Auf der Suche nach der Moral

Von Blanka Weber · 17.08.2010
Moral in unmoralischen Zeiten. Auf die Suche nach ethischen Orientierungen in Philosophie, Literatur und Kunst begeben sich die Teilnehmer der 11. Weimarer Sommerkurse. Sie wollen wissen, wie die Orientierungen aussehen, die Menschen heute zum Glücklichsein brauchen.
"Glück ist nicht der permanente Zustand des Obenseins des Zufriedenseins, sondern durchaus auch gerade mit den Zuständen, wo es einem schlecht geht, gut umgehen zu können."

Friethjof Reinhardt ist Dozent des Philosophiekurses, um hier mit seinen Gästen Thesen wie diese zu erörtern:

"Es gibt keine unmoralischen Zeiten, es gibt nur Zeiten, in der die Moral sehr fragwürdig ist, die gelebt wird."

Was macht diese fragwürdige Moral aus? Wie wird sie definiert und gemessen am Soll-Zustand einer hohen Moral?

"Das Wort unmoralisch meint eigentlich eine bestimmt Bewertung und moralisch in unmoralischen Zeiten meint, wie muss die Moral aussehen in einer Zeit, die oft in der Alltagssprache als Unmoral bezeichnet wird, das heißt, dass sie moralisch als negativ bewertet wird."

Gibt es neue Orientierungen? Und wie sehen die philosophischen Denkmuster und Ratschläge derer aus, die Kant, Hegel und Fichte in das Jahr 2010 versetzen, ein Jahr der Krisen und Katastrophen.

"Ich denke, es gibt momentan so eine Renaissance der Philosophie insgesamt als eine Entwicklung des Nachdenkens angesichts der Probleme, die die Menschen haben und Philosophie meint damit nicht nur Nachdenken, sondern ein reflektiertes Nachdenken, ein Überlegen, einen begründeten Diskurs mit anderen zu führen."

In seinem Seminar sitzt unter anderem Diko aus Georgien. Sie ist Studentin, 28 Jahre alt und schreibt derzeit an ihrer Promotion.

"Wenn man in Europa ist und lebt, erlebt man, dass es ist auch nicht besser, man ist immer auf der Suche nach Neuem. Die suchen was, was sie nicht haben. Die sind hier und denken, das Glück ist woanders. Also ich glaube, die Natur des Menschen ist so, dass sie immer auf der Suche sind, nach etwas, also wir nennen das Glück."

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die philosophischen Diskurse der nächsten Tage. Osteuropäer und Westeuropäer diskutieren über das Glück, ihr Verständnis der Werte jenseits der Krisen-Szenarien, Finanzdesaster und Globalisierungspannen. Für Burkhardt Kolbmüller, den Organisator der Sommerkurse, steht fest:

"Weimar ist ein Ort, der so anregend ist durch die vielfältige Geschichte und auch die gebrochene Geschichte, so dass man dort verschiedene Themen, die uns heute beschäftigen, verhandeln kann."

Seine Kursteilnehmer kommen aus Indien, Afrika, den USA und eben Europa. 27 Länder zählt Burkhardt Kolbmüller auf und hat tiefen Respekt, wenn manch einer dafür die Reise von 2 Tagen per Bus aus Russland in Kauf genommen hat. Germanisten, Wissenschaftler, Studenten oder einfach Privatpersonen wollen in den Sommerkursen philosophieren. Die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa. Für sie gibt es zum Teil Stipendien. Das Interesse sei allerdings auch auf die guten Sprachkenntnisse zurückzuführen, sagt Burkhardt Kolbmüller.

"Ein Aspekt ist auch noch, dass die deutsche Sprache sehr viel mehr in Osteuropa verbreitet ist als in Westeuropa, also weltweit verliert das Deutsche gegenüber dem Englischen rapide, aber in Osteuropa wird noch sehr viel Deutsch gesprochen, so dass da Leute kommen, die auch eine hohe Sprachkompetenz haben."

Diko aus Georgien studiert Politik und Soziologie, ihre Mutter ist Germanistin, von ihr lernte sie einst über Kinderlieder die deutsche Sprache. Mit Philosophie beschäftigt sie sich seit dem Studium in Münster. Ihr Land erlebt derzeit den politischen und sozialen Umbruch, auch den der Werte.

"Industrialisierung hat neue Beschäftigung gebracht, neuen Reichtum, aber die Menschen sind nicht glücklicher."

Der industrialisierten Welt hält sie einen Spiegel vor und findet, Glück ist hier oftmals der Preis für Reichtum und Erfolg, den die Menschen zahlen:

"Die haben zu wenig Zeit miteinander zu sein, was anderes zu machen, was sie auch mögen, sind immer beschäftigt, unter Stress, haben immer solche Begriffe: Ich brauche meine Ruhe, ich brauche meine Zeit und die Begriffe kennen andere Länder nicht. Hier ist die Gesellschaft im Stress, sie brauchen Zeit allein zu sein."

In den nächsten Tagen soll es philosophisch um die "schöne Seele" und das "schlechte Gewissen" gehen. Eine abstrakte Balance zwischen Gut und Böse, zwischen innerer Zerrissenheit und klarem Anspruch.

"Diese schöne Seele ist eine Denkfigur der Weimarer Klassik. Schiller thematisiert in Anmut und Würde die schöne Seele. Und er versteht darunter die Harmonie zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Es ist für ihn eine Idee, an die wir uns nie ganz annähern können, ein Bild."

Eine Gesellschaft, in der immer mehr Ethikkommissionen und Ethikräte gefragt sind, in der schon in den Kindergärten der Verlust moralischer Werte beklagt wird, eine Gesellschaft braucht mehr gute Gedanken und schöne Seelen, die kein Idealzustand bleiben. Wünscht sich Frithjof Reinhardt.

Homepage der Weimarer Sommerkurse
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