Auf und Ab eines Box-Champions

18.01.2008
Graciano Rocchigiani hat nicht nur durch seine Leistungen im Boxring Schlagzeilen gemacht. Immer wieder steht er vor Gericht und muss sich für diverse Straftaten verantworten. In "Rocky - Meine 15 Runden" blickt er auf sein bewegtes Boxerleben mit allerhand Siegen und Niederlagen auch außerhalb des Boxrings zurück.
Knacki schlägt WBC

Graciano Rocchigiani ist jetzt 44 Jahre alt. Sein Gesicht ist ein Boxergesicht: gebrochene Nase, Narben. Zwei Mal war er Weltmeister, drei Mal hat er im Gefängnis gesessen. Auseinandersetzungen ist er weder im noch außerhalb des Boxrings aus dem Weg gegangen. Seinen vielleicht größten Sieg landet er am 21. September 2002 in New York. Ein Geschworenengericht spricht "einem kleinen, popeligen Knacki" eine Entschädigung von 31 Millionen Dollar zu. Rocky hat es geschafft. Unzählige Male ist er in seiner über 20-jährigen Boxkarriere von Verbänden, Promotern und Ringrichtern betrogen worden. Jetzt hat Rocchigiani, Sohn eines "sardischen Eisenbiegers", José Sulaiman, den zutiefst korrupten Präsidenten des WBC (World Boxing Council) in die Knie gezwungen. Dieser hatte ihn nach seinem blitzsauberen Sieg im WM-Titelkampf im Halbschwergewicht gegen Michael Nunn den Weltmeistergürtel wieder abgenommen und Rocky zum Interimsweltmeister degradiert.

Abrechnung mit den Promotern

Der Sportjournalist René Hiepen hat für "Meine 15 Runden" stundenlange Interviews mit Rocchigiani geführt. Allein das ist schon eine beachtliche Leistung, denn Rocky ist auch nach eigenen Angaben "kein pflegeleichter Typ". Die stärksten Momente hat das von dem Journalisten Ralf Grengel geschriebene Buch, das sich seit Wochen auf der Spiegel-Sachbuch-Bestsellerliste hält, wenn Rocky in seiner unverblümten Art über die Machenschaften des Boxgeschäfts berichtet. Gewohnt offen und mit deftigen Worten rechnet "Grace" zum Beispiel mit seinen Ex-Promotern Sauerland und Kohl ab, die immer nur an die Kohle gedacht hätten. Irgendwann habe er dann gemerkt, dass er als Einzelkämpfer gegen die "Boxmafia" keine Chance habe und sich "endlich auch die eigenen Taschen voll machen" könne. Fast sympathisch könnte einem der auch außerhalb des Boxrings gewalttätige Realschulabbrecher werden, wenn er nüchtern bilanziert, wie sehr er sich mit seiner Unberechenbarkeit, seinem Jähzorn und seiner Drogensucht immer auch selbst im Wege stand.

Peinliche Selbstüberschätzung

Peinlich wird Rockys Offenheit dagegen, wenn er wie in den ersten Kapiteln detailliert über sein Sexleben und seine Frauengeschichten berichtet: "In Steffis schicker 1,5-Zimmerwohnung darf ich anschließend Knecht Ruprecht spielen und ihr meine Rute zeigen." Mein Gott! Fast quälend auch die langen Passagen, in denen er seine zahlreichen Zusammenstöße mit Justiz, Polizisten, Taxifahrern und anderen Zeitgenossen schildert. Seitenlang und fadenscheinig versucht er deutlich zu machen, dass selbstverständlich nicht er, sondern die Anderen Schuld am oft gewalttätigen Ausgang dieser Begegnungen hatten. "Es gibt nun einmal Situationen, in denen kann man als Mann seiner Beschützerrolle einfach nicht anders gerecht werden als durch Zuschlagen." Nachdem er zum wiederholten Male wegen Fahrens ohne Führerschein vor Gericht erscheinen muss, fragt er immer noch in einer bemitleidenswerten Naivität, dass er nicht wisse, was das Gericht eigentlich von ihm wolle. Unangenehm ausführlich schildert Straßenkämpfer Rocky seine Schlägereien, zu denen meist Kleinigkeiten den Anlass gaben. Zwischen den Zeilen wird an diesen Stellen des Buchs ein latenter Ausländerhass deutlich, wenn sich wieder einmal Libanesen oder Türken, die es sich von seinen "Steuergeldern" gut gehen ließen, daneben benehmen.

Schmerzliche Niederlage gegen Henry Maske

Viel lesbarer sind dagegen die Kapitel, in denen Graciano Rocchigiani seine Kämpfe gegen Henry Maske und Dariusz Michalczewski schildert, die er übrigens alle verlor. Obwohl er auch hier seinem Motto, "Wer einsteckt, darf auch austeilen", nicht untreu wird. Treffend analysiert Rocky die Stimmung in der Dortmunder Westfalenhalle, als es 1994 zum ersten Kampf mit Henry Maske kommt. Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung geht es in diesem zur "Frage der Ehre" hochgejazzten ersten deutsch-deutschen WM-Titelkampf eigentlich um etwas ganz anderes. In Rockys Erinnerung war die Westfalenhalle fest in ostdeutscher Hand. Viele Ostdeutsche, die sich als Verlierer der Wende fühlten, hätten sehen wollen, wie der Gentleman Henry dem großmäuligen Wessi auf die Schnauze haut. Rocchigiani macht keinen Hehl daraus, dass er den ehemaligen, regimetreuen DDR-Oberleutnant Henry Maske, der sich jetzt vom ehemaligen Klassenfeind die Taschen füllen lässt, nicht leiden kann. Bis heute verfolge ihn, dass er Maske, obwohl dieser aufgrund eines Fehlurteils der Punktrichter gewonnen habe, in einer ersten Stellungnahme einen verdienten Sieger nannte. Er habe halt kein schlechter Verlierer sein wollen. Unvergessen ist für ihn aber auch der Stimmungswechsel in der Halle. Ausgepfiffen zum Walk-in. Abgefeiert nach dem Kampf. Trotz vieler Schwächen ist "Rocky – Meine 15 Runden" unter dem Strich ein lesenswertes Buch. Nicht zuletzt wegen des trockenen Humors des Berliners: "Jegner am Boden, jutet Gefühl."

Rezensiert von Thomas Jaedicke

Graciano Rocchigiani: Rocky – Meine 15 Runden. Die Autobiographie
Schwarzkopf & Schwarzkopf 2007
367 Seiten, 19,90 Euro