Auf dem Land ansiedeln

Die Strategie der Neonazis im Norden

Jamel liegt nur wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Kaum ein Navigationsgerät führt dieses winzige Sackgassendorf zwischen Wismar und Grevesmühlen. In mindestens sieben der zehn Häuser leben Leute, die rechts bis rechtsextrem ticken.
Das kleine Dorf Jamel in Nordwestmecklenburg: In der Mehrheit der zehn Häuser leben Leute, die rechts bis rechtsextrem ticken. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Axel Schröder · 24.02.2016
Durch Immobilienkäufe Stück für Stück ganze Dörfer als Stützpunkte ausbauen: Diese Strategie von Neonazis ist kein rein ostdeutsches Phänomen. Auch in Niedersachsen verfolgen Rechtsextremisten in strukturschwachen Gegenden diese Pläne.
Sogar im seit Jahrzehnten linksalternativen Wendland kaufen Rechtsextreme Bauernhöfe auf und geben sich nach außen hin als besonders engagierte Biobauern - und gegen Atomkraft protestieren sie auch gerne mit. Wie in Wibbese im Wendland.
Birgit und Horst Lohmeyer vor ihrer verbrannte Scheune in Jamel
Birgit und Horst Lohmeyer vor ihrer verbrannte Scheune in Jamel© dpa / picture-alliance / Jens Büttner
Schon umzingelt von Neonazis sind dagegen die Lohmeyers aus Jamel in Mecklenburg-Vorpommern. Im letzten Sommer zündeten ihnen Unbekannte die Scheune an. Ihre Nachbarn feierten am Tag danach gleich nebenan eine ausgelassene Party. Trotzdem wollen Lohmeyers bleiben und weiter jedes Jahr ihr Rockfestival gegen Rechts organisieren.
Die siedelnden Neonazis setzen auf folgende Strategie: nach außen hin verzichten sie auf jede Provokation. Sie reparieren Bushäuschen, backen Bio-Kuchen, engagieren sich beim Schulfest und leisten Nachbarschaftshilfe. Wer nett ist, kann kein Nazi sein - diese Strategie scheint erfolgversprechend.

Im kleinen Wibbese, mitten im Landkreis Lüchow-Dannenberg, steht Barbara Karsten an ihrem Gartenzaun. Die zierliche, ältere Dame blickt in Nachbars Garten, in eine andere Welt:
"Letztendlich trennen uns eins, zwei, drei, knappe drei Meter. Und entsprechend kommt es dann ab und zu mal zu unschönen Äußerungen mir gegenüber: 'Untermensch', 'antifaschistischer Jude', 'Kümmere Dich um Deinen Dreck!!"
Aber genau das will Barbara Karsten nicht tun. Sie bleibt stur, so empfinden das viele in Wibbese, dem 70-Einwohner-Dorf. Sie nennt es: Konsequent bleiben, geradlinig, prinzipientreu. Barbara Karsten will ihren Nachbarn, den Neo-Nazi Timo L., nicht aus den Augen lassen:
"Zwei Jagdhunde bewachen das Ganze. Auch die freilaufenden deutschen Hühner! Deutsche Ur-Rassen bevölkern hier jetzt die deutschen Wiesen! Und ab und an wird hier gemetzelt, also: geschlachtet."

Die leerstehenden Häuser im Dorf gekauft

Nicht mit einem, sondern mit ganz vielen Neonazis wohnen Birgit und Horst Lohmeyer in Jamel, in Mecklenburg-Vorpommern. Keine zehn Kilometer sind es bis zur Ostsee. Nach und nach hätten immer mehr Rechtsextreme die leerstehenden Häuser im Dorf gekauft, erzählen die beiden. Das Ehepaar sitzt an einem breiten Holztisch in ihrem alten Landhaus. Früher fiel der Blick von hier auf die Scheune nebenan:
"Es ging los mit so Sachen wie einer toten Ratte im Briefkasten oder eine Fuhre Mist auf die Einfahrt gekippt bekommen, sodass keine Menschen mehr rein- noch rausfahren konnte; einen Tierkadaver über den Gartenzaun geworfen, so was. Das kulminierte dann aber weiter bis hin zu Sachbeschädigung, Diebstählen, verbaler Bedrohung, Bedrohung im Straßenverkehr, Einschüchterung. Wir haben wirklich alles durch. Das Letzte, wie gesagt, war diese Brandstiftung an unserer Scheune, was noch mal eine ganz andere, schärfere Eskalationsstufe bedeutet.""
"Das war der Höhepunkt, der einen auch auf den Boden der Tatsachen gebracht hat. Diese Menschen sind so tief von ihrer Sache überzeugt. Und da steckt so viel Glaubensideologie dahinter."
... und beide Orte, das niedersächsische Wibbese und Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, haben die Verfassungsschutzämter der Länder im Blick.
Reinhard Müller leitet die Verfassungsschutzabteilung im Schweriner Innenministerium. Natürlich ist ihm Jamel ein Begriff, und natürlich ist er vorsichtig beim Formulieren. Letztes Jahr haben ihn sogar Reporter der "New York Times" interviewt. Und dabei sei ein Artikel herausgekommen, der das ganze Problem ziemlich überzeichnet habe, erzählt Reinhard Müller.
"Jamel ist sicherlich die Ausnahme und nicht die Regel! Es ist ein Ort mit circa 40 Menschen, von denen zehn, elf Familien dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen sind auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die Familie Lohmeyer. Und insofern hat der Ort eben über die Größe hinaus natürlich auch eine gewisse symbolische Bedeutung für unser Bundesland. Ich muss aber deutlich machen: Es gibt nur dieses eine Jamel! Es gibt keine zehn, 20 oder 100 'Jamel' in Mecklenburg-Vorpommern."

Verfassungsschutz unterscheidet drei Gruppen

Drei Gruppen von Rechtsextremisten unterscheiden die Verfassungsschützer: Neo-Nazis, besser gesagt: gewaltbereite Neonazis wie in Jamel, sogenannte "völkische Siedler" und die rechtsextreme NPD, ihre Ortsvereine und Parteimitglieder. Der Fokus der Verfassungsschützer liegt auf den Aktivitäten der NPD. Seit zehn Jahren ist die Partei im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten und versucht, so Müller, ihre Macht zu sichern und auszubauen, im Schulterschluss mit der Neonazi-Szene.
"Wir haben ja im Lande die NPD, die absolut dominierend ist, was den Rechtsextremismus angeht. Zum Teil, was den parteigebundenen Rechtsextremismus angeht. Aber auch, was die Frage der Federführung der Partei für den gesamten Rechtsextremismus in Richtung Neonazi-Strukturen und subkulturelle Strukturen angeht. Da kann man sicherlich auch Verbindungen herstellen beispielsweise nach Jamel. Und dann haben wir die sogenannten subkulturellen Strukturen. Und das ist die ganze Musikszene."
... und diese Szene falle erstens durch eine hohe Kriminalitätsrate auf und zweitens durch eine eher lose ideologische Bindung an neonazistisches Gedankengut.
Ideologisch gefestigt fühlen sich dagegen die Mitglieder der "Artgemeinschaft", der Elitetruppe unter den Neonazis:
"Manche sprechen auch von Artamanen, den Hütern der Scholle, die sozusagen auch hier in Mecklenburg-Vorpommern in unseren Verfassungsschutzberichten bekannt sind und die also mehr eine religiöse Ausrichtung haben, aber auch Elemente in ihrem Denken haben, die rassistische und sonstige verfassungsschutzrelevante Bezüge aufweisen."
Rund um die Ortschaften Koppelow und Lalendorf haben diese "völkischen" Siedler alte Höfe und Ländereien gekauft. Der Verfassungsschutz ordnet 50 bis 100 Menschen den "Artamanen" zu. 1924 wurde der Bund gegründet als Zusammenschluss der völkischen Jugendbewegung, straff organisiert nach dem Führerprinzip und mit prominenten Mitgliedern. Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, gehörte ebenso zu den Artamanen wie der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Sie huldigten der Idee des vorbildlichen Lebens in der Natur und, wie es damals hieß, der "Erneuerung aus den Urkräften des Volkstums, aus Blut, Boden, Sonne und Wahrheit". Eines ihrer ersten Großprojekte entstand damals im mecklenburgischen Koppelow.

Völkische Netzwerke im Nordosten

Einen anderen Blick auf den Rechtsextremismus im Nordosten der Republik als der Verfassungsschutz hat Hartmut Gutsche vom "Regionalzentrum für demokratische Kultur" in Stralsund. Er interessiert sich vor allem für die Verbindungen zwischen völkischen Siedlern, Neonazis und der NPD:
"Interessanter für uns sind die völkischen Netzwerke, die sich genau aus dem Zusammenspiel dieser Einzelstrukturen oder Zusammenschlüsse bilden. Die Praxis zeigt, dass die Personen, die dort in einzelnen Zusammenhängen unterwegs sind, haben sehr wohl vielfältige Verbindungen. Zum einen ideologisch, zum anderen ganz praktisch. In der Lebensgestaltung und im Engagement."
Drei dieser "Regionalzentren" gibt es in Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind angegliedert an die Evangelische Akademie der Nordkirche. Natürlich kennt Hartmut Gutsche die Situation in Jamel genau, er kennt die Lohmeyers und auch den exponiertesten Vertreter der Neo-Nazis im Dorf, den gebürtigen Jameler Sven Krüger:
"Es gibt Fernsehaufnahmen aus den 90er-Jahren, wo der junge Sven Krüger pubertierend aus dem Autofenster seines Vaters beim Vorbeifahren den Hitlergruß in die Kamera zeigt. Das hat er sicherlich nicht getan ohne Zustimmung seines Vaters. Das heißt, der hat eine gewisse Sozialisation erfahren, die ganz gut nachvollziehbar ist. Sven Krüger ist jemand, der sich in bruderschaftlichen Zusammenhängen bewegt – Stichwort "Hammerskins": Also eine sehr abgeschottete, eine sehr gewaltbereite Kameradschaft. Das geht eher in die Richtung organisierte Kriminalität, Richtung Motorrad-Szene. Er ist Unternehmer. Oder war es zumindest. Und er ist jemand, bei dem in ganz anderen Ermittlungen scharfe Kriegswaffen inklusive Munition auf dem Gelände gefunden wurden. Sven Krüger halte ich für durch und durch gewaltbereit. Und es ist eine wichtige Integrationsfigur für diese Szenen, die ich gerade versucht habe, ansatzweise zu beschreiben."
Offensiv und aggressiv propagieren diese Neonazis ihre Weltsicht und sind doch andererseits darauf bedacht, niemanden zu verschrecken. Als im Herbst letzten Jahres ein Filmteam des NDR in Jamel drehte und Autor Michel Abollahi dort vier Wochen lang in einer Holzhütte wohnte, machte Sven Krüger einen fast schon freundlichen Eindruck.
"Wie stehst Du dazu, was jetzt in Heidenau los ist? – Volkszorn ... Kann passieren. Betrifft mich nicht. – Würdest Du hier auch Sturm laufen, wenn man hier einen Container hinstellt. Ich glaube, Du kommst rüber und gibst ein paar alte Schuhe ab! Und sagst: 'Hier, nehmt!' Also, wenn da eine Familie kommt, die Not hat? – Das Problem ist: Wenn man sie wirklich kennenlernt, kann man sie nicht hassen."

Kalkulierter Auftritt als "netter Neonazi"

Hartmut Gutsche kennt die Filmsequenz - kann aber über den "netten Neonazi" Sven Krüger nur den Kopf schütteln:
"Da gehört ja nicht viel Fantasie dazu. Wenn da vier Wochen oder mehrere Wochen jemand im Dorf ist und mit der Kamera Eindrücke einfangen will, dann kann ein Sven Krüger davon ausgehen, dass das auch gesendet wird, und er wird sich sehr genau überlegen, mit welcher Botschaft er dort abgebildet sein möchte. Das halte ich für durch und durch kalkuliert dieses Auftreten."
Die brennende Scheune in Jamel in der Nacht zum Donnerstag (13.08.2015).
Die brennende Scheune in Jamel in der Nacht zum 13.August 2015© dpa / picture-alliance / Michael KappelerHorst Lohmeyer
Und diese Einschätzung teilt Birgit Lohmeyer. Am Abend, nachdem ihre Scheune abgebrannt war – die Polizei fand zwar Brandbeschleuniger, aber keine Täter – stieg eine Party im Dorf. Die Neonazis feierten, während die Holzbalken noch qualmten:
"Es ist natürlich immer die Frage: Was kommt als Nächstes? Es ist ja nicht so, dass nach dem Brandanschlag nichts mehr passiert wäre. Wir haben Drohbriefe, Droh-E-Mails bekommen. In einigen wird davon gesprochen, dass als Nächstes unser Wohnhaus brennen würde, wenn wir nicht wegziehen würden. Also, das beschäftigt uns natürlich permanent."
Aber wegziehen wollen Birgit und Horst Lohmeyer nicht. Seit neun Jahren veranstalten die beiden auf ihrem Hof ein Festival, das sich gegen Rechtsextremismus wendet. Im letzten Sommer, zwei Wochen nachdem die Scheune brannte, spielten hier Die Toten Hosen. Aus Solidarität mit den Lohmeyers. Sie haben – außerhalb Jamels – viele Freunde gefunden, sie lieben ihren Garten, das Haus. Warum sollten sie wegziehen?, fragt Birgit Lohmeyer:
"Wir haben viele, viele nette Menschen hier kennengelernt. Das ist hier kein rein brauner Landstrich. Es gibt viele Menschen, die nichts tun, sich nicht einmischen möchten. Aber es gibt zum Glück auch Leute, die sich einmischen, die uns unterstützen. Wir haben hier zum Glück einen sehr, sehr aufmerksamen Polizeichef in Wismar. Wismar ist die Polizei, die für uns zuständig ist. Der sehr wachsam ist, seit er im Amt ist, mit der Problematik umgeht. Er schützt auch mit seinen Leuten unsere Veranstaltungen, die wir hier auf unserem Forsthof machen sehr gut. Also da haben wir ein gewisses Maß an Sicherheit, das uns das vermittelt."

Die eindeutigen Nachbarn im Blick

Im niedersächsischen Wendland zeigt Barbara Karsten ihren Wohnzimmer-Stuhl mit den breiten Armlehnen. Der steht vor dem großen Fenster. Von hier aus hat sie einen guten Überblick über den Garten des Nachbarn Timo L., über seine Tiere und Wiesen, die ihr eigenes Grundstück von zwei Seiten umschließen:
"Es war jetzt nicht so das direkte Ziel, von diesem Beobachtungsstandpunkt aus die Nachbarschaft zu recherchieren, zu beobachten, zu spionieren. Das hat sich einfach so ergeben. Durch ihr Verhalten, durch ihr Auftreten, durch ihre Musik, durch ihre schon, wie soll ich sagen, sehr eindeutige Aufmachung, Erscheinungsform."
Unten im Keller liegt der zweite Beobachtungsposten. Dort steht Barbara Karstens' Computer, dort macht sie sich Notizen, Screenshots, also Fotos von Einträgen ihres Nachbarn. Früher war er auf Facebook unterwegs, dann im russischen Pendant dazu, bei "V Kontakty". Timo L. gab sich dort den Namen "Enes Deape", anders betont: "NSDAP". Sein Profil ist mittlerweile gelöscht, nur seine Freundin sei dort noch zu finden, erzählt Barbara Karsten:
"Aber ich hatte schon vorher einen Screenshot gemacht. Sie hatten jetzt drei Seiten da drin. Einmal über ihren Wehrhof Löwenzahn: Wehrhof Löwenzahn in der Gau Wibbese! (lacht). Manchmal könnte ich mich nicht totlachen, aber schieflachen!"
Aus dem Dorf bekommen Barbara Karsten und ihr Mann wenig Unterstützung. Viele wollen einfach ihre Ruhe haben und mahnen, entspannt zu bleiben. Es handle sich nur um einen Nachbarschaftsstreit, sonst nichts. Olaf Meyer aus Lüneburg sieht das anders. Er ist Mitglied der "Antifaschistischen Aktion", hat das Ehepaar Karsten in Wibbese besucht, beraten und ihnen erzählt, was über ihren Nachbarn Timo L. bekannt ist:
"Er selbst kommt aus der klassischen Neonazi-Szene. In seinen jungen Jahren war er noch Nazi-Skinhead, eher so alkoholisiert und gewalttätig durch die Straßen gezogen. Und dann ist er halt aufs Land gezogen, um sich und aber auch seine Umwelt zu ändern. Aber eben auch mit einer klaren politischen Aussage, er macht da ja auch keinen Hehl draus. Er sagt selbst, er ist Nationalsozialist, da geht er offen mit um."
Aber ein völkischer Siedler ist Timo L. nicht, meint Olaf Meyer. Er ist sich darin einig mit dem niedersächsischen Verfassungsschützer Wolfgang Frede:
"Er ist ein Rechtsextremist. Und Rechtsextremisten unterliegen der Beobachtung. Insofern wird das nicht nur registriert, sondern es wird auch bewertet. Und es werden die Schlüsse daraus gezogen. Die Kontakte solcher Personen in den Rechtsextremismus sind natürlich gegeben. Aber es ist nicht als Strategie einer völkischen Besiedlung, einer völkischen Siedlungspolitik, zu sehen."
In den letzten Jahrzehnten, so Wolfgang Frede, habe der niedersächsische Verfassungsschutz keine strategisch angelegte Besiedlung durch völkische Gruppen beobachtet. Zumindest keine erfolgreichen:
"Wir haben Aktivitäten gehabt von Organisationen wie der 'Artgemeinschaft', die Veranstaltungen in Niedersachsen durchgeführt hat, in Niederhaverbeck. Das ist eine völkische Organisation. Insofern gibt es durchaus völkische Aktivitäten in Niedersachsen. Aber das daraus eine gezielte Siedlungspolitik erfolgt wäre, die sich in irgendeiner Region im gezielten Ankauf von Immobilien niedergeschlagen hätte, das ist aus unserer Sicht nicht der Fall."

Rechtsextremes Schulungszentrum verhindert

Verhindert werden konnte der Aufbau eines rechtsextremen Schulungszentrums bei Verden. Der mittlerweile verstorbene Anwalt und NPD-Funktionär Jürgen Rieger hatte dort den sogenannten "Heisenhof" gekauft, mit dem Geld des einstigen NSDAP-Mitglieds Wilhelm Tietjen. Das Projekt scheiterte an den Auflagen der Ämter. Darüber welche rechtlichen und politischen Möglichkeiten es gibt, gezielte Immobilienkäufe zu verhindern, gibt der Verfassungsschutz in Niedersachsen Auskunft:
"Das ist im Fall des 'Heisenhofes' gewesen. Es war in Delmenhorst der Fall. Und auch in Melle. Das sind alles Erwerbungen, die Herr Rieger seinerzeit geplant hatte. Da ist es passiert genauso wie bei einem Hotel in Faßberg und bei etlichen anderen Hinweisen, die wir auf diese Weise aufgegriffen haben und denen wir dann nachgegangen sind. Mit rechtlichem Rat und entsprechend ist dann in den jeweiligen Kommunen gehandelt worden im Austausch mit uns, im Austausch mit der Polizei."
Dennoch gebe es – wie überall in der Republik – auch in Niedersachsen Anziehungspunkte für rechtsextreme völkische Siedler, sagt Olaf Meyer von der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen:
"Es gibt in Niedersachsen drei Gebiete, wo es eine Häufung von dieser Szene gibt. Das ist einmal im Raum Salzgitter, wo mehrere Angehörige der völkischen Jugendbewegung Der Freibund leben. Die haben da auch einen Hof. Da finden auch regelmäßig Veranstaltungen statt, viel Volkstanz, Zeltlager. Das ist ein Bereich. Die anderen beiden sind dann eher im Norden. Das ist der Landkreis Uelzen und ein Teil des Landkreises Lüneburg. Und dann noch mal im Landkreis Harburg-Land, in der Nordheide, in Toppenstedt, wo eigentlich die Zentrale dieser Bewegung ist."
In Toppenstedt, südlich von Hamburg, vertreibe Uwe Berg in seinem Antiquariat und Verlag Nazi-Literatur, erzählt Olaf Meyer. Wolfgang Frede vom Verfassungsschutz ergänzt:
"In Eschede beobachten wir völkische Praktiken. Das ist deutlich. Veranstaltungen wie 'Wintersonnenwende', 'Sommer-Sonnenwend-Feiern', das sind ja klassische, völkische Feierlichkeiten, wo es auch Vorbilder des historischen Nationalsozialismus' gibt, an die man dort anknüpft. Und die dort möglich sind, weil diese Liegenschaften, dieses Gehöft von einem dem Rechtsextremismus mehr als zugeneigten Landwirt betrieben wird."

Eine langfristige Gefahr für die Demokratie?

Eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung geht, zumindest auf mittlere Sicht, weder von den völkischen Siedlern in Mecklenburg-Vorpommern noch von denen in Niedersachsen aus. Darin besteht Einigkeit unter den Verfassungsschützern und den zivilgesellschaftlichen Beobachtern der Szene. Olaf Meyer von der Antifa Lüneburg / Uelzen und Hartmut Gutsche vom Regionalzentrum für demokratische Kultur warnen aber vor den langfristigen Folgen.
Nach außen hin geben sich völkische Siedler und – wenn Kameras laufen – auch Neonazis als nette Nachbarn. Trotzdem wirke ihre in Dörfern, Sportvereinen, auf Elternabenden verbreitete Ideologie wie ein schleichendes Gift, so Hartmut Gutsche. Er erinnert an das schon in den 90er-Jahren bei den Jungen Nationalen, der NPD-Jugendorganisation, entstandene Konzept der "National befreiten Zonen":
"Im Kern heißt das nichts anderes, als in Sozialräumen, im Viertel, im Dorf durch zahlenmäßige Präsenz faktisch prägend zu sein. Auch rechtsprägend zu sein. Sprich: auch rechtsfreie Räume zu schaffen. Und davon sind sie Gott sei Dank noch weit entfernt – mal abgesehen von Jamel! Ich glaube, in diesem klitzekleinen Dorf scheint es zu funktionieren, leider - aber das muss man im Kopf haben: Da wollen sie hin!"
In 20, 30 Jahren könnten die kleinen, giftigen Dosen Wirkung zeigen. Schon heute ist es unter vielen Jugendlichen ganz angesagt, rassistische Sprüche zu klopfen, erzählt Hartmut Gutsche. – Für Birgit und Horst Lohmeyer in Jamel oder Barbara Karsten und ihren Mann Knut Jahn sind die Neonazis in der Nachbarschaft schon jetzt ein reales, bedrückendes Problem. Der Rentner Knut Jahn zuckt die Schultern. "Du Jude!" habe ihn sein Nachbar Timo L. beschimpft:
"Für mich ist das kein Schimpfwort. Aber ich weiß, was damit gemeint ist. Und was dahinter steckt. Und ich finde es nicht akzeptabel. Ist doch logisch!"
Und weil er und seine Frau das anprangern, sind sie für viele im Dorf die Nestbeschmutzer, die doch bitte endlich Ruhe geben sollen. Diese Einsamkeit, diese Ablehnung durch die Nachbarn kennen auch Birgit und Horst Lohmeyer:
"Da haben wir schon das Gefühl: Wenn uns hier was passieren würde, können wir uns sparen, bei denen um Hilfe zu bitten. Die würden wahrscheinlich nicht mal die Tür öffnen für uns. Da gibt es schon das Moment der Einschüchterung, das wir sehr stark spüren!"
Dennoch: Der Angst vor den Jameler Neonazis, vor ihren anonymen Drohungen wollen sie möglichst wenig Raum geben. Sie wollen standhaft bleiben und den Mund aufmachen gegen die rechtsextreme Bedrohung.
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