Aufbruch ins Auto-Auto-Zeitalter

Autonome Fahrzeugflotten ersetzen das Privatauto

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Vor einer Häuserkulisse fährt ein kleiner blauer Bus mit drei Personen jedoch ohne Fahrer vorbei. Der Bus ist mit M City University of Michigan beschriftet.
Bus ohne Fahrer: Unterwegs in M-City, einer Muster-Kleinstadt, in der selbstfahrende Fahrzeuge getestet werden. © University of Michigan
Von Dirk Asendorpf · 28.05.2019
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Der Straßenverkehr steht vor einer radikalen Wende: weg vom individuellen Autobesitz, hin zu einem mit künstlicher Intelligenz vernetzten System autonomer Fahrzeuge. Löst dies Verkehrsprobleme oder verstärkt es nur Straßenchaos und Umweltverschmutzung?
Bundesweiter Protest gegen die Zulassung neuer Fahrdienste: Im April 2019 blockieren Taxifahrer in 30 Städten die Straßen, in Berlin legen rund 5000 Taxen in der gesamten Innenstadt den Verkehr lahm. Die Auftaktdemonstration hatte schon Ende Februar vor dem Brandenburger Tor stattgefunden. Die Rede hielt Michael Müller, Präsident des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes.
"Das ist für mich erschreckend, dass gerade nach dem ganzen Theater um die Diesel-Umweltverschmutzung hier gefördert wird, dass die Städte mit Fahrzeugen geflutet werden. Wir erleben das permanent schon heute, rechtswidrig. Und mehr Fahrzeuge heißen nicht mehr Umwelt, sondern heißen: deutlich mehr Luftverschmutzung. Alles Dinge, die deutlich zeigen: Taxi soll beerdigt werden. Das werden wir nicht zulassen."

Die Anzahl der Fahr- und Sharing-Dienste steigt

Verkehrsminister Andreas Scheuer, der den bisher streng regulierten Fahrdienstmarkt in Deutschland für neue Anbieter öffnen will, stand neben dem Taxiverbands-Chef auf der Bühne, kam aber kaum zu Wort.
"Meine Damen und Herren: Keiner will, keiner will das Taxigewerbe verdrängen, keiner will, dass wir nicht einen fairen Wettbewerb haben."
Sie heißen Uber, Moia, Car2go, BerlKönig, Waymo oder Cruise. Von VW über Mercedes und Volvo bis zu General Motors testen fast alle großen Autohersteller neue Angebote für den innerstädtischen Verkehr. Auch globale IT-Konzerne oder die deutsche Bahn mischen mit. Mal unterbieten sie die Taxipreise mit einem vergleichbaren Angebot, mal organisieren sie Fahrgemeinschaften oder das Teilen von Autos, mal bieten sie einen Fahrdienst für den Weg zwischen Haustür und nächster Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs. Und immer läuft die Vermittlung über Smartphone-Apps.

Es ist ein Kampf Alt gegen Neu. Und der hat gerade erst begonnen. Vom Silicon Valley über China bis nach Hamburg entstehen ganze Flotten elektrischer Fahrzeuge als Ersatz für das Auto im Privatbesitz. Künstliche Intelligenz steuert ihren Einsatz. Noch kommen die Fahrzeuge fast überall mit einem menschlichen Fahrer zum Kunden, doch schon bald werden sie immer häufiger komplett selbstgesteuert unterwegs sein.
Im Bild sind streikende Taxifahrer vor der Bühne mit Schildern zu sehen. Die Schilder tragen die Aufschrift "Unsere Taxis und unsere Jobs sind deine Mobilität! Scheuers Eckpunkte müssen weg."
Berlin Taxifahrer fürchten die Konkurrenz durch neue mobile Angebote wie Uber.© Imago / Christian Spicker

Aufbruch in ein neues Verkehrszeitalter

In den USA hat das bereits begonnen, auch deutsche Hersteller testen dort ihre Prototypen im öffentlichen Verkehr. Der Straßenverkehr steht vor einer radikalen Wende: weg vom individuellen Autobesitz, hin zu einem mit künstlicher Intelligenz vernetzten System autonomer Fahrzeuge.
M-City heißt eine Kleinstadt-Kopie auf dem Gelände der US-amerikanischen University of Michigan in Ann Arbor. Es gibt dort Straßen, Ampeln, Kreuzungen und bunt bemalte Hausfassaden aus Kunststoff. Studenten werden dafür bezahlt, dass sie die Bürgersteige beleben und unvermittelt auf die Straße treten. Es ist ein potemkinsches Dorf, gemacht, um selbstfahrende Autos in brenzlige Situationen zu bringen. Heute ist das Testfahrzeug ein fahrerloser Minibus. Er beachtet alle Verkehrsregeln, weicht Hindernissen elegant aus und holt Passagiere dort ab, wohin sie ihn per App ordern.

Nicht nur in den USA, auch in China, Frankreich oder Deutschland sind Auto-Autos schon seit Jahren auf Testgeländen, Privatgrundstücken, abgetrennten Fahrspuren und mit Sicherheitsfahrer hinter dem Steuer sogar mit Sondererlaubnis auf öffentlichen Straßen unterwegs.
3 Car2Go Wagen die über eine Kabel mit den Strom-Zapfsäulen verbundne sind.
Immer mehr Sharing-Autos mit Elektroantrieb sind weltweit in den Städten unterwegs.© Imago / Raimund Müller
2019 hat das Zeitalter des autonomen Verkehrs nun auch ohne Sicherheitsfahrer begonnen. Die Google-Tochter Waymo betreibt einen Taxiservice für ausgewählte Testkunden in Phoenix / Arizona und im kalifornischen Silicon Valley. Per App können sie eines von mehreren Hundert weißen SUVs anfordern. Eine Zentrale entscheidet dann je nach Verkehrsaufkommen und Wetterlage, ob das Fahrzeug die gewünschte Strecke tatsächlich selbstgesteuert bewältigen kann. In den sonnigen Testgebieten mit ihrem ruhigen Vorstadtverkehr ist das häufig der Fall. Stimmen die Bedingungen einmal nicht, wird das Taxi mit Fahrer zum Kunden geschickt.
"Das ist ein allzeit verfügbarer spontaner Tür-zu-Tür-Dienst. Und er könnte weniger als 15 Cent pro Kilometer kosten, wirtschaftlich ist das eine Riesen-Chance. Sobald es möglich wird, genügend Straßen unter ausreichend vielen Verkehrsbedingungen ohne Fahrer zu bewältigen, kann die Kommerzialisierung beginnen."
Larry Burns. Der Automobil-Ingenieur war Chef der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei General Motors in Detroit und arbeitet seit 2011 als Berater für Waymo. Er hat bereits eine ganz praktische Vorstellung davon, wie Mobilität in Zukunft aussehen kann.

"Ich schließe einen Jahresvertrag mit einem Unternehmen, das mir ein selbstfahrendes Auto zur Verfügung stellt. Es fährt mich zur Arbeit. Danach könnte ich dem Flottenmanager erlauben, das Fahrzeug anderen Kunden zur Verfügung zu stellen. Oder ich schicke es wieder los, um meine Frau abzuholen und zur Arbeit zu bringen. Sie kann dann unseren Sohn damit zum Fußballtraining kutschieren lassen. Und später lasse ich es meinen Anzug in der Reinigung und das Abendessen im Restaurant abholen. Es steht dann schon auf dem Rücksitz, wenn das Auto mich von der Arbeit nach Hause bringt. Ich nenne das einen personalisierten Roboter-Service. Die beste Art, Fahrzeit zu sparen, ist es doch, gar nicht erst fahren zu müssen."

Autos sollen durch Sharing-Systeme besser ausgelastet werden

Würden alle Privatautos in den USA durch derartige autonome Fahrdienste ersetzt, dann bräuchte es weniger Fahrzeuge, schließlich wären sie besser ausgelastet. Es müssten auch weniger Straßen und Parkflächen vorgehalten werden. Insgesamt wäre die gleiche Mobilität für weniger als 20 Prozent der heutigen Kosten möglich. Das hatte Larry Burns bereits 2013 für einen Beitrag im Wissenschaftsmagazin "Nature" ausgerechnet. Jetzt sieht er sich bestätigt.
"Ich glaube, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre einen entscheidenden Punkt erreichen werden: Dann ist die Technik so weit ausgereift, dass die meisten Investitionen in die Zukunft der Mobilität in diese Richtung fließen werden – und nicht mehr in das klassische System von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, die von Menschen gesteuert werden. Das ist der Punkt, ab dem man mit selbstfahrenden Autos Geld verdienen kann. Danach geht es nur noch darum, die Produktion hochzufahren. Und das kann sehr schnell gehen."

In den USA sind derartige ökonomische Argumente die treibende Kraft hinter der Auto-Auto-Entwicklung. Bei Taxis und Fahrtvermittlern wie Uber entfallen bisher über drei Viertel der Kosten auf die Entlohnung der Fahrer. Weil darauf spekuliert wird, dass sie bald überflüssig werden könnten, ist Uber bereits kapitalstärker als Amerikas größter Automobilkonzern General Motors. Und es locken zusätzliche Einnahmequellen. Waymo plant zum Beispiel werbefinanzierte Fahrten. Die Google-Tochter kooperiert dafür mit Walmart und anderen Einzelhändlern. Sie übernehmen die Fahrtkosten, wenn ihr Shop als Ziel angegeben wird. Im Auto können sie dann gleich für ihre Sonderangebote werben.
Ein weißer Wagen, beschriftet mit dem Logo von Waymo fährt über die Strasse einer amerikanischen Stadt.
Werbefinanzierte Mobilität: Wer zu einem bestimmten Laden möchte, soll die Fahrt im Waymo-Wagen gratis bekommen.© Quelle: Waymo

Per Elektro-Sammeltaxi durch Berlin

"Sie können gerne Platz nehmen. Es sind noch zwei Plätze frei."
In Berlin kommt die Mobilität der Zukunft noch mit Fahrer zum Kunden. In diesem Fall heißt er Jan Bonas, ist 24 Jahre alt und gerade von Uber zu CleverShuttle gewechselt. So heißen die grünen Elektromobile mit sieben Sitzplätzen, von denen bereits 150 in der Berliner Innenstadt unterwegs sind. Jan Bonas hat gerade angehalten, um noch zwei weitere Fahrgäste auf seiner Tour zum Alexanderplatz mitzunehmen.
"Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie sich anschnallen müssen, ob Sie es machen, ist Ihre Sache. So, alle angeschnallt? Perfekt."
Flüsterleise fädelt sich das Elektromobil in den Verkehr ein. Wie ein Taxi befördert es seine Fahrgäste von Haustür zu Haustür, hält unterwegs allerdings für weitere Passagiere an, die in derselben Richtung unterwegs sind. Um maximal 50 Prozent kann sich die Fahrzeit dadurch verlängern.
"Rein rechtlich gesehen sind wir ein Hybrid zwischen Linienverkehr und Mietwagen", sagt Fabio Adlassnig, der Sprecher des 2014 als Start-up gegründeten Berliner Unternehmens. Inzwischen ist es in zahlreichen Großstädten vertreten und gehört mehrheitlich der Deutschen Bahn. Dass Taxifahrer auch gegen CleverShuttle demonstrieren, kann Adlassnig nicht verstehen.
"Wenn wir uns die Zahlen in Berlin anschauen, dann sehen wir, dass die Zahl der Taxis nach wie vor rasant steigt. Wir haben jeden Monat mehr Taxi-Anmeldungen, jedes Jahr mehr Taxi-Anmeldungen. Also die Mär des Taxifahrers, der von den Straßen verschwindet, ist in den Zahlen so nicht feststellbar. Aber wollen wir wirklich die Stadt ein bisschen grüner machen, brauchen wir mehr Anbieter. Wir müssen zusammenarbeiten und wir müssen auch gemeinsam versuchen, den privaten PKW, den wirklichen Feind in dieser Geschichte, zu bekämpfen."

Auf durchschnittlich jeder zweiten Fahrt nehmen die CleverShuttle unterwegs weitere Fahrgäste mit. Das klingt zunächst effizient. Allerdings ist es das nur dann, wenn die Kunden ansonsten mit dem eigenen Auto gefahren wären. Hätten sie stattdessen öffentliche Verkehrsmittel wie U-Bahn oder Bus genutzt, wäre die Fahrt im Sammeltaxi sogar umweltschädlicher. Bisher wurde diese Frage noch nicht gründlich untersucht. Studien zu den Umweltauswirkungen von stationsungebundenen Carsharing-Flotten wie car2go oder drivenow kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Bus und Bahn, Sammeltaxi oder doch das eigene Auto – unterwegs diskutieren die Fahrgäste ihre Verkehrsmittelwahl.
"Wenn ich überlege: Heute Morgen in der S-Bahn, da war wieder eine Bierflasche umgekippt, das hat wieder gestunken und man hat keinen Sitzplatz bekommen oder wenn man schon die Schilder sieht: Dieses Abteil ist nicht beheizt. Da fragt man sich schon wieder, wenn man da einsteigen darf im Winter."
"Hier hat man mehr Sicherheit. Man kommt an."
"Also ich finde öffentliche Verkehrsmittel super, aber so dieser Komfort in diesen uralten Bahnen. Man muss da schon hart im Nehmen sein irgendwie."
Vor einem VW mit der Marke Clevershuttle stehen die drei Gründer.
CleverShuttle begann als Start-up: die Gründer Slava Tschurilin, Jan Hofmann und Bruno Ginnuth.© CleverShuttle

Werden Autofahrer auf Sammeltaxis umsteigen?

Alle drei Mitfahrer haben zu Hause auch ein eigenes Auto. Für die Fahrt in die Innenstadt lassen sie es aber stehen, denn der dichte Verkehr und die oft hoffnungslose Parkplatzsuche ist ihnen zu stressig. Anders wäre das, wenn ihr Auto selbst fahren und sich auch noch eigenständig einen Parkplatz suchen könnte. Dann wäre es das mit Abstand bequemste Transportmittel. In der Werbung gibt es so etwas auch schon.
"Ist die Welt wirklich bereit für ein Fahrzeug, das selbständig fährt? Finden Sie es heraus mit der neuen E-Klasse: Sie bremst selbst, agiert selbst und parkt selbst für Sie ein. Sie nimmt uns mit auf dem Weg zum autonomen Fahren."
In der Mercedes-Reklame sah es schon 2016 ganz einfach aus: Eine junge Familie räkelt sich unter bläulicher Innenbeleuchtung auf den Ledersitzen ihrer silbrig glänzenden Limousine. Niemand achtet darauf, dass das Auto gerade zum Überholen ansetzt, das Lenkrad bewegt sich von alleine. Doch kaufen können Privatkunden so ein selbstfahrendes Auto bis heute nicht. Weder Daimler noch Volvo, Audi oder Tesla haben ihre großspurigen Versprechungen eingelöst.
"Früher haben die Autohersteller gesagt: Wir bauen immer mehr Fahrassistenzsysteme ein und dann haben wir plötzlich selbstfahrende Autos. Jetzt erkennen sie, dass volle Autonomie kurzfristig erst einmal nur in sehr eingegrenzten, elektronisch überwachten Gebieten möglich ist. Dazu kommt: Wenn die Fahrzeuge zu meiner Flotte gehören, dann kann ich sie jederzeit warten, überwachen und sicherstellen, dass sie so funktionieren wie sie sollen. Und falls nicht, kann ich sie stoppen", sagt Chris Gerdes.
Der Ingenieur gehörte schon zum Stanford Racing Team, das 2005 Sieger der vom US-Militär ausgelobten Darpa-Challenge wurde, bei der die ersten selbstgesteuerten Geländewagen durch die kalifornische Mojave-Wüste holperten. Inzwischen leitet Gerdes das Center for Automotive Research an der Stanford University im Silicon Valley. Seinen Arbeitsplatz hat er in einer hellen Großgarage zwischen einem ganzen Dutzend entkernter und mit Sensor- und Computertechnik vollgestopfter Autos. Delegationen aller großen Automobilunternehmen geben sich hier die Klinke in die Hand, gerade hatte er eine Gruppe von VW-Ingenieuren zu Gast, um über Roboterauto-Flottenkonzepte zu sprechen.
Chris Gerdes trägt Brille und steht vor einem blauen Hintergrund.
Autonomie von Autos ist bisher nur auf kleinen, überwachten Gebieten möglich, meint Ingenieur Chris Gerdes.© Getty Images North America / Frederick M. Brown
Transport als Dienstleistung ist das Stichwort, das in der Autoindustrie jenseits wie diesseits des Atlantiks gerade mächtig in Mode ist. Ford hat einen fahrerlosen Pizza-Lieferservice in Florida erprobt, VW experimentiert mit seinem Moia genannten Sammeltaxi-Dienst, Daimler und BMW haben ihre Carsharing-Unternehmen fusioniert und sind damit zum größten Anbieter in Europa aufgestiegen.
Schwarze Zahlen schreibt noch keiner der neuen Mobilitätsanbieter. Doch darum geht es auch nicht. Mit ihren Angeboten will sich die Industrie auf die Zeit der selbstfahrenden Autos vorbereiten, die Gefahr vermeiden, von unvorsichtigen Privatnutzern ihrer Auto-Autos mit schweren Unfällen in die Negativ-Schlagzeilen gebracht zu werden und nicht zuletzt auch in Sachen Klimaschutz punkten. So wie es Tesla mit seinem Autopilot getauften Assistenzsystem passiert ist. Ein Kunde hatte den Namen wörtlich genommen und war auf einer langweiligen Autobahnfahrt weggedöst – bis der Autopilot ihn ungebremst auf einen querstehenden LKW krachen ließ.

Zugang zur Mobilität als soziale Frage

Dabei sind Menschen hinter dem Steuer noch viel gefährlicher. Bisher fordert der Straßenverkehr weltweit jedes Jahr über eine Million Todesopfer – weit mehr als durch kriegerische Konflikte und Terrorismus sterben. Wenn autonome Fahrzeuge den Straßenverkehr übernehmen, von Ingenieuren auf defensives Fahren programmiert und von verantwortungsvollen Flottenbetreibern gemanagt, dann wird die Zahl der Verkehrsopfer drastisch sinken. Denn heute sind menschliche Fahrfehler für weit über 90 Prozent aller Unfälle verantwortlich.
Doch neben diesem statistischen Vorteil wird es auch den spektakulären Einzelfall geben, in dem künstliche Intelligenz eben doch den Tod eines Verkehrsteilnehmers verursacht. Chris Gerdes hat sich gefragt, wie die Menschen darauf reagieren würden.
"Ich glaube, ein wichtiger Aspekt ist die Frage: Wer profitiert? Wenn Menschen von selbstfahrenden Autos verletzt werden und diese Menschen gar keine Chance haben, selber einmal die Vorteile eines selbstfahrenden Autos zu nutzen, dann wird man Wut sehen – und das völlig zu recht. Was die Menschen bei solch einem Unfall empfinden, hängt stark davon ab, ob sie die Technik für potenziell nützlich halten und davon ausgehen, sie selber bald nutzen zu können – oder ob das nur etwas für Reiche ist, und man selber bekommt es nie in die Hände."
Der Zugang zur Mobilität ist auch eine soziale Frage. Und das ist neben dem Umweltvorteil das zweite Argument, das die neuen Fahrdienstleister für sich reklamieren: Im Vergleich zum Taxi sind Moia, Clevershuttle und Co. schon heute deutlich billiger. Und im Unterschied zum Taxi steht der Fahrpreis auch bereits bei der Buchung fest. Bleibt das Fahrzeug unterwegs im Stau stecken, wird es trotzdem nicht teurer. Wenn in Zukunft auch noch die Kosten für die Fahrer wegfallen, dann könnte der Transport sogar noch sehr viel billiger werden. Oder vielleicht doch nicht?
Michael Müller, der Präsident des Taxiverbandes, befürchtet, dass es sich bei den günstigen Fahrpreisen der neuen Konkurrenz nur um Lockangebote handelt. Sind die traditionellen Taxen erst einmal verdrängt, drohe ein Preissprung.
"Es kann nicht angehen, dass Mobilität hinterher nur noch von den Interessen von Sharholder-Value, das heißt Aktionären bestimmt wird, die ihre Rendite wollen und die Bevölkerung bleibt auf der Strecke. Wer sich den geforderten Preis dann nicht mehr leisten kann, bleibt stehen oder er bleibt auf der Straße."
Denn anders als die streng regulierten Taxiunternehmen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit und auch für unlukrative Kurzstrecken eine Mitnahmepflicht haben, wollen die neuen Fahrdienstleister ihre Preise an der jeweiligen Nachfrage ausrichten. Die Algorithmen ihrer vollautomatischen Buchungssysteme sorgen dann dafür, dass der Preis zum Beispiel bei schlechtem Wetter oder einem Großereignis wesentlich höher ist als bei geringer Nachfrage. Bisher kann und darf diese Flexibilität in Deutschland kaum genutzt werden, doch bei einer weitgehenden Liberalisierung des Mobilitätsmarkts könnte das schnell ganz anders aussehen.
Auch im Schienenverkehr ist heute schon sehr viel künstliche Intelligenz im Einsatz. Sie steuert nicht nur den Preis, sondern auch Stellwerke, Zugfolgen, Wartungsintervalle. Und trotzdem haben die Verspätungen im Bahnverkehr in den vergangenen Jahren zugenommen. Der Hauptgrund: Der Verkehr wächst schneller als die Infrastruktur. Das gleiche gilt auf der Straße. Und wenn dort auch noch selbstfahrende Autos unterwegs sind, dürften die Staus zunächst sogar weiter zunehmen.

Mehr zahlen, schneller fahren?

Denn Auto-Autos müssen so programmiert sein, dass sie sich – im Gegensatz zu menschlichen Fahrern – stets an alle Verkehrsregeln halten. Gilt auf einer Straße Tempo 80, fahren sie niemals schneller als 80 Kilometer pro Stunde. Und steht ein Mensch an einem Zebrastreifen, hält das Auto zuverlässig an. Der Ingenieur Erik Coelingh leitet die Entwicklung selbstfahrender Autos bei Volvo und ist regelmäßig mit autonomen Testfahrzeugen auf dem Göteborger Autobahnring unterwegs. Fühlt er sich dabei als Verkehrshindernis?
"Hindernis klingt ein bisschen zu negativ. Aber unser Testfahrzeug fährt langsamer als die Mehrheit der anderen Autos. Und wir diskutieren ständig: Ist das ein Problem? Auf Straßen, auf denen man leicht überholen kann, habe ich noch keine aggressiven Reaktionen anderer Fahrer gesehen, da scheint es also ziemlich okay zu sein. Wir fragen uns auch: Was werden die Menschen in dem selbstfahrenden Auto denken? Denn als sie noch selber gefahren sind, waren sie schneller bei der Arbeit. Wir vermuten, dass auch das kein großes Problem ist. Man hat vielleicht fünf Minuten länger gebraucht, die Zeit dafür aber sinnvoll genutzt. Am Anfang wird die Kapazität der Straßen allerdings sinken. Das liegt daran, dass wir so vorsichtig sind. Wir halten größere Abstände ein als menschliche Fahrer. Später, wenn wir die Grenzen unserer Systeme besser kennen und gezeigt haben, dass sie sicher sind, dann können wir die Abstände minimieren und den Verkehrsfluss verbessern."

Soll knapper Straßenraum optimal genutzt werden, dann müsste sich der gesamte Verkehr an der Geschwindigkeit des langsamsten Teilnehmers orientieren, das haben Simulationen gezeigt. Auf der Autobahn wären das rund 90 Kilometer pro Stunde. Wer bisher bei jeder Lücke im Verkehr aufs Gaspedal gedrückt hat, dürfte sich von derartiger Optimierung ausgebremst fühlen. Der Karlsruher Elektrotechniker Thomas Kramer hat im Rahmen eines Forschungsprojekts darüber nachgedacht, wie solcher Frust mit einer intelligenten Vernetzung der Fahrzeuge verhindert werden könnte.
"Es gibt eine einfache Möglichkeit, dass jemand, der schneller unterwegs sein will, das den anderen Verkehrsteilnehmern mitteilt und vielleicht auch mit finanziellen Mitteln oder mit einem Bonus-Punktesystem entsprechend bezahlt. Und andere Teilnehmer, die dann in dem Verkehrsgefüge etwas benachteiligt sind, entsprechend Bonuspunkte bekommen, die sie dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausnutzen können. Das Wichtigste ist in dem Fall eben, dass einfach die Verkehrshomogenität dadurch nicht gestört wird und nicht verschlechtert wird."
Unter der Brücke vom Bahnhof Friedrichstrasse führt eine Strasse hindurch, die dicht mit Autos, Radfahrern und Bussen gefüllt ist.
Wem gehört zukünftig die Straße? - Das ist auch eine soziale Frage.© Imago / Jürgen Ritter

Das Auto prägt unsere Umwelt

In den vergangenen hundert Jahren hat das Automobil Landschaften, Städte, Arbeitswelt und Freizeit entscheidend geprägt. Allein in Deutschland gibt es über eine Million Berufskraftfahrer, die ihren Arbeitsplatz hinter dem Steuer eines LKW haben. Fast 50 Millionen PKW sind zugelassen, im Durchschnitt stehen sie über 90 Prozent der Zeit an Straßenrändern, auf Parkplätzen oder in Garagen herum und verbrauchen viel Platz.
In den USA werden Autos häufiger bewegt, pro Tag legen sie 50 Prozent mehr Kilometer zurück als in Deutschland – und machen dabei allen anderen Verkehrsteilnehmern das Leben schwer. Doch das muss nicht so bleiben, meint Auto-Auto-Forscher Chris Gerdes aus Stanford:
"Heute gehört die Straße den Autos, und Fußgänger müssen ihnen Vorrang lassen. In Zukunft könnte sich das völlig umkehren. Wenn die Autos mit den Fußgängern digital kommunizieren, dann kann man einen Zebrastreifen per App anfordern, wann und wo man will. Wenn es dann eine Lücke im Verkehr gibt, wird man sicher über die Straße geleitet. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich einen ganz anders organisierten Verkehr vorzustellen. Und je mehr man sich mit den Chancen einer Vernetzung von Autos und Fußgängern beschäftigt, desto stärker denkt man: Hey, da gibt es doch besser Lösungen als heute!"
Trotzdem stellt sich die Frage: Befreit uns die künstliche Intelligenz im Verkehr vom Joch der Auto-Diktatur oder macht sie uns zu Sklaven eines neuen digitalen Kontrollsystems? In einem britischen Forschungsverbund haben Verkehrswissenschaftler systematisch über diese Fragen nachgedacht.

Einer von ihnen ist der Psychologe Graham Parkhurst. Am Zentrum für Transport und Gesellschaft der University of the West of England in Bristol untersucht er mögliche Folgen und Nebenwirkungen eines von künstlicher Intelligenz gesteuerten Verkehrs.
"Es gibt viele Menschen, die aus Gesundheitsgründen nicht Auto fahren können oder wollen, die aber schon morgen liebend gerne ein selbstfahrendes Auto kaufen würden. Unsere Städte könnten mit selbstfahrenden Autos kompakter, effizienter und nachhaltiger werden – mit Vorteilen für Mobilität und Stadtplanung. Wir hätten weniger verbaute Blicke und mehr Raum für produktive Aktivitäten. Parken ist ja reine Platzverschwendung."
Auto-Autos können dichter hintereinander fahren, besser die Spur halten und enger einparken als menschliche Fahrer. Fußgänger und Radfahrer könnten den frei werdenden Platz nutzen. Keine Zukunft hätten womöglich aber verkehrsberuhigte Spiel- und Fahrradstraßen und sogenannter Shared Space, in dem sich alle Verkehrsteilnehmer ohne Schilder und feste Regeln arrangieren. Denn das erfordert Blickkontakt, Kopfnicken und freundliche Gesten mit der Hand. Menschen erledigen so etwas intuitiv, Auto-Autos wären aufgeschmissen. Sie brauchen möglichst klar definierte Verkehrssituationen. Der britische Verkehrspsychologe spricht von einem Rebound Effekt. Der tritt immer dann auf, wenn sich eine neue Technologie so stark verbreitet, dass ihre Vorteile durch den Nachteil übertroffen werden, der sich aus der massenhaften Nutzung ergibt.
Der Screenshot eines Videos zeigt die Radfahrerin kurz vor dem Unfall mit dem selbstfahrenden Uber-Fahrzeug.
Was, wenn ein selbstfahrendes Fahrzeug einen Unfall baut?© Screenshot Twittervideo 22.3.2018 / @TempePolice

Billigere Mobilität gleich mehr Fahrten?

Im Autoverkehr sind Rebound-Effekte nichts Neues. Obwohl der Durchschnittsverbrauch einer bestimmten Autokategorie seit Jahrzehnten sinkt, steigt der Treibstoffverbrauch des weltweiten Straßenverkehrs stetig an – weil die Fahrzeuge immer größer und schwerer werden und der Verkehr insgesamt zunimmt. Würden die Autos sich selber steuern, könnten Pendler noch früher aufbrechen und auf dem Weg zur Arbeit ausschlafen. Der Einzugsbereich, aus dem sie ins Stadtzentrum strömten, würde noch größer, Landschaftsverbrauch, Verkehrsdichte und Umweltbelastung stiegen. In der politischen Diskussion spielen solche Argumente bisher allerdings kaum eine Rolle.
In M-City, der potemkinschen Kleinstadt zur Erprobung selbstfahrender Autos im US-Bundesstaat Michigan, untersucht Morteza Taiebat diese Zusammenhänge. Der Ingenieur arbeitet am Zentrum für nachhaltige Systeme der Universität Ann Arbor.
"Weil höhere Effizienz die Mobilität billiger macht, werden die Leute mehr fahren. Mit der Selbststeuerung kommt noch dazu, dass die Zeit im Auto billiger wird, weil man sie ja produktiv nutzen kann. Das verschärft den Rebound-Effekt. Wenn der Preis für die im Auto verbrachte Zeit um 30 Prozent sinkt, dann hebt das durch längere Fahrten den Vorteil einer zwanzigprozentigen Senkung des Treibstoffverbrauchs wieder auf. Ein selbstfahrender Verkehr wäre einfacher und billiger. Das ist erstmal eine sehr gute Sache. Aber für die Raumplanung und die Umweltauswirkungen könnte es eine Katastrophe werden."
Wird ein von Algorithmen gesteuerter Verkehr mit selbstfahrenden Autos unsere Städte am Ende sauberer machen – oder dreckiger? Noch ist das ebenso wenig entschieden wie die Frage, was ein solches Verkehrssystem eigentlich für die sozialen Beziehungen bedeuten würde. In Privatautos ist die Fahrerin oder der Fahrer oft mit sich allein. Auch in Bus und Bahn wird in Großstädten eher wenig gesprochen. Und in einem selbstfahrenden Sammeltaxi?
"Wie würden Sie es empfinden, wenn man jetzt im Auto sitzt und mit einem Computer spricht? Ist doch viel cooler, wenn ein Mensch da ist, mit dem man sich unterhalten kann."
Die Diskussion über die beste Gestaltung künftiger Mobilität hat noch gar nicht richtig begonnen – weder hierzulande noch in den USA. Dabei wird der Einzug künstlicher Intelligenz in den Verkehr unsere Gesellschaft so durchgreifend verändern wie der Umstieg von der Pferdekutsche ins Automobil. Es ist höchste Zeit, darüber zu sprechen. Denn die Technik entwickelt sich viel schneller als das öffentliche Bewusstsein über ihre Folgen.
"Vielen Dank!"
"Danke, gerne, gerne, tschüss."
"Tschüss. Ich hol noch meinen Koffer hinten raus."

Autor: Dirk Asendorpf
Regie: Stefanie Lazai
Technik: Hermann Leppich
Sprecher: Ilka Teichmüller, Max Urlacher, Olaf Oelstrom
Redaktion: Carsten Burtke

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