Auf den Spuren des Verfalls und der Zerstörung

Von Barbara Wiegand · 28.09.2011
Er hat Kriegsruinen im Irak dokumentiert, Weltkriegsbunker ausgegraben und in Berlin eine Pyramide aus Bierkisten gebaut: Cyprien Gaillard ist eine Art künstlerischer Archäologe. Jetzt wurde der junge Franzose mit dem Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst ausgezeichnet.
Als amtierendes Lieblingskind der zeitgenössischen Kunst wurde er jüngst in einem Zeitungsartikel bezeichnet. Dementsprechend lautstark war auch der Applaus, der aufbrandete, als Cyprien Gaillard als neuer Träger des Preises der Nationalgalerie für Junge Kunst vor das Publikum trat. Mit dem charmanten Franzosen wurde die wohl exponierteste Künstlerpersönlichkeit unter den vier Finalisten geehrt. Und es wurde der sicherlich aufsehenerregendste Wettbewerbsbeitrag ausgewählt. Allein schon was das Sujet und die Entstehung betrifft. Denn für die Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist der 1980 in Paris geborene Künstler in den Irak gereist und hat dort einen Film gedreht- mit der Handykamera aufgenommen und später auf 35 Millimeter aufgeblasene Bilder aus Bagdad und Babylon. Von neuen Kriegsruinen, alten Kunstwerken und archäologischen Stätten.

"Babylon war für mich vor allem interessant wegen der Geschichte seiner Zerstörung. Im Zuge der letzten Kriege wurde die Stadt Opfer von Vandalismus, aber die meiste Zerstörung fand ja bei Restaurierungsversuchen statt. Bei dem Versuch, Überreste auszugraben und zu erhalten. Da ging mehr kaputt, als im Krieg."

So nutzt Cyprien Gaillard das krisengeschüttelte Land als Bühne – könnte man kritisieren. Aber nie ist sein Film Effekt heischend. Vielmehr irritiert er mit Bildern, die ganz anders sind als die von Tod und Gewalt, die wir aus den Medien kennen. Mit "suggestiven Bildern", wie die Jury es in ihrer Begründung formulierte, die "das Politische und das Kulturelle untrennbar miteinander verbinden". Es ist ein Film, der wie andere Filme Gaillards auch auf der Suche ist nach neuen Bildsprachen. Was dabei entsteht, ist schwer einzuordnen. Gaillards Arbeiten sind zu verschachtelt, um narrativ zu sein. Mehr assoziativ als dokumentarisch. Eher könnte man ihn als eine Art künstlerischen Archäologen bezeichnen: In Scheveningen grub er vor zwei Jahren einen Bunker aus und präsentierte das schützende Zweit Weltkriegsbollwerk wie die Ausgrabung eines Tempels. In Glasgow errichtete er einen Obelisk aus den Teilen von abgerissenen oder gesprengten Gebäuden. Auf den Spuren des Verfalls und der Zerstörung ist er dabei aber weder Nostalgiker noch romantisch verklärter Bewahrer

"Nein, ich sage nicht, man muss die Gebäude bewahren, oder umgekehrt, das kann ruhig weg. Ich beziehe da keine Position. Aber was mich interessiert, ist der Wandel der Einstellungen, also irgendwann fand man die Gebäude toll, notwendig. Der eine Bürgermeister treibt die Planungen voran, der andere sagt, das war ein Fehler und lässt es abreißen. Der eine baut neu, der andere propagiert mehr Freiflächen. Also es geht nicht nur um Abriss, sondern auch darum, was danach dort entsteht."

Diesen Prozess des Werdens und Vergehens, des Verschwindens und der Wandlung verfolgt Cyprien Gaillar ohne zu werten. Kühl und zugleich melancholisch ist seine Kunst – und manchmal auch witzig. Etwa als er zuletzt in den Berliner Kunst Werken eine Pyramide aus mit Bierflaschen gefüllten Kisten errichten ließ. Und – ein Prosit auf die Kunst – vom trinkfreudigen Publikum abtragen ließ.

"Ich bin eigentlich kein ironischer Künstler. Aber hier fand ich es spannend, die Zusammenhänge zwischen Alkohol und Archäologie zu ergründen. Und ich wollte mich mal mit all diese Party People, die nachts hier um die Häuser ziehen – und dabei viel trinken. Also, man kann auch sagen, diesmal ging es mir nicht nur um den Verfall von Architektur, sondern auch der Menschen. Und natürlich hat das auch mit mir zu tun, schließlich bin ich nachts auch mal unterwegs. Aber der Künstler und der Suff – das fand ich zu romantisch. Da kam ich auf die auf die Idee, den Betrachter agieren, also trinken zu lassen. Sie haben die Skulptur gestaltet. Und sie haben aus dem Bauwerk, aus der Pyramide die Ruine gemacht."

Eine Arbeit, die durchaus nah dran an der Situation des Künstlers entstand – mit dem Blick auf sein Lebensgefühl in Berlin Prenzlauer Berg, wo er seit ein paar Jahren lebt. Wenn er mal nicht unterwegs ist – bei Dreharbeiten, oder um Ausstellungen vorzubereiten. Wie zuletzt im Pariser Centre Pompidou. So braucht der junge Franzose den Preis sicher nicht mehr um bekannt zu werden – er dürfte aber sicher Anschub und Motivation sein, weiter auf seine durchaus faszinierende Art auf den Spuren des Verfalls zu wandeln. Und eigene Bildsprachen zu finden.