle zugleich? Am Aralsee, dem einst riesigen Binnensee Zentralasiens, der in den letzten Jahren zu 90 Prozent ausgetrocknet ist? Einstige Bade- und Hafenstädte befinden sich mitten in einer Salzwüste, nun weit mehr als 100 Kilometer vom Wasser entfernt.

Mit diesem Hinweis wird im Programmheft das Bühnenbild von Momme Röhrbein begründet: Ein rostiges Schiff mitten in einer Wüstenlandschaft. Mahagonny auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion spielen zu lassen, hätte durchaus eine neue Perspektive auf die Sehnsuchtsstadt entwicklen können, doch bei Katharina Thalbach ist Mahagonny ein konventioneller Theaterort.

Es wird in Dollar abgerechnet, und die Figuren erinnern an Charlie Chaplins Stummfilm "Goldrausch", dessen Amerika ja Bert Brecht und Kurt Weill tatsächlich faszinierte. Sie sind freilich im Gegensatz zum Stummfilm sehr bunt gekleidet und oft geht das Stück – als Theater-Wildwest-Volksstück – noch hinter die Entstehungszeit 1930 zurück, vor allem wenn die Prostituieren ihre Beine zu Weills Shimmy wie zu Offenbachs Can Can in die Höhe werfen. Der von Brecht und Weill 1930 einst mit "Mahagonny" bewusst provozierte Skandal ist in Köln zum Operettenvergnügen oder zum nostalgischen pornographischen Schattenriss geworden.

Eine Aufführung aus dem Brechtschen Theatermuseum! Es gibt die Brechtgardine und – episches Theater: – die Ansage der einzelnen Szenen. Eine Mutter mit Baby, das im Finale vor der Pause sich durch Greinen bemerkbar macht, hat Katharina Thalbach zusätzlich eingeführt: eine sentimentale Reminiszenz an Brecht "Nachgeborene" nach den finsteren Zeiten oder ein Fingerzeig für unsere Verantwortung gegenüber künftigen Generationen im Angesicht der von Menschen verursachten Katastrophen. Aber so rührselig ist Brecht ja gerade nicht.

Dass Mahagonny – mit seiner zentralen Hurrikan-Szene – angesichts des Tsunami und des Reaktorunfalls von Fukushima geradezu unheimlich tagesaktuell sei, ist nichts mehr als Behauptung. Fast alle Aussagen des Stückes, etwa die von der Vorherrschaft des Geldes, sind in den letzten 80 Jahren zynische Allerwelts-Plattitüden geworden. Viel interessanter ist ja, wie Weill und Brecht traditionelle Opernmotive politisch präzisieren und - dialektisch - auf den Kopf stellen, Gewittermusik, Florestans-Freiheitspathos und vor allem viele sakrale Riten. "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" erscheint weniger als Drama, sondern Erörterung eines existentiellen Zustands, ein Oratorium. Schließlich liegt ihm ja auch eine Art negatives Gebetsbuch, Brechts "Hauspostille" als Keimzelle zugrunde.

Musikalisch beeindruckt die Aufführung durchaus. Subtil, präzise und effektvoll das Orchester unter der musikalischen Leitung von Lothar Koenigs, auch die Darsteller, wenngleich ohne größeres Charisma, allesamt Opernsängerinnen und Opernsänger, gefallen durchaus: die energische Dalia Schächter als Witwe Begbick, der zarte Tenor von Matthias Klink als Joe, der Mezzo von Regina Richter als Jenny. Ja, musikalisch wird man schließlich immer mehr – vor allem kurz vor und nach der Hinrichtung Joes, der kein Geld hat und den keiner mit Geld erlösen will – mitgerissen, trotz - oder paradoxerweise vielleicht gerade dann doch: wegen - allem konventionellen Theaterzauber. Ein beeindruckender unverwüstlicher Opernklassiker ist "Mahagonny" nämlich ganz gewiss.

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny an der Oper in Köln
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