Auf der Suche nach dem intensiven Leben

Von Vanja Budde · 29.08.2007
Hensels Stück "Klamms Krieg" erhielt den Jugendtheaterpreis und gehört hierzulande zu den meistgespielten Aufführungen. Es ist der Monolog eines Lehrers dessen Schüler sich erhängt, nachdem er ihn hat durchfallen lassen. Andere Werke tragen Titel wie "Welche Droge passt zu mir" oder "Glück im 21. Jahrhundert". Glück bedeutet für Hensel, unterwegs zu sein.
Im Gegensatz zu Schiller und Goethe ist Kai Hensel sehr lebendig. Er wohnt hoch oben in einem dieser Berliner Altbauten, deren Treppenhäuser immer muffig riechen. Dielenfußboden und vom Vormieter bunt gestrichene Wände. Wenige Möbel, ein paar CDs in einer Kiste, das Zuhause von Kai Hensel wirkt improvisiert. Kein Wunder: Seit er Afrika durchquert hat, ist er nicht wirklich wieder angekommen.

Kai Hensel, 42 Jahre alt, schlank, dunkelblonde Haare, helle, aufmerksame Augen, sitzt im Ledersessel, lässt die Arme über die Lehne baumeln und erzählt von Afrika. Kindersoldaten und Kalaschnikows, 13 Monate mit dem Rucksack von Marokko nach Südafrika an der Westküste des Kontinents entlang. Nicht die "Kinderstrecke" von Kairo nach Kapstadt, wie er betont. Sondern die schwierigen Länder: Sierra Leone, Liberia, Elfenbeinküste, Zentralafrikanische Republik. In den vergangenen zehn Jahren ist Kai Hensel viel gereist, auch durch Europa und Asien.

Hensel: "Also man möchte doch ungefähr wissen, auf welchem Planeten man lebt. Und natürlich gibt es viele gute Bücher und es gibt viele gute Filme, aber es ist ein Unterschied, wenn man da ist und sich irgendwie zu den Sachen, die einem begegnen auch verhalten muss. Und es ist schon ein intensiveres Leben, weil jeder Tag anders ist und so wenig planbar. Und man hat nen andern Blick auf Dinge, als ihn Leute haben, die die Sachen nur aus Büchern oder aus dem Fernsehen kennen."

Das Fernsehen war aber auch im Leben von Kai Hensel mal ein großes Thema. In den wilden Gründungszeiten des Privatfernsehens lebte er in Köln als Schnellschreiber für Billigserien. Er hatte auch schon Geschichten für Schwulen-Pornohefte geschrieben, als Tellerwäscher und Museumswächter gearbeitet. Peinlich war ihm nichts davon, er musste schließlich Geld verdienen. Warum also nicht Privatfernsehen? Keine Hochkultur, aber was solls.

"Ich hab dann auch echt viel Trash geschrieben. Also mein erstes Ding war ‚Scheidungsgericht’, das war die allererste Gerichtsshow mit Erika Berger. Man produziert nur Masse, Masse, Masse. Das Ding kommt aus dem Drucker und wird produziert und wird dann gesendet. Oder ich war dann Gag-Autor für RTL-Samstagnacht. Und das war alles so schnell und das hatte so ne Öffentlichkeit und irgendwie war es große weite Welt."

Hensels Lebenslauf ist ein bisschen unübersichtlich. Irgendwann war er auch mal Geschäftsführer einer Werbeagentur, mit Büro am Kurfürstendamm und Dienst-Mercedes. Er schrieb Drehbücher, für den Thriller "Kismet" mit Fatih Akin zum Beispiel. Als er genug hatte von zweidimensionalen Bildern, begann er Stücke zu schreiben. "Klamms Krieg" war das erste, der Monolog eines Lehrers. Einer seiner Schüler erhängt sich, nachdem Lehrer Klamm ihn hat durchfallen lassen.

Das Stück erhielt den deutschen Jugendtheaterpreis. Und seit 2002 ein Amok laufender Jugendlicher 16 Menschen in einem Erfurter Gymnasium erschoss, wird "Klamms Krieg" sehr viel gespielt, wenn auch meist auf kleinen Bühnen und oft vor Schulklassen. Über "Klamms Krieg" will Hensel aber eigentlich gar nicht mehr reden, ist lange her. Er hat längst neue Stücke geschrieben, über persönliche Erlebnisse, Themen, die ihn gerade interessieren. Auftragsarbeit lehnt er ab.

"Dann kriegt man son Vertrag und soll dann irgendwie 90 Minuten Gegenwartsdramatik liefern – nee!"

Er hat es mal probiert, fest eingebunden zu sein im Theaterbetrieb. Zwei Spielzeiten lang als Regisseur an den Bühnen Lübeck. War aber zu langweilig, bei den Proben schlief er oft ein. Seine neuen Stücke tragen Titel wie "Welche Droge passt zu mir": Ein gründlich recherchiertes Ein-Personen-Stück über eine Hausfrau, die mit Kokain, Speed und LSD experimentiert. Hensels Schwester Katja ist Schauspielerin und spielte die Rolle.

"Der Feind bist Du" ist wieder ein Jugendstück über die Überalterung unserer Gesellschaft. Am 9. September ist Uraufführung am Theater Oberhausen. Die Idee dazu hatte der Autor, als er aus Afrika zurückkam und kaum Kinder auf der Straße sah. "Glück im 21. Jahrhundert" schildert die Suche einer Familie nach dem Glück und den Preis, den man dafür bezahlt.

Ein bisschen beneidet der ruhelose Kai Hensel diejenigen, die friedlich immer noch dort leben, wo sie aufgewachsen sind, mit Eigenheim, Ehegattin und zwei Kindern.

"Irgendwann will ich das auch mal. Aber noch nicht, ein bisschen was will ich noch sehn von der Welt. Das ist meine Agenda 55: Mit 55 will ich heiraten und Kinder kriegen. Meine Mutter hat sich sehr gefreut über diese Ankündigung. Da hab ich ja auch noch ne Weile Zeit."

Bis dahin will er Stücke auch für die große Bühne schreiben; einen Roman veröffentlichen; für Anfang 2008 ist die nächste lange Reise geplant: auf dem Landweg nach Japan, über die Türkei, Pakistan und Indien. Zurück dann mit der Transsibirischen Eisenbahn. Immer auf der Suche nach dem intensiven Leben.

"Also im Moment, seit ich wieder in Deutschland bin, ist mein Leben, empfinde ich jedenfalls, eher ereignisarm. Gut, ich hab halt Stücke, ich hab in der nächsten Spielzeit ein paar Uraufführungen, ich hab Hörspielproduktionen und solche Sachen. Aber wenn ich hier bin, gibt es nicht so das Ding, was mich ausfüllt, nee, kann ich nicht sagen."